Bauers Depeschen


Dienstag, 16. Oktober 2018, 2023. Depesche



 



STUTTGARTNACHT

An diesem Samstag lese ich bei der Stuttgartnacht was vor: 20 Uhr, Stadtbüro StZ/StN am Hans-im-Glück-Brunnen.



20 Jahre Flaneursalon: Das Foyer des Gustav-Siegle-Hauses ist am Sonntag ab 17:30 Uhr geöffnet. Beginn 19 Uhr. Der Abend ist ausverkauft.



Hört die Signale!

DAS LIED ZUM TAG



FLANEURSALON: ZUGABE IM SCHLESINGER.

Da der Flaneursalon im Gustav-Siegle-Haus frühzeitig ausverkauft ist, gibt‘s eine kleine Zugabe: Flaneursalon, die gepflegte Winterabendshow, am Di, 11. DEZEMBER, im schönen Wirtshaus SCHLESINGER INT. Mit Stefan Hiss, Eva Leticia Padilla und Timo Brunke. Karten im Lokal.



StN-Kolumne vom 8. 10. 18

DER SCHWANZ HAT SCHULD

In der Stadt herrscht die Rattenplage, was erst auffiel, als die niedlichen Nager den akademischen Korpus des Kessels angriffen: Sie fraßen und zerstörten im Stadtgarten Archivbestände der Universität im Wert von 200 000 Euro. Wohl bekomm’s! Bisher wissen wir nichts über das Motiv dieser Attacke. Die Ratten hätten allen Grund, sich für ihre unqualifizierte Darstellung in literarischen und anderen intellektuellen Absonderungen ihres Erdenmitbewohners namens Mensch zu rächen. Die meisten charakterlichen Deutungen sind gespickt mit verlogenen Klischees: Ratten sind angeblich hinterhältig, feige und verseucht.

Wenn in Stuttgart jetzt die Ratten tanzen, sollte die Stadt stolz sein, endlich mal mit großstädtischer Power zu punkten. In Berlin beispielsweise war schon immer Rattenalarm. Ich erinnere mich an Zeiten, als meine Freunde in der Frontstadt ihre Klodeckel mit Telefonbüchern beschweren mussten, damit die Tierchen nicht übers Toilettenrohr in ihre Bude eindrangen, um mit ihnen die Matratze zu teilen.

Heute hat fast niemand mehr ein Telefonbuch im Haus. Womöglich muss ich damit rechnen, dass mich ein Nager neckisch ins Gemächt beißt, während ich gerade, beim Studium der Weltnachrichten via Mobiltelefon, mein Geschäft verrichte. Exakt in dieser Position brach ich im vergangenen August in Panik aus, als ich auf dem Handy über der heruntergelassenen Hose die Schlagzeile einer Hauptstadtzeitung las: „Dieses nagende Gefühl: Übernehmen die Ratten Berlin?“ Verdammt, dachte ich, es ist wieder so weit: Uns droht die feindliche Machtübernahme. Braune Rattenfänger erobern den Reichstag.

Rasch erhob ich mich, bewaffnete mich mit meiner stets ungesicherten Klobürste und forderte brüllend zum Kampf auf: Nur Ratten verlassen das sinkende Schiff!

Zum Glück stellte sich bei weiterer Online-Lektüre der „Berliner Zeitung“ heraus, dass „in der braunen Brühe“ des anhaltenden Starkstromregens in der Hauptstadt vorzugsweise vierbeinige Ratten oben schwammen, „die spitze Schnauze nach oben gereckt“. Auch Ratten wissen: Mit der Nase im Wind hast du auf diesem Planeten bessere Überlebenschancen. Dies gilt sogar, wenn du deinen Zinken in die abgasverseuchte Luft der neuen Rattenmetropole Stuttgart hältst. Und du musst dich wehren, wenn die Investoren deinen vertrauten Unterschlupf abreißen und die halbe Stadt umgraben.

Andererseits, so haben meine Forschungen ergeben, wird die Intelligenz der mehr als 60 Arten zählenden Gattung Rattus vom Menschen überschätzt. Die unterirdischen Biester sind grundsätzlich nicht schlauer als etwa Eichhörnchen – nur viel vorsichtiger. So üben sie sich beim Fressen in vornehmer Zurückhaltung, sobald ihnen etwas Ungewohntes begegnet. Maultaschenabfall war ihnen deshalb viel früher vertraut als unverdautes Sushi, was die allzu schwäbischen Züge der Ratte verrät: Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht.

Die ebenfalls menschliche Strategie der Ratte, ihre Beute zu hamstern, erklärt ihr Leben in Diskretion. Sie braucht Verstecke, egal ob im weichen Boden schöner Gärten oder in dunklen Nischen verwitterter Gemäuer. Sie liebt, wie alle anständigen Kreaturen, Altbauten mit Gerümpel im Keller und Höfe mit vollen Mülleimern. Deshalb taucht die Ratte weniger in den aseptischen Killesbergvierteln auf als in den angefressenen Niederungen der Stadt.

In Gerhart Hauptmanns Tragikomödie „Die Ratten“ symbolisiert unser Tierchen nicht nur die moralischen Schweinereien hinterhältiger Menschen, sondern auch die hygienischen Zustände in den Mietshäusern. „Wejen der Ratten“, wie es heißt, lernen wir eine Menge über die politischen Verhältnisse Ende des 19. Jahrhunderts. Die Ähnlichkeiten mit heute sind bekannt.

Warum die Ratte so verhasst ist, mag auch an der oft falschen Interpretation ihrer Geschichte liegen. Im Mittelalter verbreitete sie angeblich die Pest. Die wahren Seuchenerreger aber waren ihre Flöhe, für  die sie so wenig konnte wie wir für Fußpilz. Auch haben die Ressentiments gegenüber dem Nager mit der Spießigkeit und Verklemmtheit der Menschen zu tun: Hätte die Ratte einen lustig-buschigen Schwanz wie das Eichhorn und nicht einen scheinbar nackten, zöge sie nicht einen Rattenschwanz von Vorurteilen hinter sich her. Ihr Schwanz erinnert an eine kurze Peitschenschnur, ist in Wirklichkeit aber ein hochsensibles, feinhäutiges Instrument zur Steuerung der Balance. Nicht jedes andere Lebewesen in unserer neoliberalen Wegwerfgesellschaft kann das von seinem meist überschätzten Anhängsel behaupten.

Schon gar nicht in Martin Scorseses grandiosem Film „The Departed“. Eine wahre Ratte in diesem Mafiaepos mit seinen Machoritualen ist Detective Colin Sullivan (Matt Damon), ein Spitzel des Mobs in den Reihen der Bullen. Wer den Film gesehen hat, wird sich für immer an den ironischen Schlusspunkt erinnern: Eine echte Ratte huscht durchs Bild.

Zur Rettung des Rattenrufs gingen in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts rebellische junge Damen und Herren mit bunten Frisuren und zerfledderten Klamotten in Stellung. Auf den Schultern tragend, kürten unsere Punks den Outlaw aus den Löchern und Kanälen des proletarischen Lebens zum Freund. Mehr Respekt vor der Ratte hatten nur Frank Sinatra, Dean Martin, Sammy Davis Jr., Peter Lawford, Joey Bishop und Shirley MacLaine, als sie sich Ende der fünfziger Jahre Rat Pack nannten.

So verbleibe ich angesichts nagender Gefühle grübelnder Rathauspolitiker im Sumpf ihrer selbst verschuldeten Stadtplage: Ein Hoch auf das Rattenpack

 

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