Bauers Depeschen


Montag, 21. Mai 2018, 1954. Depesche



WILLKOMNEN IM HAFEN, beim Tag am Neckar: Am Samstag, 16. Juni, feiern wir den Flaneursalon am Fluss. Zum 20-jährigen Bestehen meiner Lieder- und Geschichtenshow volles Programm: Eric Gauthier & Jens-Peter Abele, Dietrich Krauß, Rolf Miller, Hajnal & Friends, Toba Borke & Pheel, Chor rahmenlos & frei.

Hier geht's zum Vorverkauf mit allen Infos: MUSICCIRCUS - Kartentelefon: 0711/ 221105

  

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MUSIK ZUM TAG



Die StN-Kolumne vom 15. Mai - hier etwas zeitverzögert erstmals frei online:



BUXTEHUDE

Zwei Stunden stiefelte ich bei den Wattwürmern Cuxhavens herum, bevor ich wieder zwischen den Autoschlangen im Kessel versumpfte. Tage im großen Nichts.

Vor meinem Ausflug in den Nationalpark, ein Unesco-Weltnaturerbe, hatte ich nie auch nur einen Wattwurm oder eine Krabbe gesehen. Mein Wattführer Thomas, im Hauptberuf Marineflieger und in Afrika gegen Piraten im Einsatz, sagte mir, dass die Krabben auf unseren Hamburger Fischmarktbrötchen in Wahrheit kleine Garnelen sind. Überhaupt habe ich wenig Ahnung von unseren Meeren, in denen 100 Millionen Tonnen Plastik schwimmen. Der Job des Wattwurms ist es, den Sand zu reinigen. Ein armes Schwein angesichts des Drecks, den Menschen machen.

Kaum hatte ich mich von meinem Piloten aus der Brise und dem Schlick des Nordens verabschiedet, hörte ich von schweren Lufteinsätzen in der Heimat: Bei der Demo gegen einen AfD-Aufmarsch in Feuerbach wurden die Wasserwerfer der Bodentruppen von einem Hubschrauber und zwei (unbemannten) Drohnen unterstützt. Gott sei Dank leben wir in einem totalen Rechtsstaat. Sonst hätten sie womöglich Kampfjets und U-Boote hoch geschickt.

Wer sich aus unerfindlichen Gründen so viele Jahre im Schlick seiner eigenen Stadt herumtreibt wie unsereins, bekommt seinen Heimathafen auch nicht in den Ferien in der Ferne aus dem Kopf. Es ist ein Fluch, überall auf die Spuren seiner Herkunft zu stoßen.

Vor der Fahrt ans Wattenmeer schlenderte ich ein paar Tage durch Hamburg. Einmal wollte ich in die Bahn zur Station Altona steigen, als vor meiner Nase ein Zug nach Buxtehude hielt. Blitzartig purzelte in meinem Kopf eine ganze Galerie gespeicherter Bilder durcheinander. Buxtehude, dachte ich, das ist ein verwunschener Ort voller Mythen. In Buxtehude war vor mir schon der Zauberer Zwackelmann aus der „Räuber Hotzenplotz“-Geschichte gelandet. In Buxtehude spielt das Märchen vom Hasen und Igel. Als Kinder haben wir jedem Blödian „Geh doch nach Buxtehude“ hinterhergerufen – und als grünschnäblige Rocker Udo Lindenbergs Ballade auf die Reeperbahn zur Melodie von „Penny Lane“ mitgesungen: „Und all die Jungs aus Buxtehude und aus Lüneburg / Die machten Freitagnacht bis Sonntagmorgen durch . . .“

Jahrzehnte später, auf dem Weg nach Buxtehude, erfahre ich mithilfe meines Taschentelefons, dass der Name der Hansestadt mit ihren 40 000 Einwohnern speziell in Süddeutschland als Synonym für tiefste Provinz gebraucht wird. Wo sonst. Der beängstigend schwäbische Bundespräsident Theodor Heuss hat einst beim Anblick eines Straßenschilds mit der Aufschrift „Buxtehude“ gerufen: „Was, das gibt’s wirklich?“ Typisches Landei-Syndrom: Gerade der Mensch ganz unten in der Beliebtheitstabelle sucht verzweifelt einen, den er treten kann. Angeblich, so heißt es bei Wikipedia, gingen die Vorurteile gegenüber dem liebenswerten Städtchen auf die Furcht süddeutscher Wehrpflichtiger zurück, ihren Dienst in Buxtehude schieben zu müssen. Wo doch Adressen wie Böblingen, Münzingen oder Pfullendorf auf der Skala der Weltläufigkeit einen weit besseren Ruf genießen.

In Buxtehude begegnete ich den Bildern einer Kleinstadt, die man malerisch nennt. Mittelalterliche Häuser, der fünf Meter breite Fluss namens Este und der feine Geruch des unheimlichen Moors. Am Ende war ich glücklich, die Bahn nach Buxtehude gewählt zu haben. Ich erinnerte mich, wie ich mal genauso unvermittelt in Brooklyn in einen Zug nach Hoboken gestolpert bin – ohne den geringsten Schimmer, wo Hoboken/New Jersey liegt. Allerdings hatte dieser Spontantrip ein banaleres Motiv als der Abstecher nach Buxtehude: In Hoboken wurde Frank Sinatra geboren. Das weiß ich als Provinzler.

Erwähnen muss ich, dass Buxtehude 1983 das Tempo-30-Limit für den Verkehr in der Stadt erfunden hat. Das ist beachtlich, wo wir doch auf unseren Stuttgarter Stadtautobahnen bis heute gegen Tempo 130 kämpfen. Vor allem freitagnachts bis sonntagmorgens, wenn all die Jungs aus Böblingen und Leonberg auf der Theodor-Heuss-Straße mit ihren tiefergelegten Leasing-Panzern Staubalarm auslösen.

Damit bin ich bei der höheren Mobilität. Nach einem Helgoland-Ausflug mit einem neuen, pfeilschnellen Katamaran wollte ich mit einem geliehenen Fahrrad vom Hafen in meine Ferienbude am Rande des Wattenmeers vorstoßen. Das war schwierig, denn auf Helgoland, wo es kräftig stürmte und viele Menschen am Himmelfahrtstag mit Bollerwagen voller zollfreiem Schnaps -herumzogen, hatte ich mich nicht entsprechend auf meine Rad-Expedition vorbereiten können. Auf der Insel sind nicht nur Autos, sondern auch Fahrräder verboten.

Hinterher schrieb ich in mein elektronisches Tagebuch: „Donnerstag, 10. Mai, 2018. Heldenhaft, bei Windstärke 11 oder 12, wenn nicht sogar 1 oder 2, kämpfte ich mich auf einem Fahrrad die Nordsee entlang. Sturmböen im Gesicht und Sandkörner zwischen den Zähnen, hatte ich vor, einsam die Zivilisation zu erreichen. Dann brach das linke Pedal des Fahrrads aus der Halterung. Der Gegenwind war zu stark, um mit nur einem Treter weiter zu strampeln. Und in den Dünen gab es keinen verdammten Schraubenschlüssel. Ich verließ die Straße der Luftpumpen und schlug mich zu einer Autoroute durch. Nach drei oder fünf Tagen, vielleicht auch zwei oder vier Minuten, kam ein Linienbus. Der Fahrer war ein Ehrenmann. Samt Drecksvehikel nahm er mich mit in die Stadt. Glücklich angekommen, schob ich das Wrack mit dem Pedal auf dem Gepäckträger zu einer Fressbude und kaufte mir ein Fischbrötchen. Heute weiß ich: Lieber ein fettes Fischbrötchen als ein verfluchtes Fahrrad. Ende.“

Als ich mit der Eisenbahn heim in den Süden fuhr, wurde mir klar: Ein Tourist wie ich nutzt der Menschheit weniger als ein Wurm im Wattenmeer. Die kleine Stadt dagegen, in der sich Hase und Igel gute Nacht sagen, war inzwischen berühmt geworden. Ein Sänger namens Michael Schulte belegte neulich beim Eurovision Song Contest mit seiner Schnulze für Deutschland den vierten Platz. Herr Schulte lebt in Buxtehude.

 

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