Bauers Depeschen


Freitag, 19. Juli 2019, 2111. Depesche



 



FLANEUERSALON INTIM

AM 7. AUGUST IN WEILIMDORF

Auf Einladung mache ich mit der Sängerin Eva Leticia Padilla und ihrem Gitarristen Stefan Brixel am Mittwoch, 7. August, einen Flaneursalon Intim in der Stadtteilbibliothek Weilimdorf, Löwenmarkt 1. Lieder und Geschichten. Beginn 20 Uhr.



Neue StN-Kolumne

BAUERN UND BONATZ

Manchmal würde ich hier gern mal Sachen schreiben, die vorzugsweise mich interessieren. Aber ich kann nicht einfach fremde Menschen mit meinem Privatkram belästigen. Das wäre, als würde ich in der Straßenbahn den Lautsprecher meines Taschentelefons einschalten, wenn ich mit meinem Leibarzt über meine Bewusstseinsstörungen spreche. Das machen inzwischen viele, weil sie meinen, die komplette Straßenbahnwaggon-Besatzung müsse daran teilhaben, wenn sie ihre Bewusstseinsstörungen am Telefon so heftig bestreiten, bis der Straßenbahnfahrer zur Wiederherstellung des sozialen Friedens den Notarzt ruft.

Eine gewisse Bahn- und Bahnhofserfahrung ist mir nicht abzusprechen. Ich gehe gern weg und komme gern an, bevor ich mich, äh, nachhaltig verabschieden werde. Mehr hat das Leben nicht zu bieten.

Am Stuttgarter Hauptbahnhof steige ich aus der berühmten Gäubahn, komme gerade aus der nicht minder berühmten Kreisstadt Böblingen, wo ich das fast vergessene Deutsche Bauernkriegsmuseum besucht habe. Die Zukunft dieses kleinen, sehr aufschlussreichen Erinnerungsorts in den Zehntscheuer am Marktplatz ist aus kommunalpolitischen Gründen ungewiss. Sicher ist, dass die nur mit Spießen und Mistgabeln bewaffneten Bauern im Mai 1526 die legendäre Schlacht bei Böblingen gegen das Ross- und Reiterheer der adligen Ausbeuter mit schlimmen Verlusten verloren. Bis heute gilt der Aufstand und revolutionäre Freiheitskampf der Bauern als die größte Massenerhebung der deutschen Geschichte. Deshalb ist es ein engstirnig-provinzieller Gedanke, die Aufarbeitung und Darstellung dieses Kapitels als ein Böblinger Privatproblem zu betrachten.

Im nur einige Gäubahn-Minuten entfernten Stuttgart allerdings, wo sich im Bauernkrieg ebenfalls dramatische und tragische Geschichten zutrugen, war es noch vor wenigen Jahren ein Kraftakt, unserem bedeutendsten Bauernkriegschronisten wenigstens eine Gedenktafel an seinem Geburtshaus zu widmen. Der Historiker und Dichter, Theologe und Radikaldemokrat Wilhelm Zimmermann kam 1807 in der Jakobstraße 6, im Haus mit der heutigen Kneipe Jakob-Stube, zur Welt. Der Widerstand von unten aber war bei uns noch nie ein beliebtes Thema. Das Schild wurde schließlich von Bürgern mit ungestörtem Geschichtsbewusstsein an die Wand geschraubt.

Wenn ich davon berichte, komme ich mir schon wieder vor, als würde ich in der Straßenbahn das Publikum mit meinen Privatproblemen nerven. Geschichte stört viele, selbst jetzt, da Wachsamkeit und Widerstand mit Blick auf Ähnlichkeiten unserer Gegenwart und Vergangenheit Pflicht sind.

Wenn ich am Stuttgarter Bahnhof ankomme, habe ich ein Symbol des Protests gegen die Obrigkeit vor Augen. Die Bilder, wie sich Bürgerinnen und Bürger der Arroganz der Herrschenden widersetzen. Und es ist mir peinlich zu sehen, wie dieser Bahnhof immer aufs Neue verschandelt wird. Nehmen wir die zwei exponiert gehängten Tafeln mit Konsumwerbung in der Halle vor den gefühlt kilometerweit entfernten Gleisen, die den Reisenden auf den Geist in dieser Stadt hinweisen. Auf der einen Leuchttafel steht: „Mir kaufet nix, mir gugget bloß.“ Auf der anderen: „Bei uns in Stuttgart heißt es: Äbbas gscheids zom Ässa.“

Lassen wir mal außer Acht, dass auch im Schwäbischem die Regeln der Groß- und Kleinschreibung gelten und bei solcher Provinzreklame womöglich äbbas Gscheids an Hirnnahrung fehlt. Noch viel peinlicher allerdings ist die neue Propaganda des Stuttgart-21-Kommandos im Bahnhof. In der Schalterhalle hat die Deutsche Bahn Transparente mit fiktiven Abbildungen gehängt, auf denen in Großbuchstaben zu lesen ist: „Freuen Sie sich auf den neuen Bonatzbau!“ Gemeint ist der Bahnhof, der innen rigoros für neue Geschäfte und ein Vier-Sterne-Hotel umgebaut wird. Nur das noch bestehende Äußere soll erhalten werden. Diesen Umgang mit historischer Architektur nennt man „Fassadismus“. Das Wesen des Gebäudes mit seinen weltläufigen Stilelementen ist ohnehin zerstört, seit bei der ersten großen S-21-Invasion der Nord- und Südflügel abgehackt wurden.

Der dumme „Freuen Sie sich“-Spruch aus den Marketingtiefen der Schamlosigkeit sollte nach meinem Empfinden im Namen des Baumeisters Paul Bonatz und seiner Nachfahren strafrechtlich verfolgt werden. Die Ankündigung, es gebe, angeblich 2025, einen „neuen Bonatzbau“, entspricht in etwa diesem Tatbestand: Man nehme eine Skulptur von Picasso, zertrümmere mit einem Vorschlaghammer ihre wesentlichen Elemente, gehe dann mit einer Stihl-Fräse drüber und male sie nach den Vorstellungen deutscher Bahn-Leuchten an. Fertig ist die „neue Picasso-Skulptur“.

Auf der DB-Homepage zum Thema (www.der-neue.de) heißt es zum Bahnhofsumbau: „So wird sich der Bonatzbau wieder den Herausforderungen einer immer mobileren Gesellschaft anpassen und doch bleiben, was er ist: das moderne Stadttor und der Nabel Schwabens.“ Da Stuttgarts ­apokalyptische Bahnhofsgegend dank des herrschenden Größenwahns auch schon mal als „Das neue Herz Europas“ vermarktet wurde, liest sich der „Nabel Schwabens“ fast schon wie die Kapitulation bei der Eroberung der Welt. Dennoch möchte man, die Mistgabel in der Hand, zum Kampf gegen die Worthülsenbauern der Bahn aufrufen. Schon jetzt ist sonnenklar, in welche Liga uns das „moderne Stadttor“ führen wird. Wir sind nicht der „Nabel Schwabens“. Eher der Arsch der Welt.

 

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