Bauers Depeschen


Freitag, 18. Januar 2019, 2058. Depesche



 



EMPFEHLUNG.

Die Kabarettistin und Liedermacherin Uta Köbernick zeichnet sich mit einer Eigenwilligkeit aus, hinter der künstlerische Haltung steckt. Ihre Lieder und Nummern zwischen poetischer Kraft und subversiver Pointiertheit machen sie auf der Bühne unberechenbar. Ihre Show heißt folgerichtig „Ich bin noch nicht fertig“: Man weiß ja nie ... Am Mittwoch, 23. Januar, gastiert sie in der Rosenau. (Uta war mehrfach im Flaneursalon zu Gast. In diesem Jahr tritt sie auch bei der „Nacht der Lieder“ auf.)



450. MONTAGSDEMO

Am Montag, 28. Januar, findet am Hauptbahnhof die 450. Montagsdemo gegen Stuttgart 21 statt. Es sprechen die Schriftstellerin und Mafia-Expertin Petra Reski, der „Stern“-Autor und S-21-Kenner Arno Luik und unsereins. Angelika Linckh moderiert. Musik machen Stefan Hiss & Los Santos. Beginn 18 Uhr. Um 19.30 Uhr liest Petra Reski im Rathaus aus ihrem Roman „Bei aller Liebe“. Einleitend stelle ich ihr ein paar Fragen. Zum Thema Mafia & S 21 hab ich vor ziemlich genau einem Jahr diese StN-Kolumne geschrieben:



GUTE KONTAKTE

Was für ein herzerwärmender Januar 2018. Auf dünnen Sohlen und mit offener Jacke gehe ich durch die Stadt, was dem Rest der Welt wurscht sein kann. „Die Welt hat mich vergessen“, hat Nina Hagen vor 40 Jahren gesungen. Damals war ich so jung, dass es praktisch noch nichts zu vergessen gab.

Bei unserem heutigen Tempo sind ein paar Jahrzehnte so gut wie nichts. Vor 24 Jahren hat „Der Spiegel“ unter dem Stichwort „Kriminalität“ über einen Stuttgarter „Pizzabäcker“ und dessen „CDU-Spezi“ berichtet. Kommt einem vor wie gestern. Es ging um den späteren Digitalkommissar Günther Oettinger und seinen Duzfreund Mario Lavorato: „Als fröhlicher Wirt arbeitet er in seinem Pizza-Restaurant Da Mario, belieferte gegen stattliches Honorar Feste der CDU-Landtagsfraktion und spendete rund 4500 Mark an die Union. Er legte großen Wert auf seine guten Kontakte zu Polizisten und Politikern.“

Seine guten Kontakte zur Polizei hat der fröhliche Wirt gerade wohl aufgefrischt: Im Rahmen einer großen Mafia-Razzia wurde er diese Woche anscheinend festgenommen. Hinterher rätselte „Die Welt“: „Ist Pizzeriawirt Mario der Pate von Stuttgart“?

Mein Gott, „Der Pate“. 1972 hat uns Francis Ford Coppolas grandioser Film über die Corleones umgehauen. Bald schon sollte dieses Werk einen berühmten Satz Oscar Wildes bestätigen: „Das Leben imitiert die Kunst.“ Marlon Brando, Al Pacino & Co. lehrten nicht nur Gangstern Stil. Auch die allseits gelobte Ausstattung üppiger Feste für die CDU und ihre Kessel-Corleones in der Stuttgarter Provinz profitierte davon.

Nach dem Besuch des Paten habe ich nicht ohne Ehrfurcht in jedem Patron einen Mafioso oder ein Mafia-Opfer gesehen. Nie werde ich vergessen, wie mir mal ein bekannter Restaurantchef auf meine zu laut gestellte Frage „Na, was machen die Schutzgelder?“ für alle Gäste gut hörbar antwortete: „Kein Problem, Junge. Bei mir zahlen alle.“

Das war in einer Ära, als wir im Nachtleben ständig das Kino imitieren mussten, weil auch noch die langweiligsten Filme spannender waren als Stuttgart.

Im Lauf der Zeit hat das Mafia-Leben die Nachahmung guter Kunst etwas vernachlässigt. Als im April 2014 „Spiegel“, ARD und „WAZ“ nach gemeinsamen Recherchen über den Mafia-Einfluss in der deutschen Bauwirtschaft berichteten, wurde ein Kriminalbeamter mit den Worten zitiert: „Es gibt hierzulande keine einzige Großbaustelle, an der die Mafia nicht verdient.“ Schon damals, erfuhren wir, lebte der Großteil der in Deutschland operierenden Mafia-Mitglieder in Baden-Württemberg.

Stuttgart selbst konnte davon selbstverständlich nicht betroffen sein – handelt es sich doch bei Stuttgart 21 nie und nimmer um eine schlichte Großbaustelle, sondern um ein Jahrhundertwerk sensationeller Ingenieurkunst, gewidmet allein dem „Fortschritt“ und der „Zukunft“. Dass es bei diesem Milliardenspiel allerdings ebenso wenig um ein profanes „Verkehrsprojekt“ gehen kann, wie Planer und Befürworter behaupten, haben wir erst dieser Tage wieder erfahren: Die Deutsche Bahn hat gar nicht vor, im Zuge von S 21 viele Züge zum Wohl der Kundschaft verkehren zu lassen. Am Flughafen zum Beispiel wird kein einziger ICE halten, und Fernverkehrszüge sollen dort nur ab und zu mal stoppen. Wer sich erinnert, dass uns die Propaganda einst S 21 als „Neues Herz Europas“ verkaufen wollte, muss sich heute anatomisch etwas tiefer orientieren: Unsere Superpumpe ist ziemlich am Arsch. Bald reisen wir im Rhythmus der Pferdedroschken.

Und doch gilt die uralte Erkenntnis von Stuttgart-21-Kritikern als skandalös, wonach es bei S 21 nicht um ein U-Bahnhöfle und flotte Züge, sondern nur um Profite für Bodenspekulanten und Immobilienhaie geht. Für mich wiederum spielt der Bahnhof bei Stuttgart 21 nur insofern eine Rolle, als der alte Bonatz-Bau dem Immobiliengeschacher im Weg steht und deshalb zerstört werden muss.

Zuletzt hat sich S 21 einen geradezu beispielhaften Ruf zur Abwehr ernsthafter Kritik erarbeitet: Die Milliardengrabgesänge taugen nur noch als Vorlage für Komiker. Die Kosten schwirren in einem so abstrakten Bereich herum, dass auch über technische Desaster lauthals gefeixt wird. Wenige Tage vor der 400. Montagsdemonstration gegen Stuttgart 21 vor der Bahnhofsruine werden deshalb der übliche Hohn und Spott für die Gegner zum Bumerang für die Befürworter: Die Vorhersagen der Kritiker erweisen sich heute so oft als richtig, dass viele von ihnen in den sozialen Medien auf die immer neuen Hiobsbotschaften nur noch achselzuckend reagieren: „Überraschung“. Ähnlich lapidar kommentiert man Meldungen wie „S 21 braucht weitere Milliarden“ mit den Worten: „Ich auch.“

Dass Politiker und Manager in ihrem Größen- und Machbarkeitswahn Steuergeld zum Schaden der Menschen und ihrer Stadt missbrauchen, wird vom sarkastischen Beifall für das absurde Dorftheater fast verdrängt. Und wenn die Parteien, die S 21 seit jeher unbelehrbar durchprügeln, jetzt der Bahn die Schuld für das Desaster geben, kommt ihr Verlautbarungsgetue nur noch als peinliche Heuchelei daher.

Das journalistische Portal Correctiv mit Büros in Berlin und Essen hat dieser Tage über Mafia-Clans in Deutschland berichtet. Demnach sollen der schon im Herbst verhaftete Mafia-Boss Salvatore Rinzivillo „und seine Mitarbeiter ihr Auge auf das derzeit größte deutsche Bauprojekt geworfen haben: Stuttgart 21“. Laut diesem Bericht wollten mutmaßliche Clan-Mit­glieder im geplanten S-21-Projekt Rosensteinviertel sieben Häuser bauen. Ein inzwischen ebenfalls inhaftierter Mafioso aus Köln soll für dieses Phantomquartier auf dem noch nicht geräumten Gleisfeld mit einer italienischen Baufirma Kontakt aufgenommen haben. „Warum die Mafiosi schon so konkret von sieben Häusern sprachen, die sie in Stuttgart bauen wollten, ist unklar“, heißt es auf der Correctiv-Seite im Internet. „Das Bauprojekt Stuttgart 21 befindet sich noch in einer frühen Phase: Es gibt noch nicht einmal Architektenpläne für die zukünftigen Wohnimmobilien.“

Ach ja, die Zukunft. Womöglich wurde auch sie längst verscherbelt.

 

Auswahl

27.08.2022

24.08.2022

22.08.2022
17.08.2022

14.08.2022

10.08.2022
07.08.2022

06.08.2022


Depeschen 2281 - 2310

Depeschen 2251 - 2280

Depeschen 2221 - 2250

Depeschen 2191 - 2220

Depeschen 2161 - 2190

Depeschen 2131 - 2160

Depeschen 2101 - 2130

Depeschen 2071 - 2100

Depeschen 2041 - 2070

Depeschen 2011 - 2040

Depeschen 1981 - 2010

Depeschen 1951 - 1980

Depeschen 1921 - 1950

Depeschen 1891 - 1920

Depeschen 1861 - 1890

Depeschen 1831 - 1860

Depeschen 1801 - 1830

Depeschen 1771 - 1800

Depeschen 1741 - 1770

Depeschen 1711 - 1740

Depeschen 1681 - 1710

Depeschen 1651 - 1680

Depeschen 1621 - 1650

Depeschen 1591 - 1620

Depeschen 1561 - 1590

Depeschen 1531 - 1560

Depeschen 1501 - 1530

Depeschen 1471 - 1500

Depeschen 1441 - 1470

Depeschen 1411 - 1440

Depeschen 1381 - 1410

Depeschen 1351 - 1380

Depeschen 1321 - 1350

Depeschen 1291 - 1320

Depeschen 1261 - 1290

Depeschen 1231 - 1260

Depeschen 1201 - 1230

Depeschen 1171 - 1200

Depeschen 1141 - 1170

Depeschen 1111 - 1140

Depeschen 1081 - 1110

Depeschen 1051 - 1080

Depeschen 1021 - 1050

Depeschen 991 - 1020

Depeschen 961 - 990

Depeschen 931 - 960

Depeschen 901 - 930

Depeschen 871 - 900

Depeschen 841 - 870

Depeschen 811 - 840

Depeschen 781 - 810

Depeschen 751 - 780

Depeschen 721 - 750

Depeschen 691 - 720

Depeschen 661 - 690

Depeschen 631 - 660

Depeschen 601 - 630

Depeschen 571 - 600

Depeschen 541 - 570

Depeschen 511 - 540

Depeschen 481 - 510

Depeschen 451 - 480

Depeschen 421 - 450

Depeschen 391 - 420

Depeschen 361 - 390

Depeschen 331 - 360

Depeschen 301 - 330

Depeschen 271 - 300

Depeschen 241 - 270

Depeschen 211 - 240

Depeschen 181 - 210

Depeschen 151 - 180

Depeschen 121 - 150

Depeschen 91 - 120

Depeschen 61 - 90

Depeschen 31 - 60

Depeschen 1 - 30




© 2007-2024 AD1 media ·