Bauers Depeschen


Freitag, 08. November 2019, 2144. Depesche



 



IN EIGENER SACHE

Zuletzt habe ich als freier Mitarbeitter für die Stuttgarter Nachrichten einmal wöchentlich meine Kolumne "In der Stadt" geschrieben. Jetzt beende ich diese Tätigkeit. Nach meinem Empfinden sind meine Beiträge in dieser Zeitung inzwischen überflüssig.



FÜR DEN FLANEURSALON am Montag, 25. November, im Theaterhaus gibt es noch Restkarten: VORVERKAUF - Telefonisch: 0711/4020720



LIEBE GÄSTE,

am 8. November 1939, vor 80 Jahren, hat ein schwäbischer Kunstschreiner versucht, Hitler zu töten. Er wollte, sagte er später in den Verhören durch die Gestapo, den Krieg verhindern. Auch noch ein halbes Jahrhundert nach dem Krieg hat man seine mutige Tat und seine ehrbaren Motive vertuscht. Viele Spuren von ihm und seiner Familie führen nach Stuttgart. Davon handelt diese Geschichte:



ERMORDET, TOTGESCHWIEGEN

Am 9. April 1945 ermordeten die Nazis im KZ Dachau den schwäbischen Widerstandskämpfer Georg Elser. 70 Jahre später, 2015, mache ich mich auf die Suche nach seinen Stuttgarter Spuren. Die Landesregierung hält es damals nicht für nötig, zum 70. Jahrestag von Elsers Tod wenigstens symbolisch und aus Respekt ein Zeichen zu setzen. Die Auseinandersetzung mit dem alten und neuen Rechtsextremismus stand nicht auf der Agenda ihres Politik-Marketings.

Das Herumgehen in der Stadt ist eine buchstäblich spannende Sache. Auf Schritt und Tritt begegnest du Stadtgeschichte. Einen Teil der folgenden Geschichte verdanke ich wie so oft Kommissar Zufall. Im Fall Elser in Gestalt eines echten Bullen.

Stuttgarts ehemaliger Vize-Polizeipräsident Michael Kühner ist im Westen der Stadt aufgewachsen, in der Lerchenstraße 52. Sein Vater, in der Gegend von Heilbronn geboren, war als Schiffsmechaniker zur See gefahren und danach in die Fremdenlegion eingetreten. Dort ließ er sich zum Fechtmeister ausbilden und heuerte später als Trainer in Stuttgarter Sportvereinen an.

Wir treffen uns in der Nähe des Kühner’schen Elternhauses, im Café Stöckle am Lerchenplätzle. Der ehemalige Kriminalbeamte hat das 2015 eröffnete Polizeimuseum in der Hahnemannstraße mitbegründet, zuvor viele Jahre mit Recherchen über die Nazi-Diktatur verbracht. Aber erst 2007, beim Herumblättern in einem Buch, hat er erfahren, mit wem er einst unter einem Dach gewohnt hat. Wer der Onkel seines Schulkameraden Karl-Heinz war.

Das vordere Back- und Sandsteingebäude in der Lerchenstraße hat den Krieg nahezu unversehrt überstanden. Bis Ende der fünfziger Jahre wohnten in diesem Haus auch der Metzger Karl Hirth, seine Frau Maria und die Söhne Franz, geboren 1928, und Karl-Heinz, geboren 1948.

Die Hirths waren in den dreißiger Jahren nach Stuttgart gezogen. Maria war eine von drei Schwestern des Hitler-Attentäters Johann Georg Elser, geboren 1904 in Hermaringen, aufgewachsen in Königsbronn am Brenzursprung bei Heidenheim.

Kein Wort, sagt Kühner, habe man im Haus je über Elser verloren. Weder die Eltern noch die Nachbarn: Keiner hat den Namen erwähnt, nie wurde auch nur angedeutet, dass Maria Hirth die Schwester des Widerstandskämpfers war. Alle taten so, als wüssten sie nichts. Dabei hatten die Leute in der Lerchenstraße alles mitbekommen.

Am 6. November 1939 besucht Georg Elser seine drei Jahre jüngere Schwester. Er übernachtet in der Wohnung, nachdem er mit seinem Schwager in einer Kneipe ein Bier getrunken hat. Maria gibt ihm 30 Reichsmark für eine Fahrkarte, als er andeutet, er wolle „über den Zaun“ in die Schweiz. Warum, sagt er nicht. Als er am 7. November geht, hinterlässt er in der Lerchenstraße einen Koffer mit Spezialmeißeln, Bohrern, Zeichnungen. Elser ist Kunstschreiner, ein begabter Tüftler.

Am 8. November 1939 um 21.20 Uhr detoniert im Münchner Bürgerbräukeller eine Bombe, gezündet von einem Uhrwerk. Georg Elser hat diese „Höllenmaschine“, wie mansie nannte, gebastelt und in Nachtschichten in einer Säule eingebaut. Er will Hitler töten. Aufgrund des schlechten Wetters verlässt der „Führer“ 13 Minuten früher als geplant den Saal. Sein Flugzeug wartet. Die Bombe geht zu spät hoch, sie tötet acht Menschen. Elser hat man bereits vor der Explosion an der Schweizer Grenze verhaftet. Er gesteht. In den Verhören der Nazis sagt er, nach dem Überfall der Wehrmacht auf Polen habe er weiteres Blutvergießen verhindern wollen.

Wenige Tage später werden Maria Hirth und ihr Mann von der Gestapo festgenommen. Ihre Wohnung wird durchsucht, der Koffer gefunden. Sie werden nach Berlin gebracht, der Gestapo-Chef Heinrich Müller verhört sie. Der elfjährige Franz wird nach der Schule von der Gestapo abgeholt, muss stundenlang beim Pförtner der Stuttgarter Gestapo-Zentrale im früheren Hotel Silber warten, bevor man ihn im Kinderheim in der Türlenstraße abliefert.

Bis 2018 sollte es dauern, bis das Hotel Silber am Charlottenplatz, mitten in der Stadt, endlich als Gedenk- und Lernort eröffnet wurde. Beinahe wäre es den Neubauten des Unternehmens Breuninger zum Opfer gefallen. Eine Bürgerinitiative konntes es verhindern. Der früherer Firmenchef Alfred Breuninger hatte einst für die NSDAP im Stadtrat gesessen und mit Zwangsarbeitern für die Wehrmacht Uniformen in seinem arisierten Betrieb herstellen lassen.

Eine weitere Schwester Georg Elsers, Anna, lebt damals mit ihrem Mann Fritz Hangs in Zuffenhausen. Am 13. November werden sie festgenommen und ins Gefängnis in der Büchsenstraße gesperrt. Anna Hangs wird erst nach einer Woche verhört und mit ihrem Mann nach Berlin transportiert. Auch weitere Familienmitglieder auf der Ostalb, darunter Elsers Bruder Leonhard und die Schwester Friedrike Kraft, werden in Stuttgart inhaftiert. Vor ihrem Weitertransport nach Berlin werden sie von den Nazis im Hotel Silber verhörten. Erst Ende November 1939 werden sie freigelassen, eine Mittäterschaft gab es nicht.

1989, fünfzig Jahre nach Georgs Elsers Attentat, fuhr ich nach Königsbronn, um eine Reportage zu machen. Begleitet wurde ich von meinem Vater Hans, er wurde 1914 in Königsbronn geboren. Ohne ihn hätte keiner im Dorf mit mir über Elser geredet. Wir stießen immer wieder auf eine Mauer des Schweigens. Erst wenn sie meinen Vater erkannt hatten, kam es zu Gesprächen mit Zeitzeugen, auch mit Leonhard Elser. „Den Stauffenberg ehren sie jedes Jahr“, sagte er, „den Georg nie.“ Der Widerstandskämpfer Elser, ein einsamer Held aus dem Proletariat, blieb in Deutschland jahrzehntelang fast unbekannt. Erst ermordet, dann totgeschwiegen. Man wollte nicht wissen, dass ein einfacher Mann in der Lage war, sich gegen die Nazis aufzulehnen. Etwas zu tun.

Nach dem 50. Jahrestag des Attentats änderte sich langsam etwas. Ein Film des Regisseurs und Schauspielers Klaus Maria Brandauer, „Elser – einer aus Deutschland“, zeigte Wirkung. Brandauer habe ich damals getroffen, er hat lange mit mir geredet. Auch er war auf große Ablehnung gestoßen.

Bis die Stadt Stuttgart Georg Elser eine ihrer sogenannten Stäffele widmete, dauerte es aber noch einmal zehn Jahre. Die Staffel findet man in der Nähe der Villa Reitzenstein und damit sinnigerweise an der heutigen Richard-Wagner-Straße, die früher Heinrich-Heine-Straße geheißen hatte und von den Nazis umbenannt wurde.

Mit Michael Kühner gehe ich in den Hinterhof der Lerchenstraße 52. Er weiß noch, wo unten im Haus ein Schuster gearbeitet hat, durch welches Fenster die Kohlenrutsche in den Keller führte. Der ehemalige Polizist sagt mir zum Abschied: Elser war vermutlich Kommunist, und mit Kommunisten wollten die Leute auch nach der Nazi-Diktatur nichts zu tun haben.

 

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