Bauers Depeschen


Freitag, 21. Juni 2019, 2100. Depesche

 

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FLANEURSALON AM FLUSS IM HAFEN

Samstag, 6. Juli: Flaneursalon am Fluss. Das 5. Stuttgarter Hafenpicknick am Neckarufer. Hier geht's zum Vorverkauf: EIN TAG AM NECKAR — Telefon 0711/221105



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DAS LIED ZUM TAG



Neue StN-Kolumne

IN DER HÖLLE

Immer wenn ich in der U-Bahnstation Staatsgalerie aussteige, fühle ich mich wie ein Fremder. Nie habe ich anderswo einen auch nur ähnlichen Ort tödlicher Trostlosigkeit betreten. Und jedes Mal, wenn ich ihn sehe, kann ich nicht glauben, was ich sehe. In meinem Alter, da ich angesichts meiner restlichen Fahrzeit jeden Bahnstopp sehr bewusst wahrnehme, ist es an der Zeit, besagten U-Bahnkerker so oft wie möglich aufzusuchen. So werde ich mich leichter an den Anblick der Hölle gewöhnen.

Es gibt ein Sprichwort, wonach Gott das Böse geschaffen hat, damit die Hölle nicht leer steht. Im Fall der U-Bahnstation Staatsgalerie gilt Gottes Wort nicht. In diesem leeren Loch bist du mit Satan allein. Satan arbeitet im Baugewerbe, Abteilung Stuttgart 21, Fachbereich Fußgänger-Killen.

Die Haltestelle Staatsgalerie „mit ihren interessanten Dimensionen, Bauten, Zugängen und Verkleidungen bot die Kulisse der Einweihung am regenreichen 10. Mai 1972“, heißt es in der SSB-Chronik. Gewöhnlich macht einen der Regen im Untergrund nicht nass. Vermutlich aber hat der Teufel schon bei der Eröffnung in diese Kulisse gepisst.

Zwölf Jahre nach der Einweihung der Straßenbahnstation in der Nähe der Alten Staatsgalerie wurde die Neue Staatsgalerie eingeweiht, der international gefeierte und viel diskutierte Bau des Star-Architekten James Stirling. Der Brite sagte damals, er hoffe, dass sein monumental gestaltetes Kunstmuseum auch „populistisch“ im Sinne von volkstümlich geworden sei. Bald war der Neubau ein echter Publikumsmagnet. Das war einmal. Das Museum geht vor die Hunde.

Steigt heute ein Fremder an der Haltestelle zum Museum aus, womöglich in Vorfreude auf Picassos „Badende“, schaut er sich verstört um – und verliest sich vor Schreck: Statt an der Staatsgalerie wähnt er sich in Stammheim. Er kommt hier nicht mehr lebend raus. So taumelter durch das Nirgendwo, stolpert gegen Gerüste, die des Teufels Generalmanager zur Folterung der Passanten erstellen ließ. Der Fremde schaut auf die Gleise und hört das Rattern des Fahrzeugs zum Schafott.

Wer dann immer noch nicht begriffen hat, dass er im Inferno gestrandet ist, erhält die nächste Lektion nach dem Treppenaufstieg zu einem engen Betonschacht Richtung ersehnter Ausgang. Ein Vampir-Geschwader, getarnt als fette Tauben, rauscht im Sturzflug über mich hinweg, als wollte es mir trotz meines stabilen Sommerhuts in der Unterwelt einen blutigen Scheitel ziehen. In diesem Augenblick bin ich mir sicher: Der Lichtschein am Ende des Tunnellabyrinths ist eine Falle. Mir leuchtet Satans Fegefeuer den Weg wie das Licht eines Weihnachtsbaums. Gelockt wurde ich mit dem Versprechen auf große Kunst, auf die Schätze der Stuttgarter Staatsgalerie.

Vermutlich, weil ich zu alt bin, um jung zu sterben, schaffe ich den Weg aus dem Orkus und der Depression zum Tageslicht. Die beelzebübische Pointe bleibt nicht aus: Ich gehe eine Treppe aus der Geisterbahn hoch und lande zwischen verfallenen Häusern. Eine haushohe Wellblechwand ist zu sehen, sie ist so verstörend grün gestrichen, als wollte sie mich vor der politischen Macht in dieser Stadt warnen. Und immer wieder an der Erdoberfläche diese Schilder mit Hinweisen auf die U-Bahnstation Staatsgalerie, auch wenn weit und breit von einer Staatsgalerie nichts zu sehen ist. Das Museum ist eine Fata Morgana.

Du erblickst die Arme von Kränen, das Gewirr aus Absperrgittern und Bauzäunen. In dieser Stadt tobt die Zerstörungs- und Profitwut, während hinter den Stahl- und Betonbarrieren mit letzter Kraft am Bahnhof sich ein Weinberg zu erheben scheint.

Als Fremder gehst du vom Ausgang der Horrorhaltestelle nicht zu den steilen Staffeln Richtung Süden. Du hast Angst, von oben in die Höllenglut des Kessels zu stürzen. Du stiefelst Richtung Straße, vermutlich ist es eine Autobahn, auf der Kriegsgerät in die apokalyptische Landschaft gekarrt wird.

Ich halte mich links, gehe die Rennstrecke entlang in der Hoffnung, die Autos würden mich nicht erwischen. Es ist heiß an diesem Junitag, die Lastwagen und SUV-Geschosse verrichten ganze Arbeit in einer der dreckigsten Autostädte der Welt. Mit etwas Glück erreiche ich eine Chaos-Kreuzung, die als Gebhard-Müller-Platz ausgeschildert ist. An einer Ampel bleibe ich stehen. Ich weiß, dass der Teufel immer noch hinter mir her ist, drehe mich um und frage höflich: Hör mal, Satan, welcher gottverdammte Heuchler hat diese Kreuzung des Straßenkriegs einen „Platz“ genannt? Und Satan antwortet: In dieser Sündenstadt, mein Lieber, ist kein Platz für menschliche Plätze. Diese Stadt wird mit Geld zugepflastert. Ich sage: Das ist wohl wahr, Satan, ich habe davon gehört: Geld stinkt nicht nur, es sieht auch scheiße aus.

Nach gestoppten sechs Minuten zu Fuß an der Autobahn erreiche ich den Haupteingang der Neuen Staatsgalerie, Stirlings grandiosen Bau. Abgeschoben von den größten Banausen der Welt ins Abseits und auf die Müllhalde eines Größenwahnprojekts namens Stuttgart 21.

Ich bete zum Himmel, Picasso möge seinen Lieblingsdackel Lump, den ihm einst ein amerikanischer Freund aus Stuttgart nach Südfrankreich mitgebracht hat, auf die Provinzpolitiker und Profithaie in dieser Stadt hetzen. Lump soll vom Hundehimmel herunterwedeln und sie in die Weichteile beißen, bis sie spüren, was sie dieser Stadt und ihrer Kunst in ihrer Goldgräbergier antun. e

Und dann kehre ich doch noch einmal zurück in die Haltestelle Staatsgalerie, die unschuldige Passanten hinters Licht und ins Verderben führt. Ich werde einen Pakt schließen. Die Betonköpfe da oben soll der Leibhaftige holen. Sie haben es verdient und müssen schmoren in ihrer Unterwelt. So wahr, wie der Teufel mit seinem Pferdefuß das Stuttgarter Wappen ziert.



 

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