Bauers Depeschen


Freitag, 11. Oktober 2019, 2137. Depesche



 



HEUTE ist der FLANEURSALON in der Auerbachhalle Urbach im Remstal. Beginn 20 Uhr. Karten an der Abendkasse.



FLANEURSALON MIT

OLIVER MARIA SCHMITT

UND VINCENT KLINK

Den nächsten und letzten Stuttgarter Flaneursalon in diesem Jahr machen wir am Montag, 25. November, im Theaterhaus. Eigentlich ein Zufallsprodukt: Der bei uns weltberühmte Satiriker und Schriftsteller Oliver Maria Schmitt, mit Martin Sonneborn und Thomas Gsella in der Titanic BoyGroup unterwegs, hatte mir mal angeboten, im Flaneursalon mitzumischen. Ich hätte mich nicht getraut, ihn zu fragen. Irgendwann wurde die Sache dann ernst, und wie‘s der Teufel will, schwirrte auf einmal auch der Name Vincent Klink herum, weil Herr Schmitt gerade bei ihm eingekehrt war. Auch Herr Klink - als Koch, Musiker und Autor Im Dauereinsatz - hatte zufällig Zeit, und so waren wir schon zu dritt. Ergänzt wird dieser Flaneursalon im Theaterhaus mit der tollen Sängerin Eva Leticia Padilla und ihrer Begleitung sowie vom famosen Rapper/Beatboxer-Duo Toba & Pheel. Der Vorverkauf läuft bereits, und ich freue mich auf einen Abend voller kontroverser Wort- und Musik-Beiträge. Womöglich wird’s lustig. Hier gibt es online Karten: VORVERKAUF - Telefonisch: 0711/4020720



Hört die Signale!

Ein Lied zum Tag



Neue StN-Kolumne:

9. OKTOBER

Es ist Viertel vor sieben, als ich vor der Stuttgarter Synagoge in der Hospitalstraße ankomme. Es ist der Abend nach dem antisemitischen Terroranschlag mit zwei Toten in Halle. Linke, antifaschistische Kräfte haben zuvor über soziale Medien und per E-Mail zu einer spontanen Solidaritätsbekundung mit jüdischen Bürgerinnen und Bürgern aufgerufen. Das Treffen ist für 19.33 Uhr geplant, weil um diese Uhrzeit der höchste jüdische Feiertag, Jom Kippur, zu Ende geht.

Ein Mann mit Baskenmütze steht allein mit einer brennenden, von einem Glasbehälter beschützten Kerze vor dem jüdischen Gotteshaus. Wir grüßen uns und plaudern, wie Passanten plaudern, die sich zufällig begegnen. Der Mann ist evangelischer Pfarrer und Lehrer am Robert-Bosch-Gymnasium in Gerlingen. Er heißt Eberhard Kleinmann, pflegt seit Langem engagiert den Dialog mit Juden und hat in Israel die hebräische Sprache gelernt. Für den kommenden Tag erwartet er 15 Austauschschüler aus Israel, 16 und 17 Jahre jung, und jetzt ist er nicht mehr sicher, ob alle Eltern ihre Kinder nach Deutschland fahren lassen. Es gab Zeiten, sagt er, da hätten die Deutschen Angst gehabt, ihre Kinder nach Israel reisen zu lassen. Schon vor Jahren habe sich die Lage verändert. Ja, denke ich, wir sind wieder so weit. Und reden noch immer zu wenig darüber. Und tun nichts.

Nach und nach kommen Menschen vor die Synagoge, die vor Kurzem umgebaut und verschönert wurde. Einige Dutzend stehen in respektvollem Abstand vor dem Haus, auch zwei Polizisten mit Maschinenpistolen. Sie haben sich, sagt mir einer, heute stärker bewaffnet als für eine übliche Wache. Ich unterhalte mich mit dem Pfarrer. Er sagt, er betrachte sich als zutiefst bürgerlich. Wir sind uns einig, dass die Gefahr des neuen Faschismus noch immer grob unterschätzt wird. Dass viele Politiker und Bürger sich leichtfertig auf die Stimmanteile der AfD konzentrieren, ohne zu ahnen, wie selbst kleine, gut organisierte Einheiten aus dem braunen Sumpf rund um den parlamentarischen Arm der sogenannten Neuen Rechten Stimmungen in der Gesellschaft beeinflussen können. Wie trügerisch und gefährlich ist es, im Fall Halle von einem „Einzeltäter“ zu sprechen, wo man doch weiß, dass dieser Nazi mit seinem widerlichen Denken und seinen Gewaltfantasien alles andere als allein ist.

Der grüne Sozialminister Lucha lässt sich vor der Synagoge blicken; zuletzt ist er in der Stadt vor allem als finanzieller Förderer humorfreier Komik aufgefallen, so dass ich ihn als politischen Denker nicht besonders ernst nehmen muss. Der Landesbeauftragte für Antisemitismus, Michael Blume, gesellt sich hinzu, bedankt sich bei den Anwesenden für ihre Geste. Auch der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde, Gökay Sofuoğlu, zeigt Solidarität; er weiß, dass sich Nationalismus und Rassismus nicht nur gegen Juden richten. Aktivisten des Bündnisses Stuttgart gegen Rechts sind da, sie brechen bald auf, um noch am Abend für den kommenden Tag eine Kundgebung unter dem Motto „Rechten Terror stoppen!“ zu organisieren. Nicht alle schauen tatenlos zu.

Die terroristischen Morde von Halle geschahen am 9. Oktober, genau einen Monat, bevor hierzulande wie immer der Pogromnacht vom 9. November 1938 gedacht wird. Und noch immer ist vielen nicht bewusst, dass es längst nicht mehr nur um Rituale zur Erinnerung an die Opfer des Nazi-Terrors geht, vielmehr um den bitter notwendigen Kampf gegen die faschistischen Auswüchse der Gegenwart.

Diese Dinge gehen mir durch den Kopf, da gerade wie jedes Jahr die Gedenkfeier vor der zerstörten, nie mehr aufgebauten Synagoge in der Cannstatter König-Karl-Straße vorbereitet wird. Bis heute ist dieser Ort mit seinem ausweichend formulierten Text auf dem Mahnstein und seinen missglückten, unverständlichen Symbolen in einem untragbaren Zustand.

Auch die jüdische Synagoge im Hospitalviertel wurde in der Pogromnacht unter dem Gejohle Schaulustiger niedergebrannt. 1952 hat man sie wiederaufgebaut. Mit ihrer jüdischen Geschichte hat sich diese Stadt nicht unbedingt vorbildlich befasst. Bis 2016 dauerte es, ehe man Joseph Süß Oppenheimer, dem berühmten Opfer eines antisemitischen Justizskandals im 18. Jahrhundert, wenigstens eine kleine Gedenktafel am Ort seiner Hinrichtungsstätte widmete: am Galgenbuckel bei den Waschküchen unter den Eisenbahnerhochhäusern am Nordbahnhof, wo man seine Leiche sechs Jahre in einem Käfig zur Schau stellte. Ein nach ihm seit 1998 benannter Platz unterhalb der oberen Königstraße an einer Tiefgarageneinfahrt ist an betonierter Hässlichkeit kaum zu überbieten. Die Nazis haben Oppenheimer einst für Veit Harlans berüchtigten Propagandafilm „Jud Süß“ missbraucht.

Gehen wir vom Galgenbuckel weiter nach Norden, erreichen wir die Gedenkstätte Zeichen der Erinnerung, eröffnet erst 2006: Von hier aus wurden auf den Schienen der Reichsbahn 2600 Juden in Vernichtungs­lager deportiert. Nur 74 Jahre nach dem Zusammenbruch der Nazi-Diktatur trauern Menschen vor Synagogen in Deutschland, weil Juden von Faschisten angegriffen werden. Vergangenheit, hat William Faulkner gesagt, ist in Wirklichkeit nie vergangen. Das müssen wir endlich begreifen.

 

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