Bauers Depeschen


Samstag, 23. Juni 2018, 1970. Depesche



 



TERMINE

Am Freitag, 29. Juni: Eröffnung der Veranstaltungsreihe "Schlaf, Kindlein, schlaf" über die Morde und medizinischen Verbrechen an Kindern während der Nazi-Diktatur in Stuttgart (u. a. kurze Rede von mir). Stadtpalais, 19 Uhr. Eine Aktion der Anstifter.

Am Samstag, 30. Juni, sind Klaus Bittermann von der Berliner Edition Tiamat und ich bei "Wetterleuchten - Sommermarkt der unabhängigen Verlage" im Literaturhaus. Wir lesen zusammen eine halbe Stunde. 19 Uhr.

Montag, 2. Juli: Kundgebung auf dem Stuttgarter Marktplatz anlässlich des „Immobilien-Dialogs" von Politik und und Bauwirtschaft im Rathaus. Motto der Protests: "Für Menschen bauen – nicht für Profite!" - Beginn 19 Uhr. Unsereins macht auch mit.

Samstag, 7. Juli: Großkundgebung gegen Stuttgart 21 vor dem Hauptbahnhof. 14 Uhr. Reden: Herta Däubler-Gmelin, Volker Lösch, Joe Bauer. Moderation: Barbara Scholl. Musik: Chain of Fools.

Sonntag, 21. Oktober: 20 Jahre Flaneursalon im Gustav-Siegle-Haus. Vorverkauf ab Anfang Juli.



Was Kurzes zum Fußball:

FRAGE DER HALTUNG

Die Frage „Gibt es linken Fußball?“, die ich mal für die Wochenendbeilage der StN beantworten sollte, taucht regelmäßig auf, seit sich der mit Abitur gerüstete Bayern-Spieler Paul Breitner in den siebziger Jahren mit der „Mao-Bibel“ fotografieren ließ und Che Guevara als sein Vorbild nannte. Da Breitner auch eine Afro-Mähne trug, war er in der Ära der sich ausbreitenden Popkultur hierzulande wie geschaffen für das „Revoluzzer“-Klischee des Boulevards. Mit dem Spiel an sich hatte das nichts zu tun, dafür aber mit einer neuen Wahrnehmung des Fußballs, der jetzt auch Intellektuelle beschäftigte.

Ende der Siebziger verkündete Argentiniens Nationaltrainer César Luis Menotti, er befreie den Fußball von der „Diktatur der Taktik“ und dem „Terror der Systeme“. Diese Botschaft schien sich zu erfüllen, als sein Team 1978, während der Diktatur der argentinischen Folter-Junta, Weltmeister wurde (vermutlich auch dank verschobener Spiele). Rein fußballerisch setzte Argentiniens Trainerlegende auf einen durch und durch spielerischen Akt zur Freude des Volkes und proklamierte die Ideen der Befreiung, der Demokratie, der humanen Selbstverwirklichung.

Menottis Philosophie, linkes Gedankengut ins Spiel zu integrieren, war reizvoll, zumal der Fußball mit seiner enormen Popularität und ökonomischen Maßlosigkeit dem Turbo-Kapitalismus viel näher steht als den Ideen von Gleichberechtigung und Klassenlosigkeit.

Nach Menottis vorzugsweise verbalen Erfindung einer linken Spielweise, die auf dem Platz selten Konturen gewann, wandelten sich die Taktiken ununterbrochen: Wir erlebten den Individualisten-Kult der Maradonas und Zidanes ebenso wie den zerstörerischen deutschen Rumpelfußball, später die faszinierenden Alleskönner-Teams, in denen, wie in Barcelona und zeitweise in Jogi Löws DFB-Team, die Spielchoreografie sich in Richtung Bewegungskunst bewegt. Es geht dabei um Fußball mit Haltung: „Eine Niederlage ist niemals ein Fiasko. Ein Fiasko wäre es, wenn wir auf unseren Stil verzichten würden ...“, sagt der große spanische Spieler Iniesta.

Kommen wir zur Ausstrahlung eines Fußballs, der durchaus Werte vermitteln kann, die historischem linken, sprich freiheitlichem, emanzipatorischem Gedankengut entsprechen. Das brasilianische Fußball-Genie Sócrates (1954 bis 2011), Nationalspieler und Kinderarzt, kämpfte in den Achtzigern für Mitbestimmung im Verein und nutzte das Spielfeld als Podium der Agitation: Zusammen mit linken Kollegen lief er im Trikot mit der Aufschrift „Demokratie jetzt“ auf.

Solche Aktionen haben allerdings nichts mit einer linken Spielweise zu tun, sondern mit Fußball als Bühne. Wer sich als Linker der globalen Fußballkultur als Bestandteil des Lebens nähern will, muss die Texte des früheren argentinischen Nationalspielers Jorge Valdano lesen. 1986 schoss er im WM-Finale in Mexiko ein Tor zum 3:2-Sieg gegen das deutsche Team, später ging er als Spieler und Trainer nach Spanien, wirkte zuletzt als Direktor bei Real Madrid. Dieser kluge, literarisch bewanderte Intellektuelle und Poet, der die Schönheit des Spiels und das kollektive Erlebnis über den Erfolg stellt, analysierte in seiner 2004 erschienen Textsammlung „Über Fußball“ eine Entwicklung, gegen die wir vor allem heute zu kämpfen haben: „Der Rassismus, der die Straßen erobert, findet auf den Fußballplätzen seine Fortsetzung und beleidigt die Intelligenz und das Wesen jedes Sport.“ Die „widerliche Verachtung der Andersartigen, die zur Schau gestellt wird, um zu demütigen“, sei „schlicht und einfach ein faschistischer Akt“. Wer aus dem Spiel eine „Frage der Ehre“ mache und glaube, „dass ein Trikot ein Vaterland“ darstelle, pervertiere die Integrationsfähigkeit, den größten Wert des Fußballs. Auch wenn er selbst nie von linkem Fußball sprach, fand Valdano Respekt bei Linken: Er definiert seinen Sport als Brücke über alle Sprachgrenzen hinweg zu einem solidarischen Umgang der Menschen miteinander.

Warum die totale ideologische Vereinnahmung des Fußballs nie so richtig gelingt, lehrt uns ein Spruch aus der Franco-Dikatur: „Alle Faschisten sind Real-Madrid-Anhänger. Aber nicht alle Real-Madrid-Anhänger Faschisten.“



 

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