Bauers Depeschen


Samstag, 05. Oktober 2019, 2134. Depesche



 



FLANEURSALON IN URBACH

Heute darf ich noch auf einen kleinen Ausflug hinweisen, der ins schöne, wilde Remstal führen wird:

Freitag, 11. Oktober - 20 Uhr: Joe Bauers Flaneursalon in der Urbacher Auerbachalle. Mit Eva Leticia Padilla, Trio Gadjo feat. Katalin Horvath - und erstmals Helge Thun als Conférencier. Karten: URBACH



FLANEURSALON MIT

OLIVER MARIA SCHMITT

UND VINCENT KLINK

Den nächsten und letzten Stuttgarter Flaneursalon in diesem Jahr machen wir am Montag, 25. November, im Theaterhaus. Eigentlich ein Zufallsprodukt: Der bei uns weltberühmte Satiriker und Schriftsteller Oliver Maria Schmitt, mit Martin Sonneborn und Thomas Gsella in der Titanic BoyGroup unterwegs, hatte mir mal angeboten, im Flaneursalon mitzumischen. Ich hätte mich nicht getraut, ihn zu fragen. Irgendwann wurde die Sache dann ernst, und wie‘s der Teufel will, schwirrte auf einmal auch der Name Vincent Klink herum, weil Herr Schmitt gerade bei ihm eingekehrt war. Auch Herr Klink - als Koch, Musiker und Autor Im Dauereinsatz - hatte zufällig Zeit, und so waren wir schon zu dritt. Ergänzt wird dieser Flaneursalon im Theaterhaus mit der tollen Sängerin Eva Leticia Padilla und ihrer Begleitung sowie vom famosen Rapper/Beatboxer-Duo Toba & Pheel. Der Vorverkauf läuft bereits, und ich freue mich auf einen Abend voller kontroverser Wort- und Musik-Beiträge. Womöglich wird’s lustig. Hier gibt es online Karten: VORVERKAUF - Telefonisch: 0711/4020720



Hört die Signale!

Ein Lied zum Tag



Neue StN-Kolumne

DER AUSFLUG

In Berlin, der ersten Station meines zehntägigen Ausflugs, überlistete ich meine chronische Orientierungslosigkeit, indem ich mich in Sichtweite des Fernsehturms einquartierte. Die Gegend erschien mir einerseits etwas abgelegen. Andererseits ideal, weil ich neben dem himmelwärts strebenden Wegweiser aus DDR-Beständen einen Spreekanal vor der Haustür hatte. So konnte ich meinem ewigen Traum vom großen Wasser hinterherlaufen.

Beim Herumgehen in Berlin kam mir erstmals der Gedanke, dass ich all die Jahre nur wegen des Fernsehturms in Stuttgart geblieben bin. Ein Fernsehturm macht faul. Er schützt dich vor dem Holzweg, auch wenn es nicht einfach ist, dich als Spaziergänger in einem engen Kessel so erfolgreich zu verirren, dass du neben der miesen Stuttgarter Luft auch einen Hauch von Abenteuer atmest. Verirren ist ein Grundrecht des Spaziergängers.

Aus Berlin zurück, fuhr ich mit der Eisenbahn nach Wien, wo ich mir ein deutsch-österreichisches Wörterbuch kaufte. Beim Sprachstudium entdeckte ich, dass ich nicht nur ein „Gscherter“ bin, ein Nicht-Wiener. Mit vollem Recht darf ich mich sogar einen „Dampfgscherten“ nennen, laut Dictionary ein „Hardcore-Provinzler“. Ein Mann muss zu seiner Herkunft stehen.

Wien war mir früher schon sympathisch, weil ich nie den Eindruck hatte, der Wiener könnte mich als Piefke oder Dorftrottel schmähen, solange ich mich beim Trinkgeld nicht lumpen lasse. Zum Glück haben wir heute dieselbe Währung, so dass mich nicht mehr jeder hinterfotzige Danderlan beim Umrechnen betackeln kann. Ein anständiger Mensch wird kaum wissen, dass ein Danderlan ein Nichtsnutz und betackeln ein anderer Ausdruck für bescheißen ist. So jedenfalls steht’s in meinem Wörterbuch, für das der große Poet H. C. Artmann beratend tätig war.

Als ich am Wiener Hauptbahnhof ausgestiegen und mein Zug nach Budapest weitergefahren war, bemerkte ich, dass sich mein Rucksack fürs Handgepäck verdammt leicht anfühlte. Ich hatte meinen Laptop vergessen, diesen blöden Rechner, auf dem ich unterwegs nicht nur meine Naherfahrungen mit Urbach an der Rems auf einem früheren Ausflug beschrieben, sondern auch wichtige Kapitel über das vor hundert Jahren erkämpfte „Rote Wien“ gelesen hatte. Die Erkenntnis, dass es früher einmal tatsächlich sozialdemokratische Sozialdemokraten gegeben hat, muss mich so erschüttert haben, dass ich meinen Rechner entkräftet auf den Fußboden legte. Für mich unsichtbar, weil der Graue Star in meinen orientierungslosen Augen noch immer nicht operiert wurde.

Ich suchte im Bahnhof das Fundbüro auf. Zwei Frauen klärten mich auf, dass ich meinen Rechner ein paar Jahre zu spät verloren hätte. Früher, ja früher, sei es möglich gewesen, im Zug den Schaffner anzurufen. Diesen Service aber habe die Österreichische Bundesbahn gestrichen, weil zu viele Dampfgscherte wie unsereiner ihr Sacherl im Zug vergessen und den Schaffner belästigt hätten. Mit Rücksicht auf die Rentabilität der österreichischen Eisenbahn, die auch noch im schlimmsten Fall besser als die unsere ist, akzeptierte ich.

Vermutlich um von meiner Verlustpanik abzulenken, reichte man mir zwei Telefonnummern mit der Bemerkung, viel Hoffnung bestehe nicht. Trotzig wählte ich eine der Nummern, nur um zu erfahren, dass eine österreichische Warteschleife kaum mehr Optimismus signalisiert als das Vorhaben, mit einer Streichholzflamme auf den Sturz in eine zweitausend Meter tiefe Alpenschlucht aufmerksam zu machen.

Wieder gab ich nicht auf und wählte die nächste Nummer. Jetzt gerieten die Dinge in Fahrt. Beängstigend schnell fand ich bei einer Englisch sprechenden Dame in Ungarn Gehör. Ey, Piefke, flüsterte ich mir selber zu, es muss sich um eine akustische Fata Morgana handeln. Nein. Die Dame lauschte mir, als ich ihr vom Leid meines Laptops erzählte, der gerade mutterseelenallein im Waggon XY unter Sitz soundso ins schöne Budapest unterwegs sei. Kurz bevor mein Report auf Romanlänge abzuschweifen drohte, unterbrach sie mich: Sie werde versuchen, den Conductor im Zug nach Budapest aufzutreiben. Sie sagte dies, als sei es das Einfachste der Welt, österreichische Schaffner vom Unglück depperter Deutscher zu überzeugen.

Dann kam wieder eine Warteschleife und mir der Gedanke, aus ihr einen Henkersknoten zu knüpfen, um meinem Elend ein Ende zu machen. Auch einen Sprung in die Donau zog ich in Erwägung, bis ich wieder die Stimme der ungarischen Dame hörte. Mir wurde schwindlig, als sie sagte, sie habe good news. Der Schaffner habe meinen Laptop gefunden, ich könne ihn beim Kundenservice im Budapester Bahnhof abholen.

Nie im Leben hätte ich gedacht, ausgerechnet im Land des ultrarechten Seehofer-Spezis Orbán ein solches Wunder zu erleben. „I love you“, schrie ich sieben Mal und schwor dem Engel von Budapest mit erotischerer Stimme als Falco, dass ich ihm noch in der Hölle der Loser dankbar sein werde. Dann stiefelte ich ins Reisebüro und buchte einen zweitägigen Trip nach Budapest: einen Rutscher, wie wir Österreicher sagen.

Bevor ich's vergesse: Mit meinem Laptop schon auf dem Weg zum Zug zurück nach Wien, bemerkte ich, dass sich die Hinterbackentasche meiner Hose ungewohnt dünn anfühlte. Ich griff mir ans Gesäß und hatte die Gewissheit: Mein Geldbeutel war weg. Bargeld, Kreditkarte, Pass. Alles. Doch dies ist eine andere Geschichte, vergleichsweise banal-alltäglich wie die Lichter eines Fernsehturms auf der Suche nach dem Leben.





 

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