Bauers Depeschen


Freitag, 24. August 2018, 2000. Depesche



 



20 JAHRE FLANEURSALON

IM GROSSEN SAAL DES GUSTAV-SIEGLE-HAUSES

Sonntag, 21. Oktober, 19 Uhr.

Die Jubiläums-Show im Gustav-Siegle-Haus, wo 1998 alles anfing. Durch den Abend führt der Berliner Kabarettist Arnulf Rating. Auf der Bühne des Großen Saals, der Stuttgarter AC/DC-Gedächtnis-Halle: Rolf Miller, Thabilé & Band mit Jens-Peter Abele, Roland Baisch & Michael Gaedt, Stefan Hiss, Toba & Pheel. Spezialgast: Nero Friktschn Feuerherdt.

Gleichzeitig Buchvorstellung: „Im Staub von Stuttgart“.

Eine Veranstaltung in Kooperation mit den Stuttgarter Philharmonikern und der Rosenau.

KARTEN: EASY TICKET Telefon: 0711 / 2 555 555



Hört die Signale!

DAS LIED ZUM TAG



Und ein LIED ZUM TEXT



Ein Text aus meinem Buch "Im Staub von Stuttgart", das im Oktober erscheint:

WALROSS UND EIERMANN

„Wer geht, sieht mehr, als wer fährt“, hat der berühmte Schriftsteller und Fußreisende Johann Gottfried Seume einmal gesagt. Er hatte leicht reden. Zu seiner Zeit gab es weder Eisen noch Straßenbahn, zu schweigen vom Auto. Für unsereins als Gewohnheitsgeher in Deutschlands berühmtester Staubalarmstadt gilt heute oft genug, was uns der 1989 verstorbene Fernsehmann Robert Lembke gelehrt hat: „Es gibt zwei Arten von Fußgängern – die schnellen und die toten.“

Im Untergrund ist es auch nicht besser. Neulich studierte ich auf einer Bank in der Haltestelle Rathaus per Taschentelefon die Weltlage, als zwei Männer in ziemlichem Abstand auf dem Bahnsteig gegenüber vorbeirannten. Der Verfolger schrie „Hilfe, Polizei!“ und „dich krieg ich, du Hurensohn!“ Dann verdeckte mir die einfahrende Bahn die Sicht, was mich daran erinnerte, dass die Stuttgarter Straßenbahnen 2018 ihr 150-jähriges Bestehen feiern. Zum Jubiläum ist ein 351 Seiten starkes Buch erschienen: „Menschen beweg(t)en Menschen“. Es liegt noch druckfrisch in meinem Proviantbeutel für längere Straßenbahntouren.

Wissen sollte man schon mal, dass 1868 die Pferdeeisenbahn den Anfang machte. 1895 wurde auf „Elektromobilität“ umgestellt, was den Siegeszug des Dieselmotors mit seinen Pferdestärken nicht verhinderte. Längst war die industrielle Revolution im Gang.

Trotz Hitze war ich zuletzt ziemlich lange zu Fuß unterwegs. Am frühen Nachmittag breitet sich eine fast verstörende Einsamkeit aus auf meiner Tour mit vielen Umwegen vom Hölderlinplatz im Westen zum Marienplatz im Süden. Kaum Menschen zu sehen.

Ein Schwan im Feuersee hat seinen Kopf in seinem Gefieder vergraben, ich höre ihn deutlich zischen: „Verzieh dich, du Penner, es ist Mittagspause.“ Ich greife, diesmal rechtzeitig, nach meinem Schweizer Messer mit Nagelfeile und sage: „Dich krieg ich, du Hurensohn.“

Unterwegs habe ich zuvor das große Schild an einem geschlossenen Kiosk gelesen: „Lass dir nicht von Idioten deinen Tag versauen.“ Diese Botschaft war auf Englisch abgefasst, sie gilt aber auch für deutsche Schwäne. Schon vorher hatte ich merkwürdige Dinge gesehen, beispielsweise in der friedhofsstillen Johannesstraße ein Café namens Zom Schleggiga Egg. Das ist Schwäbisch und bedeutet „Zum schleckigen Eck“. Das Wörterbuch definiert „schleckig“ als „leckermäulig, naschhaft, genäschig“. Wobei ich zugeben muss, dass ich das schöne Wort „genäschig“ nie zuvor gelesen habe.

Das leckermäulige Egg wiederum erinnerte mich, das passiert nun mal beim Umherschweifen in der Hitze, an die berühmte „Eggman“-Zeile aus dem Beatles-Song „I Am The Walrus“. John Lennon hat den „Eggman“, den Eiermann, als Hommage an Eric Burdon in sein Lied eingebaut. Angeblich pflegte sein Rockstar-Kollege den Brauch, beim Kuscheln rohe Eier über seinen nackten Gespielinnen auszudrücken.

Diese Liebespraxis hat allerdings nichts mit dem Schleggiga Egg zu tun, weil in der Johannesstraße das Egg nicht für Ei, sondern eindeutig für „Eck“ steht – und somit wesentlich zum Erhalt des heimischen Dialekts beiträgt. Die Pflege des Schwäbischen ist inzwischen ja ein großes Anliegen unseres mundartbeflissenen Landespaters Kretschmann. Wir sollten seine Politikerbiografie deshalb um entsprechende Eggdaten erweitern, ohne ihn gleich singend als genäschigen Eiermann ins Eck zu stellen: „I am the eggman, we are the eggmen, I am the walrus.“

Es gibt diese Stunden beim Spazierengehen, da fühlst du dich wie ein Walross auf dem Trockenen. Deprimierend an diesem Tag der musikalischen Erinnerung war die Nachricht vom Tod der Sängerin Aretha Franklin. Bis heute fällt es mir schwer, die Seele der Soul-Musik wirklich zu verstehen. Es ist Zufall, dass ich zurzeit „Beale Street Blues“, den neu übersetzten Roman des großen schwarzen US-Schriftstellers James Baldwin, lese – und erst neulich noch mal „Moonlight“, den 2017 Oscar-prämierten Film über das leidvolle Leben eines Afroamerikaners gesehen habe. Beide Werke haben für mich viel mit Soul zu tun, mit unterschiedlichen, dennoch sehr zusammenhängenden Themen. Und am Ende landet man immer beim Rassismus. Beim Hass.

Bist du erst mal drin in einem bestimmten Fluss von Sprache, Sound und Bildern, dann geht die Reise weiter im Kopf. In der Zeitung lese ich, dass immer mehr Flüchtlinge in Italien illegal auf Güterzüge klettern und über die Schweiz zu uns, vorzugsweise nach Baden-Württemberg, reisen. Sie verstecken sich in Hohlräumen, sitzen über den Rädern und kommen oft den Oberleitungen verdammt nahe. Diese lebensgefährliche Flucht erinnert an die Hobos. An Wanderarbeiter, Abenteurer und Vagabunden, die vor allem im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert auf Güterzüge sprangen und durch Amerika fuhren, oft genug den Tod vor Augen. Jack London hat über sie geschrieben, Woody Guthrie über sie gesungen: „Hobo’s Lullaby“. Es gibt sie bis heute – und viele Bücher, Lieder und Filme über die Menschen in den Boxcars, den Güterwagen.

Heute fahren andere Hobos durch Europa, landen mit etwas Glück vor unserer Haustür und träumen wie ihre amerikanischen Vorgänger von einem besseren Leben.

Mein lieber Schwan, das Rad der Zeit dreht sich wieder mal beängstigend rückwärts.

 

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