Bauers Depeschen


Sonntag, 23. Dezember 2018, 2050. Depesche

LIEBE GÄSTE,

für den Flaneursalon am Sonntag, 30. Dezember, im Bix Jazzclub muss ich eine Besetzungsänderung vornehmen: Eric Gauthier hat kurzfristig abgesagt, weil er aus familiären Gründen dringend in seine Heimat Kanada reisen muss. Für ihn spielt jetzt Loisach Marci - das alpine Folk-Feuerwerk mit Marcel Engler und Erics Gitarrist Jens-Peter-Abele. Außerdem dabei: die amerikanische Sängerin Eva Leticia Padilla und ihr Gitarrist Stefan Brixel sowie der Freestyle-Rapper Toba Borke und der Beatboxer Pheel. Es gibt noch Karten für sogenannte Stehplättze - für die Stühle (ohne Tische) bereit stehen: BIX JAZZCLUB



BÜCHER ZU WEIHNACHTEN

Signierte Exemplare meines neuen Buchs gibt es vor Weihnachten auf vielfachen Wunsch im Stiefelladen Boots by Boots an der Ecke Gerber-/Christophstraße - und eine Handvoll auch bei Ratzer Records in der Hauptstätter Str. 154 am Marienplatz. Nicht mit meinem Gekritzel entwertete Bücher erhält man in Buchhandlungen, solange es die noch gibt. Geht hinaus in den feuchten Staub von Stuttgart und holt euch die Dinger.



WOLFGANG POHRT GESTORBEN

Am vergangenen Freitag ist in Stuttgart der Sozialwissenschaftler, Schriftsteller und Ideologiekritiker Wolfgang Pohrt im Alter von 73 Jahren gestorben. Nach einem Krankenbesuch Bein ihm zusammen mit seinem Verleger Klaus Bittermann hab ich im April dieses Jahres diesen Text dazu gemacht: VERMIISST



Hört die Signale!

DAS LIED ZUM TAG



StN-Kolumne

UNTER ELCHEN

Im Weltweihnachtscircus auf dem Wasen treten Tom und Pepe auf und nennen sich zur besseren Einordnung ihrer Persönlichkeit „außergewöhnliche Idioten“. Vermutlich dient diese Bezeichnung der Unterscheidung von ihrer Umgebung: Die beiden Clowns spielen mitten im Publikum – und damit in einer Manege, in der gewöhnlich auch Idioten wie unsereiner sitzen.

Es ist mir in den vergangenen zwei Jahrzehnten zur Gewohnheit geworden, keine Weihnacht ohne Besuch des Weltweihnachtscircus hinter mich zu bringen. Vermutlich pflege ich solche Rituale in der Hoffnung auf einen Stillstand im Leben. Sie sind der Versuch, mit Wiederkehrendem die Zeit anzuhalten – ausgerechnet im ­Zirkus, wo Tempo und Lebensgefahr entscheidende Rollen spielen.

Als ich kurz vor Mitternacht aus dem Zirkus nach Hause komme, lese ich die Nachricht vom Tod des Malers und Zeichners, Dichters und Satirikers F. W. Bernstein. Er war der etwas andere Zirkus: ein scheinbar unscheinbarer, sich selbst klein machender Gigant. Ein Außergewöhnlicher in der Ausleuchtung alltäglicher Idiotie.

Auch wenn das Wort „genial“ heute in seiner idiotischen Anwendung kaum mehr bedeutet als „geil“ oder „cool“, ist F. W. Bernstein aus meiner Weltsicht ein Genie: Wer schon kann alles, was er zu sagen hat, mit derselben außergewöhnlichen Qualität malen oder zeichnen, schreiben oder dichten – je nach Bedarf.

Warum ich Herrn Bernstein in meiner Kolumne „In der Stadt“ erwähne, hat einen simplen, immer wiederkehrenden idiotischen Grund: Er hat mit dieser Stadt gar nicht so wenig zu tun. 1938 als Fritz Weigle in Göppingen geboren, besucht er nach seinem Abitur am Hohenstaufengymnasium von 1956 an die Stuttgarter Kunstakademie auf dem Weißenhof. Dort lernt er seinen Bruder im Geiste Robert Gernhardt kennen. Zwei Jahre später gehen beide zum Studieren nach Berlin, bevor F. W. Bernstein, wie er sich bald nennt, für seine Kunsterzieherprüfung noch einmal nach Stuttgart zurückkehrt. Von 1964 an arbeitete er zusammen mit Gernhardt bei der Satirezeitschrift „Pardon“, später bei ­„Titanic“. Oliver Maria Schmitt, auch ein Satiriker mit schwäbischem Migrationshintergrund, hat den schönen Satz geschrieben, F. W. Bernstein sei „genauso berühmt, wenn nicht sogar noch berühmter als sein langjähriger Freund, Weggefährte, Mit­bewohner und Mitarbeiter Robert Gernhardt. Nur halt nicht so bekannt.“ Gernhardt ist 2006 gestorben – und heute ein Reclam-Klassiker.

An dieser Stelle bitte ich um Pardon für meine idiotische Gewohnheit, Menschen und Ereignisse ständig mit Stuttgart in Verbindung zu bringen. Auf Strafmilderung bei der Beurteilung dieser Idiotie plädiere ich, weil ich mich mit meinem Flecken Welt stets in der Hoffnung beschäftige, in bedeutendere Welten vorzudringen. So auch im Fall Bernstein/Gernhardt. Es wäre eine außergewöhnlich intelligente Geste, würde sich im oft genug idiotischen Selbstbeweihräucherungszirkus dieser Stadt irgendwer um eine ehrbare Erinnerung und würdige Zurschaustellung dieser frühen Aka-Früchtchen und späteren Kopfriesen kümmern. Zu viele große Menschen mit Stuttgarter Staub in den Lungen versinken unbeachtet in den Tiefen des Kessels.

Womöglich blüht das auch dem Künstler, Pädagogen und Professor F. W. Bernstein, der uns den größten Zweizeiler der Welt hinterlassen hat: „Die schärfsten Kritiker der Elche / waren früher selber welche.“ Dieser Vers wird noch Bestand haben, wenn die Elche von dieser Welt verschwunden sind wie die Tiger und Löwen, die Kamele und Elefanten aus dem Weltweihnachtscircus. Bekanntlich haben die fortschrittlichen Kräfte unseres Gemeinderats den letzten „Wildtieren“ und deren Trainern in den letzten Zirkussen Auftrittsverbot auf Stuttgarter Grund und Boden erteilt. Ein großer Akt im Kampf um eine humanere Welt angesichts der Tatsache, dass im alltäglichen Raubtierkapitalismus noch jeder Immobilienhai seine nicht artgerechten Nummern ungehindert in der städtischen Manege aufführen darf.

Was aber könnte ich, besorgt um das Wohlergehen der „Wildtiere“, anderes sagen als frei nach Peter Zadek: Ich bin kein Elefant, Madame.

Da Stuten und Hengste nicht mehr zu den Wildtieren zählen, seit sie nicht mehr mit dem Lasso gefangen werden, erleben wir im Weltweihnachtscircus diesmal eine große Pferdeoper. Die neue Show versprüht eher sparsam Sägemehlgeruch. Unsere Gedanken tanzen in einem russischen Ball Pompös, einem folkloristischen Mix aus Las Vegas und Berliner Friedrichstadtpalast, dominiert vom Ensemble des Gia Eradzes Royal Ballet. ­Dazwischen betören wieder mal großartige Artisten wie der Jongleur Michael Ferreri, die Luft- und Wassertänzerinnen Anastasia Makeeva und Laura Jayne Miller oder die Körperkünstler von White Gothic. Manchmal fällt es mir jedoch nicht leicht, vor lauter Glitzerwald die Bäume zu sehen. Auch die in der Manege wehenden Flaggen von Ungarn, Russland und Deutschland irritieren – im Zirkus der Welt.

Aber gut, den Weltweihnachtscircus hat im Jahr des 250-jährigen Bestehens des Zirkus an sich die Springbrunnen-Revue erobert. Und die Kritiker der Elche sind auch bloß Idioten.

 

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