Bauers DepeschenFreitag, 07. Juni 2019, 2097. DepescheAKTION GEGEN IMMOBILIEN-KUNGELEI Am Montag, 1. Juli, geht im Stuttgarter Rathaus wieder der sogenannte Immobilien-Dialog über die Bühne. Das Aktionsbündnis Recht auf Wohnen ruft an diesem Tag zum Protest gegen diese Kungelei zwischen Politik und Bauwirtschaft auf. Die Kundgebung auf dem Marktplatz beginnt um 18 Uhr mit einer kurzen Montagsdemo gegen das Immobilienprojekt Stuttgart 21, anschließend Aktionen zum Thema "Stuttgart ist unsere Stadt - nicht die der Spekulanten". Musik mach Stefan Hiss. FLANEURSALON IM HAFEN Samstag, 6. Juli: Flaneursalon am Fluss. Das 5. Stuttgarter Hafenpicknick am Nneckarufer. Hier geht's zum Vorverkauf: EIN TAG AM NECKAR — Telefon 0711/22 11 05 Hört die Signale! DAS LIED ZUM TAG Neue StN-Kolumne: DER NECKARMANN Eine Merkwürdigkeit namens Stuttgart hat mich gelehrt, mich über nichts mehr zu wundern. Als Mantra zum Überleben in dieser Stadt dienen mir längst nicht mehr Worte, sondern die Gesichtszüge des Häuptlings Sitting Bull. Sie sind wie ein Gedicht. Der Sioux-Chef steht als Statue auf meinem Schreibtisch. Gemeinsam mit solidarischen Kollegen hat er am Little Big Horn das 7. US-Kavallerieregiment unter dem Befehl des größenwahnsinnigen Oberstleutnants George A. Custer geschlagen. Ich muss Ihnen nicht sagen, dass ich dabei war. Die Schlacht fand statt am 25. Juni 1876. In ein paar Tagen werde ich mit Sitting Bull wieder den Jahrestag unseres Triumphs feiern. Mit meiner Partnerin paddle ich in einem gemieteten Kanadier vom Keefertal in der Nähe des erhebend schönen Max-Eyth-Stegs flussaufwärts. Flussabwärts, hat mir ein Schiffer gesagt, würde ich den Jachthafen erreichen und dort auf nicht gerade gastfreundliche Eingeborene stoßen. Deshalb Gegenrichtung. Wir schippern am Ufer entlang, um nicht mit einem Frontalzusammenstoß einen der Lastkähne auf dem Neckar zu versenken. Beinahe geraten wir in die Schnüre zweier nicht besonders amüsierter Angler. Als wir später einen der Männer an einer Straßenbahnhaltestelle wiedererkennen, schleppt er eine Ausrüstung mit sich, vor der sich Moby Dick gefürchtet hätte. Nachzutragen ist, dass sich für ein Menschenpaar beim Bootfahren entscheidet, ob es eine Zukunft hat. Nichts zerstört eine Beziehung gründlicher als der falsche Rhythmus beim Paddeln. Der Name Keefertal für Stuttgarts einzige Gaststätte direkt am Neckarufer existiert nicht mehr. Sie heißt jetzt Riverhouse und präsentiert ihren Gästen Riverboats, Riverbeach und gegenüber das Weinberghaus Riverview, das Domizil des Männergesangvereins Eintracht Frohsinn. Das Riverhouse selbst hat nur sonn- und feiertags geöffnet. An allen anderen Tagen wird es vermietet für Hochzeiten und ähnliche Team-Events. Anbieter des Ausflugsorts ist die CT Corporate Travel & Events Cool Tours GmbH & Co. KG. Das Gelände wurde neugestaltet. Kinderspielplatz, Sandstrand mit Liegen und Palmen, Bootsverleih mit Kanadiern und Stand Up Paddles (Bretter, die man im Stehen mit dem Stechpaddel bewegt). Die Terrasse am Wasser ist noch so ähnlich wie früher. An diesem Platz gefällt es mir. Ich trinke eine gute hausgemachte Limonade, summe das Lied „Ol‘ Man River“ vor mich hin und spucke in den Fluss. Der Neckar weiß, dass ich nicht ihn persönlich meine. Das schöne, traurige Lied ist mehr als neunzig Jahre alt, und am Rassismus, von dem es erzählt, hat sich so gut wie nichts geändert. Das Keefertal ist vergessen. Der Name des Fischermeisters Emil Keefer, der 1945 am Neckarufer eine Holzhütte für die Schützengesellschaft Tell baute und damit den Grundstein für die Gaststätte legte, wurde gelöscht. Ich weiß nicht, ob Emil ein anständiger Kerl war und gut zu den Fischen. Sicher bin ich mir, dass es ein Fehler ist, Hinweise auf die Geschichte von Orten und Menschen einer Stadt zu beseitigen. Der gedankenlose Gebrauch englischer Begriffe macht eine Stadt nicht „moderner“. Sie wird nur langweiliger, als sie ohnehin schon ist. Alberne Allerweltsnamen erzählen keine Geschichten. Vielleicht denken Provinzgeister aus dem Marketinggeschäft, ein amerikanisches Riverhouse klinge für ihr vermutlich global konzipiertes Tourismus-Business geschmeidiger als ein geheimnisvolles Keefertal. Vielen Leuten war der alte Name ja ohnehin ein Rätsel, und nicht wenige im Zeitalter grassierender Rechtschreibschwächen gingen davon aus, der Name Keefertal würdige zum Leidwesen von Mercedes einen legendären VW, der besser schwimmen konnte als jeder Mistkäfer, jedenfalls im Kino. Zur Besänftigung der patriotischen Heimatfront sei erwähnt: Es war Gottlieb Daimler, der als erster Mensch mit einem Motorboot den Neckar befuhr – nur zehn Jahre, nachdem Sitting Bull und ich das 7. US-Kavallerieregiment so lässig zerstört hatten, als ginge es um einen Haufen vergreister Parteisoldaten der CDU. Unsereiner hat es schwer als Neckarmann, der weiß, dass das Motto „Stadt am Fluss“ nie mehr ist als nur Geschwätz. In Wahrheit dreht sich in unserer kleinen Stadt des Größenwahnsinns alles um den Geldfluss, in dem Immobilienhaie schwimmen. Limonade schlürfend sitze ich auf der Riverhouse-Terrasse. Jeder Freund des Flusses kennt Mark Twains Satz, wonach der Neckar schmal genug ist, um einen Hund hinüberzuwerfen, falls man einen hat. Weil ich keinen habe, spucke ich heimlich in die Luft, bis ich mir sicher bin, einen feindlichen Jachtkapitän versenkt zu haben. An meinem Nebentisch wird Amerikanisch gesprochen. O my God, sage ich, die neue Vermarktungsstrategie trägt schon Früchte. Die ersten Touristen sind mit einem Kreuzfahrtschiff eingefallen, sie kommen vom Ol‘ Man River, dem Mississippi. Ich nehme mein Herz in die Hand und gehe zu den Amerikanern. Verzeihung, Ladies und Gentlemen, sage ich, darf ich fragen, woher Sie kommen? Sure, sagt einer, wir kommen von den Robinson Baracks. So heißt das Wohnquartier hoch über dem Neckar auf dem Burgholzhof, einem früheren Stützpunkt der US-Militärs. Ich bedanke mich und wünsche den Amerikanern viel Glück beim Hundewerfen an unserem River. Sie ahnen nicht, dass ich mit Sitting Bull schon bald den 143. Jahrestag unseres Siegs über das 7. Kavallerieregiment feiern werde. |
Auswahl |