Bauers Depeschen


Donnerstag, 04. Oktober 2018, 2017. Depesche



KUNDGEBUNG

Sonntag, 14. Oktober, 17.30 Uhr,

Stuttgarter Schlossplatz:

„Nein zu Hetze und Rassismus.

Zur Bayernwahl auf die Straße.“

(Unsereins sagt auch ein paar Sätze)

 

Hört die Signale!

DAS VIDEO ZUM TAG

(Live 2019 bei der Nacht der Lieder im Theaterhaus)



LIEBE GÄSTE,

mein neues Kolumnenbuch, „Im Staub von Stuttgart“, ist inzwischen ausgeliefert und im Buchhandel erhältlich. Edition Tiamat, Berlin. Was könnte ich dazu sagen? Kostet ca. 15 Euro und umfasst etwa 75 neu überarbeitete Texte. Zur Geburtstagsshow „20 Jahre Flaneursalon“ am So, 21. Okt, im Gustav-Siegle-Haus bringt Verleger Klaus Bittermann ein paar Dutzend Bücher mit. Es gibt noch KARTEN: EASY TICKET Telefon: 0711/2 555 555



StN-Kolumne:

DER STARKE AUGUST

Eitelkeit ist das größte Hemmnis eines Mannes, die Revolution voranzutreiben. Er muss ständig über andere wichtige Dinge entscheiden, etwa ob er gemahlenen Kaffee bevorzugt oder ganze Bohnen. Was wiederum bedeutet, zwischen einer handbetriebenen und einer elek­trischen Kaffeemühle zu wählen. Welch unverantwortlicher Zeitverlust angesichts der dringend notwendigen Revolution.

Ähnlich läuft es beim Rasieren. Ein zum Aufstand entschlossener Mann wird Seife und Pinsel, einfache Klinge und rustikalen Edelstahlhobel benutzen – und damit im Klassenkampf gegen den sich trocken rasierenden oder hipsterbärtigen Kapitalisten wertvolle Minuten einbüßen. Endgültig verliert, wer in seiner Selbstverliebtheit auch noch einen eklig vibrierenden Nasenhaarschneider ansetzt.

Ich lasse mich über das Historische Volksfest auf dem Schlossplatz treiben. Man weiß heute nie, warum Menschen sich massenhaft treffen. Ob sie gekommen sind, um den Flohzirkus und die Frau ohne Unterleib zu sehen. Oder einfach nur in der Absicht, mit dem Mobiltelefon im Anschlag in eine Masse Mensch einzutauchen. Wer will schon noch wissen, dass auf dem Rummelplatz das Leben erfunden wurde. Tratsch und Unterhaltung. Das Nachrichtengeschäft des Verfassungsschutzes, die Propaganda der AfD, das Entertainment der Rolling Stones. Alles kommt vom Jahrmarkt.

Im Flohzirkus schaue ich zu, wie August schweres Gerät hinter sich herzieht. Er heißt wirklich August, was mich etwas irritiert. Warum hat man diesen unschuldigen Hüpfer ausgerechnet nach August dem Starken benannt. Nach einem aufgeblasenen, prunksüchtigen, kriegsgeilen Macho. Erschwerend kommt hinzu: August der Starke war Sachse! Ein dekadenter Kaffeesachse, schlimmer als jeder Suppenschwabe (zwei Begriffe, die wir den Brüdern Grimm verdanken). Entsprechend war Augusts Kaffeegeschirr: Neben Edelmetallen und Elefantenzähnen enthielt es fünfeinhalbtausend Diamanten. Dieser Größenwahn auf Kosten der Unterdrückten und Armen lässt sich nicht mit den Zuständen im 17. und 18. Jahrhundert entschuldigen. Heute funktioniert der Feudalismus nicht anders.

Sachse August war ein Nutznießer des Jahrmarkts: Zum Vergnügen hielt er sich einen Narren und Taschenspieler namens Joseph Fröhlich (!). Heute firmieren solche Clowns bei uns als „Sonderbeauftragte“. Von den Sachsen stammt der militante Spruch: „Ohne Gaffee gönn mer nich gämpfn!“ Davon angefixt, vergeude ich heute beim Grübeln über die Vor- und Nachteile ganzer und gemahlener Bohnen so viel wertvolle Zeit, dass der politische Umsturz gefährdet ist. Sollten die Faschisten demnächst wieder die Macht übernehmen, hat der Kaffeesachse Schuld. Wer sonst.

Diesen Zusammenhang hätte ich ohne den Flohzirkus und seinen Superstar August nicht erkannt. So wie ich ohne den Rummelplatz nicht wüsste, warum jeder Gurkenhobelverkäufer amtierenden Landesministern wie Strobl und Wolf rhetorisch um fünfeinhalbtausend Gurkenhobellängen voraus ist.

Selbstverständlich besuche ich auch die Frau ohne Unterleib in der Revue der Illusionen. Die Wahrheit ist, dass der Menschheit viel Leid erspart geblieben wäre, hätte der liebe Gott oder irgendein anderer Taschenspieler die Männer ohne Unterleib erschaffen. Dann müssten sie nicht dauernd Panzerrohre und Raketen zur Betonung ihres starken August ausfahren.

An dieser Stelle ist es Zeit, auf den Ansager in der Schaubude der Frau ohne Unterleib hinzuweisen. Treten Sie näher. So viel Grandezza und höfliche Zurückhaltung wie der Mann, den man Rekommandeur nennt, wünscht man den Herrschaften im benachbarten Landtag, wenn sie ihr Publikum „abholen“ und „mitnehmen“, wie das in ihrem Kindergartendeutsch heißt.

Als ich über den Jahrmarkt gehe, ruft plötzlich ein Uniformierter: „Dr Kenig von Württemberg“. Ein lärmender Spielmannszug kommt um die Ecke marschiert, junge Frauen und Männer, die ziemlich verbissen in die Welt schauen, während sie blasen und trommeln. Und tatsächlich spaziert jetzt ein kleiner Mann mit grauem Vollbart, schwarzem Anzug und Hut über den Platz. Das muss Wilhelm II. sein, wenngleich mir Zweifel an seiner Echtheit kommen: Niemand ruft wie gewohnt „Grüß Gott, Herr Kenig!“. Auch hat mein Spaziergängerkollege heute seine beiden Spitze nicht dabei. Ich weiß sogar, wie die Hunde heißen: „Rubi, Ali“, rufe ich. Aber kein Schwanz rührt sich. Die Spitze wissen: Die Revolution frisst ihre Pinscher.

Der König von Württemberg lächelt. Hey, Willi, sage ich, das Grinsen wird dir noch vergehen. Ich schaue auf die Uhr. 30. September. Fünf vor zwölf. Zeit zu handeln. So laut ich kann, singe ich gegen das Getrommel des Spielmannszugs an: „Wacht auf, Verdammte dieser Erde . . .“ Oben auf dem Kunstgebäude tanzt der goldene Hirsch, und auf dem Kunstmuseum links von mir prangt in roten Buchstaben: „Ekstase“.

Willi schaut mich mit Tränen in den Augen an. Er weiß: Schon in wenigen Wochen, am 9. November, werden Arbeiter durch die Straßen ziehen, ungehindert in das Wilhelmspalais eindringen und auf dem Dach die rote Fahne hissen. Eigentlich haben die schwäbischen Revolutionäre gar nicht so viel gegen den König, im Grunde ist er ein umgänglicher, liberaler Kerl. Aber lange genug war Krieg, jetzt ist Revolution, und einer der Wortführer wird mit sozialdemokratischem Bückling zum König sagen: „’s isch aber wega dem Sischdem.“

Hundert Jahre sind vergangen. Das Land regiert nicht mehr Wilhelm II., sondern Winfried I. Schon wieder treiben Faschisten ihr Unwesen. Und meine Kaffeemühle mahlt zwar trefflich fein. Aber entschieden zu langsam.

 

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