Bauers Depeschen


Samstag, 14. April 2018, 1931. Depesche



 



An dieser Stelle auf den Flaneursalonam kommenden Donnerstag in Cannstatt hinzuweisen, ist leider sinnlos ...



Hört die Signale!

MUSIK ZUM TAG



Die aktuelle StN-Kolumne:

ENDZEIT ODER TRINKGELD IM THEATER VERBOTEN

Der große Streiktag diese Woche hat unsere Stadt nicht in Chaos, Anarchie und Untergang gestürzt. Die Spuren der Apokalypse hielten sich in Grenzen, auch wenn einige etwas verstört vor den heruntergelassenen Gittern der U-Bahnschächte standen. Auch mir haben die versperrten Wege in die Unterwelt ein mulmiges Gefühl beschert. Seit jeher, dachte ich, ist mir der Himmel verschlossen. Nun haben sie mir auch noch die Treppe zur Hölle blockiert.

Gut, ich habe leicht reden. Zum einen macht meine vorwärtstreibende Beinarbeit in den Straßen der Stadt nicht nur bei Bus- und Bahnstreiks einen wichtigen Teil meines Jobs aus. Zum anderen kann ich diese Art Stillstand überall locker mit meinem Laptop auf den Knien aussitzen.

Natürlich bin ich zum Streikzug in die Stadt geeilt, habe der bunten Menschenmenge gewinkt und mit Freude den Rap guter Freunde auf dem vorbeirollenden Lastwagen gehört. Jede Demonstration, sagte ich mir, braucht die Kraft einer zeitgemäßen Variante der „Marseillaise“, und solche Hymnen liefern uns heute die Rapper. Wenn die populistischen Provokationen einiger ihrer Stars die Musik unserer Zeit in Verruf gebracht haben, ist dies kein Grund, die ganze Zunft in Sippenhaftung zu nehmen.

Speziell in Deutschland werden Streikende oft herabgewürdigt, ihr Kampf um bessere Arbeitsbedingungen und höheren Lohn mit Arroganz und Hohn verunglimpft. Das hohe demokratische Gut der Streik- und Versammlungsfreiheit in unserer Verfassung ist vielen nicht bewusst. Ginge es nach den Hetzern, wären Arbeitskämpfe in Kitas nur in den Ferien und bei den Bahnen nur außerhalb des Fahrplans erlaubt.

Vergangenen Donnerstag habe ich über den größten Stuttgarter Streik nach dem Ende der Nazi-Diktatur berichtet, er ist in die Geschichte eingegangen unter den Begriffen „Stuttgarter Ereignisse“ und „Stuttgarter Tumult“. Dieser Arbeitskampf vom 28. Oktober 1948 wird unter anderem in der aktuellen Ausstellung „Druck im Kessel – Protest in Stuttgart 1945 - 1989“ im Stadtarchiv in Cannstatt (Bellingweg 21) aufgearbeitet. Der Stadtarchivleiter Roland Müller hat darüber einen ausführlichen Aufsatz geschrieben. Die Schau zeigt einzigartige Fotos und Dokumente über diesen Stuttgarter Generalstreik, bei dem sich 100 000 Menschen vor der Ruine des Alten Schlosses auf dem Karlsplatz versammelten.

Überhaupt widerlegt diese Ausstellung die dümmlichen und klischeehaften Behauptungen, die „biederen Schwaben“ in ihrer „bürgerlichen Beschaulichkeit“ hätten den Protest erst 2010 bei den Demonstrationen gegen S 21 entdeckt. Wer sich dafür interessiert: Die Schau im Stadtarchiv ist außerhalb der üblichen Öffnungszeiten an diesem Sonntag von 11 Uhr bis 16 Uhr zu sehen.

Damit wende ich mich wieder den Beschäftigten im öffentlichen Dienst und angemessenen Löhnen zu. Grund dafür sind zwei Staatsopernbesuche. Mag sein, dass die Auswahl der Aufführungen Rückschlüsse auf meinen Allgemeinzustand zulässt. Zunächst sah ich Donizettis grandios inszenierte, gesungene und gespielte Komödie „Don Pasquale“ über einen „senilen Knacker“ (Libretto), der sich dem Liebesrausch mit einer jungen Frau hingeben will. Dann gönnte ich mir Herbert Wernickes „Actus Tragicus“, ein Musiktheater-Ereignis mit Bach-Kantaten über die Allgegenwärtigkeit des Todes. Diese Thematik hätte mich vielleicht in Endzeitstimmung versetzt und einen Lebensstreik provoziert, wäre mir nicht an der Garderobe ein durch und durch absurder Tragikomödienstoff aus der Bürokratie begegnet.

Da ich meine Jacke oft unter den Theatersitz stopfe, ist mir diese Geschichte erst jetzt aufgefallen. Wie gewohnt wollte ich der freundlichen Garderobenfrau ein Trinkgeld geben. Sie schob mir die Münzen aber mit der Bemerkung zurück, seit dieser Spielzeit dürfe sie nichts mehr annehmen. Ich begriff nicht gleich und dachte: Alter Mann, dein Klimpergeld ist ein Verstoß gegen die unantastbare Würde des arbeitenden Menschen. Ist es aber nicht. Vielmehr eine Zuwiderhandlung gegen neue Auflagen des Anti-Korruptionsgesetzes.

Im Internet findet sich diese Mitteilung des Landes: „Das Ansehen und die Integrität der öffentlichen Verwaltung sind für einen Rechtsstaat von grundlegender Bedeutung. Deshalb ist die Verhütung und Bekämpfung von Korruption ein wichtiges Ziel des Landes Baden-Württemberg.“ Ich bitte um Verständnis, wenn ich keine Lust habe, die Details des Trinkgeldverbots im heldenhaften Kampf gegen Korruption zu ermitteln. Angesichts eines solchen Unsinns streikt mein Arbeitswille.

Kann ich mir Vorteile erschleichen und den Tatbestand der Bestechung erfüllen, wenn ich mich mit Kleingeld für die korrekte Aufbewahrung von Hut und Mantel bedanke? Wie stellen sich Politchargen das Theaterleben vor: Darf ich mich unter den Augen der Garderobiere vordrängeln, weil ich sie mit zwo Euro bestochen habe – und erhalte deshalb meinen Hut frisch gebürstet zurück? Warten auf mich frisch gewichste Stiefel, falls ich mir dank Trinkgeld „Don Pasquale“ barfuß geben durfte?

Das Ende des Trinkgelds – ein Akt der Höflichkeit – schürt in mir die opernhaften Gelüste, im Theater statt Hut und Mantel ein paar Herrschende an den Haken zu hängen. Dann wäre erhebendes Falsett mit reichlich Vibrato zu vernehmen.

Noch aber bin ich nicht am Ende dieses Schmierenstücks ohne Rücksicht auf eine sogenannte Bagatellgrenze – die anderswo übliches Trinkgeld erlaubt. Eine Garderobenfrau erzählte mir, dass die Kollegenschaft all die kleinen Ostergeschenke, die sie von Operngästen erhalten hatte, der Personalabteilung vorlegen musste. Wahrscheinlich, denke ich, um zu prüfen, ob im Bauch des Zuckerhasen Tausend-Dollar-Scheine oder Brillantringe versteckt wurden. Oder eine gestopfte Henne ein Krokantei aus Gold gelegt hat. Bravissimo. So stellt ein reiches Land Gerechtigkeit her: Milliardenschwere Korruptionsverbrechen werden zuvorderst an der Garderobe auf dem Rücken von Kleinverdienern bekämpft.

Das Personal erhielt die kleinen Geschenke übrigens am Donnerstag nach Ostern zurück. Wäre der Personalchef krank oder im Urlaub gewesen, hätte es Hasen und Eier womöglich erst zu Weihnachten gegeben.



 

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Depeschen 2251 - 2280

Depeschen 2221 - 2250

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