Bauers Depeschen


Dienstag, 13. April 2021, 2266. Depesche



 



METROPOL-AKTION

AN DIESEM DONNERSTAG, 22. APRIL

Das Engagement zur Schaffung eines Orts der Begegnung und Kulturen geht weiter: Stuttgart braucht dringend ein Haus für spartenübergreifende Kunst, eine Bühne für den Dialog, der unserer internationalen städtischen Realität gerecht wird. Wir leben längst in einer veränderten Alltagskultur, die im politischen Bewusstsein noch nicht angekommen ist. Die Bekenntnisse zur „Vielfalt“ bleiben zu oft ohne praktische Folgen. Es geht nicht um einen „Migrationshintergrund“, sondern um das gemeinsame Leben im Vordergrund.

Als interkultureller Begegnungsort, an dem auch der Film in neuer Präsentationsform eine wichtige Rolle spielt, ist das Metropol mit seiner Geschichte, seiner Lage und Aura bestens geeignet.

Am Donnerstag, 22. April, findet unsere 6. Kundgebung zu diesem Thema statt - vor dem Metropol-Gebäude. Wortbeiträge von Cathy Nzimbu Plato (Vors. Forum Afrikanum e. V. / Foto), Anna Ioannidou (Vors. Griechische Gemeinde Stgt), Astrid Beyer (Dokville), Goggo Gensch (Filmemacher, Kurator). Musik von Eva Leticia Padilla & Dany Labana Martinez und ein Tanz-Act von Fabrice Ottou. Moderation: Joe Bauer. Beginn 18 Uhr.



BITTE WEITERSAGEN

Unsere Initiative zur Unterstützung der Kunst- und Kulturarbeit ist weiterhin TÄGLICH aktiv. Inzwischen haben wir mehr als eine Million Euro Spenden erhalten. Allen, die helfen, ganz herzlichen Dank! Hier geht es zu den Infos: KÜNSTLER*INNENSOFORTHILFE STUTTGART



KUNDGEBUNG

Verschiedene Bündnisse rufen zu einer Kundgebung gegen die "Querdenken"-Umtriebe auf: "Masken auf! Nazis raus!". Am Samstag, 17. April, auf dem Stuttgarter Karlsplatz. Beginn 12 Uhr.



LIEBE LESERiNNEN,

hier ein Text übers Spazierengehen, eine Auftragsarbeit für ein Buch der Stiftung Geißstraße, das irgendwann erscheinen wird:



GEDANKENSPRINGER

In den Lockdowns der Pandemie hat sich bei vielen der Spezies Gehendes Tier das Bedürfnis zurückgemeldet, mal wieder unter freiem Himmel loszuziehen. Sogar auf eigenen Beinen.

Von Zeit zu Zeit entdecken Menschen eine exotische Fortbewegungsart namens Spazierengehen. In der neoliberalen Marketing-Demokratie kann es da nicht ausbleiben, den gemäßigten Schritt mit körpereigenem Werkzeug umgehend als Mode zu missbrauchen. Womöglich lässt sich damit sogar etwas im Outdoor-Business verdienen, auch wenn Spaziergänger keine spezielle Ausrüstung brauchen, wollen sie sich nicht im Dienste kapitalistischer Leistungsmaximierung mit einem Ultrasport foltern.

Bei uns wird der aufrechte Gang am ehesten dann beachtet, wenn sich ahnungslose Reklamedichter in ihrer Shopping-Propaganda an den Flaneur erinnern. Mitten im Stuttgarter Breuninger-Revier standen schon mal Liegestühle mit der Aufschrift: „Platz für Flaneure“. Bei diesem Anblick setzt es dich als Herumgeher glatt auf den Arsch, während der ökobewusste Herr Stadtrat umgehend eine „Flaniermeile“ fordert, mit der Auflage, bloß keinen Parkplatz dafür zu opfern.

Unsereiner hat sich das Spazierengehen vor einem Vierteljahrhundert in einer geistigen Notlage angewöhnt. Mein Chef bei den Stuttgarter Nachrichten erteilte mir aus heiterem Himmel den Auftrag, in Zukunft hauptberuflich eine Kolumne namens „Joe Bauer in der Stadt“ zu füllen. Da mir niemand sagte, woher der Stoff dafür kommen könnte, schickte ich meine vom Sitzen verkümmerten Hirnzellen spazieren ins Nichts.

Mich der Stadt auf dem Sofa vor dem Bildschirm zu nähern, erschien mir so wenig erfolgversprechend, wie die Straßenbahn oder ein Taxi zu nehmen, wenn ich weiterhin meinen Monatslohn erhalten wollte. Also begann ich herumzugehen.

Zunächst schielte ich nicht auf berühmte literarische Flaneure, von denen selbst ich wusste, weil meine Wege zuvor ja nicht nur in Bars, sondern gelegentlich auch in Buchläden geführt hatten. Da ich aber nicht generell zu Anmaßung und Größenwahn neige, stiefelte ich ohne einen Gedanken an die Hessels, Prousts und Benjamins planlos durch Stuttgart, eine Stadt, die ihr Zentrum mit Autobahnen tranchiert hat. Fußgängerfreundliche Routen sind hier im politischen Bewusstsein weiter weg als die Milchstraße.

Darüber dachte ich anfangs aber nicht nach. Ich fühlte mich noch nicht als echter Spaziergänger, nur als einer, der auszieht, um Material für seine Kolumne aufzutreiben.

Zu Beginn meiner Geherlaufbahn nannte ich mich in meinen Texten gelegentlich „Stadtstrolch“, nicht ohne Hintergedanke: Mir war aufgefallen, dass viele Stadtzeitungen ihre Stadt viel zu wenig außerhalb der amtlichen Verlautbarungsakten beachteten. Schon gar nicht die Ecken und Nischen, die dir erst vertraut werden, wenn du in ihnen herumstrolchst. Einen Teil meiner geschätzten Leserschaft erinnerte das Wort „Stadtstrolch“ an den „Stadtstreicher“, an den (na ja) urbanen Vagabunden, den Berber. Auch das war mir gar nicht so unrecht. Mit meiner Herumgeherei wollte ich auch ein wenig den Müßiggänger würdigen, den Tagedieb, der mit dem Termingeschäft des Lokaljournalisten nicht viel am Hut hat. Er ist unterwegs als Hans Guck-in-die-Luft, im wahren Sinn des Worts: Irgendwann merkte ich, dass sich mir neue Dinge auftun, wenn ich meinen Blick in den Straßen auch mal noch oben richte. Es ist nicht sehr erregend, immer nur an Schaufensterpuppen hochzuschauen und auf Augenhöhe zu sein mit Turnschuhen und Mobiltelefonen. Das Spazierengehen öffnet dir andere Fenster als die zum Konsum.

Im Lauf der Jahre hat sich meine Art und Weise, mir meine kleine Welt zu erlaufen, stark verändert. Das Wort Ergehen bekam neue Bedeutung. Immer öfter ging ich aus der Gegenwart in die Vergangenheit und wieder zurück. Und je tiefer ich in die Stadt eindrang, desto weiter ging ich aus ihr hinaus.

Es ist keine Floskel, dass sich die große Welt in der kleinen spiegelt und umgekehrt. Als Spaziergänger begegne ich einem mir unbekannten Namen auf einem Straßenschild in Cannstatt. Wieder zu Hause, ermittele ich, was es damit auf sich hat, und dann bin ich auf einmal mitten in der Geschichte einer Familie, die vor den Nazis nach Kalifornien fliehen musste. Bei näherem Hinsehen ist diese Familie so gegenwärtig wie das Übel, dass die politischen Nachkommen der Nazis in den Parlamenten vor unserer Haustür sitzen.

Den Blick auf solche Zusammenhänge habe ich weniger der Literatur und der Google-Maschine zu verdanken als dem Spazierengehen. Gehen im 3-km/h-Tempo schafft Räume für Gedankensprünge ohne Grenzen. Eine der Lehren daraus: Geschichte ist nicht Vergangenheit. Geschichte ist Gegenwart.

Beim Gehen aber geht es nicht nur um Geschichten, sondern auch um die Gesundheit und einen Verstand, der sich vor dem „gesunden Menschenverstand“ schützen muss. Die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ erörterte im April 2021 auf ihrer Wissenschaftsseite die Bedeutung der Beinarbeit: „Der Mensch soll Spaziergänge machen. Denn das Gehen ist nicht nur charakteristisch für unsere Spezies, sondern die bekömmlichste Weise unserer wachen Existenz.“ Kürzer gesagt: Der Mensch sollte mal wieder auf das unverzichtbare Zusammenspiel von Spazieren und Sinnieren achten. Bewegung erlebt er nicht im Fitnessstudio, sondern auf Schusters Rappen. Und da muss ich dann doch mal einen flanierenden Dichter zitieren: „Zuweilen denke ich dabei daran, dass die Handwerker und Ladenbesitzer nicht nur die Vormittage, sondern auch die Nachmittage in ihren Werkstätten und Läden verbringen, viele von ihnen auch noch mit gekreuzten Beinen – als wären Beine nicht zum Stehen und Gehen, sondern zum Sitzen gemacht –, und dann finde ich, diesen Menschen gebühre eine gewisse Anerkennung, weil sie ihrem Leben nicht schon längst ein Ende gemacht haben“, sagte einst Henry David Thoreau, ein Gegner der Sklaverei. (Es liegt mir fern, mit diesem Zitat unbewegliche Handwerker und Ladenbesitzer zum verfrühten Abgang zu bewegen.)

Dass der Urtrieb des Gehenden Tiers eines Tages gar harte politische Konflikte auslösen würde, hatte ich zu Beginn meiner Stadtspaziererei nicht geahnt. Da war ich naiv. Die Stuttgarter Stadtplanung beispielsweise hat mit ihrer bedingungslosen Kapitulation vor den Automanagern und den Immobilienhaien ihre kesselförmige Gemeinde so rücksichtslos verunstaltet, dass mir beim Blick auf den verkehrten Verkehr öfter mal ein Satz aus dem tragikomischen Roman „Superbusen“ der Satirikerin Paula Irmschler einfällt: „Autos sind die Männer, Fahrräder die Frauen und Fußgänger die mehrfach Diskriminierten.“

Zweifellos finden die in der Stadt diskriminierten Fußgänger genügend angenehme Routen außerhalb der Beton- und Glaswelt. Dann dürfen sie von ihren Lieblingsstrecken und Ausflugszielen schwärmen und ihre ganze Stadt von den Hügeln herab verklären. Gesund und vernünftig wäre laut Wissenschaft allerdings, jeder körperlich intakte Mensch würde auch in seiner städtischen Umgebung täglich neuntausend bis zehntausend Schritte zurücklegen – und so hineingehen in ein bewegt-bewegendes Leben auf freien Füßen. Das wäre gut für den Stoffwechsel, die Motorik, die verbliebene Hirnmasse.

Unsereiner schließt für heute wieder mal mit seinem Mantra, das ihn seit Jahren nicht nur zum Müßiggang, sondern auch zum Protestmarsch antreibt: Lieber zu weit gehen als gar nicht.





 

Auswahl

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