Bauers Depeschen


Samstag, 29. Dezember 2018, 2053. Depesche



 



Der Schriftsteller WOLFGANG SCHORLAU bespricht in der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung "kontext" mein Kolumnenbuch „Im Staub von Stuttgart“ - und erzählt, was ich mit seinen Rückenschmerzen zu tun habe. Hier der Klick zu seinem Text: WOlFGANG SCHORLAU



Noch mal der Hinweis: Für den FLABEURSALON an diesem Sonntag im Bix musste ich die Besetzung ändern. Eric Gauthier musste aus triftigen Gründen kurzfristig absagen. Es spielen: Eva Leticia Padilla & Stefan Brixel, Toba & Pheel und Loisach Marci. Es gibt nur noch Restkarten.



Hört die Signale!

DAS LIED ZUM TAG



Dies ist meine letzte "Stuttgarter Nachrichten"-Kolumne als Lohnabhängiger:

EINE GEHT NOCH

Kurz vor dem Jahreswechsel spaziere ich ziellos durch Feuerbach. Erst durch das alte Arbeiterviertel Föhrich mit Blick auf die Weinberge, dann durch die österreichisch gefärbte Gegend in der Nähe des Willi­Geiger-Platzes. Mit der Schluchten- und Alpenrepublik selbst hat dieses Revier nichts zu tun. Nach dem Machtantritt der Nazis wurde Feuerbach am 1. Mai 1933 nach Stuttgart zwangseingemeindet. Noch im selben Jahr hat man etliche Straßen zu Ehren eines Österreichers nach Städten und Regionen seines Landes benannt, so die Wiener, die Linzer und die Steiermärker Straße.

Anderntags wechsle ich die Himmels­richtung und reise nach Uhlbach zum Mittagessen im Ochsen. An einigen Bäumen im Flecken hängen noch Äpfel, niemand will sie haben in diesem Jahr. Nicht mal die Vögel. Selbst in diesem weit abgelegenen, sehr schön gelegenen Dorf in den Grenzen unseres Großdorfs Stuttgart findet man Namen, die man zu Ehren des Österreichers vergeben hat: 1937 die Innsbrucker und die Kufsteiner Straße beispielsweise.

Geboren wurde besagter Österreicher in Braunau, seine deutsche Staatsbürgerschaft erhielt er in Braunschweig. Wenn ich durch die Straßen gehe, die einst an Österreich erinnern sollten, um einem größenwahnsinnigen Braunen zu schmeicheln, frage ich mich, wie viel braune Gesinnung heute in Berg und Tal durch die Straßen marschiert. Etliche Leute werden mir sagen: Das müssen wir endlich vergessen! Alles, was war und ist und sein wird, in Uhlbach und Tirol.

Wenn übermorgen um Mitternacht das neue Jahr beginnt, werden wir schon vergessen haben, dass wir im alten Jahr nicht Fußballweltmeister geworden sind. Diese Schmach ist leicht zu verkraften, seit die Stuttgarter Kickers auf Platz zwei der fünften Liga stehen – hinter Freiberg am Neckar im Kreis Ludwigsburg, europäische Metropolregion Stuttgart.

Das mit Europa wird voraussichtlich auch nichts mehr. Ist uns gleichgültig. Hauptsache, die Atlantik-Brücke der Geschäftemacher funktioniert, während Menschen im Mittelmeer ertrinken. Es ist eine der kuriosesten Nachrichten des Jahres, wonach der neoliberale Atlantiker und Black-Rock-Krösus Friedrich Merz Ministerpräsident in Baden-Württemberg werden soll. Als ob die CDU nicht längst ihren denkbar besten Regierungschef gefunden hätte. Er heißt Winfried Kretschmann. Seinem Geburtsort hat man in weiser Voraussicht in Stuttgart-Sillenbuch 1957 die Spaichinger Straße gewidmet. Da war er neun Jahre alt und in seiner vorrevolutionären Phase. Später wurde er, hat der Kabarettist Max Uthoff herausgefunden, „der erste Ministerpräsident aus biologischem Anbau“.

Die Biologie ist naturgemäß das größte Problem des Menschen: Leben bedeutet Altern. Auf einer Wissensseite des Bayerischen Rundfunks habe ich gelesen: „Eigentlich altern wir Menschen ja schon, bevor wir geboren werden: Bereits im Embryo finden Vorgänge statt, bei denen sich bestimmte Körperzellen zerstören. Auf diese Weise verschwinden zum Beispiel die Schwimmhäute, die der menschliche Embryo in einer frühen Entwicklungsphase zwischen Fingern und Zehen trägt.“

Guten Gewissens darf ich behaupten, dass ich altersgemäß meine Schwimmhäute komplett abgelegt habe, was mich freilich nie daran hindern konnte, fortwährend ins Schwimmen zu geraten. Nicht nur im Mineralbad. Jetzt habe ich angesichts der biologischen Tatsache des Alterns ein neues Ufer erreicht und bewege mich nach meiner oralen und analen Phase demnächst im banalen Rentnerrhythmus. Da Herz- und vor allem zahlreiche Hirnzellen beim Menschen nicht erneuert werden, kann ich nur hoffen, dass ich vom ewigen Leben verschont bleibe.

Was „Rente“ heißt, kann ich noch nicht beurteilen, weil ich bisher nur Rentenbeiträge gezahlt, aber keine erhalten habe. Wenn ich sie im Januar 2019 erstmals einstreiche, bedeutet das nicht zwingend, nie mehr Feuer- und Uhlbach anzusteuern. Sofern die biologischen Voraussetzungen mitspielen, werde ich von kommendem Februar an einmal wöchentlich meine Kolumne „In der Stadt“ füllen. Dann allerdings nicht mehr als Freigänger im Angestelltenverhältnis, sondern als sogenannter freier Mitarbeiter.

Mit dem Wort „frei“ gehe ich seit jeher vorsichtig um. Ständig wird es missbraucht. Fragen Sie mal Friedrich Merz nach der „freien Marktwirtschaft“ – dann wird Ihnen himmelangst. Dieser gehobene Mittelschichtler aus der Millionärsliga wird Ihnen sagen, dass viele Rentner nur deshalb leere Flaschen sammeln, weil sie nicht genügend Vermögen in Aktien und ähnliche Glücksspiele im Kasino-Kapitalismus investiert haben. Eine anständige, vom Staat geregelte Rente passt schon heute nicht mehr in die „freie Marktwirtschaft“, so wenig wie eine humane Stadtplanung mit wirksamer Mietbremse zur Durchsetzung unseres Rechts auf Wohnen. Das große Spiel heißt: Die Bank gewinnt.

Je länger ich über das Rentnerdasein nachdenke, desto mehr wird mir klar: Ein aus biologischen Gründen von zwanghafter Arbeit befreiter Mensch wird viel zu tun haben, will er mithelfen, vor seiner Haustür die letzten Quadratmeter Freiheit zu verteidigen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerk­samkeit, liebe Leserin, lieber Leser, das war meine letzte Kolumne als Lohnabhängiger. Ich wünsche Ihnen ein gutes neues Jahr: Friede, Freiheit, Apfelkuchen.

 

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