Bauers Depeschen


Montag, 08. Januar 2018, 1901. Depesche



 





Vor seinem Gastspiel im Renitenztheater: Das StN-Montagsgespräch mit dem Berliner Kabarettisten Arnulf Rating



HUMOR IST EIN HERRSCHAFTSINTSRUMENT

Der Berliner Kabarettist Arnulf Rating (66), im Lauf seiner Karriere mit den wichtigsten deutschen Kleinkunstpreisen ausgezeichnet, präsentiert am kommenden Freitag im Renitenztheater sein neues Programm „Tornado“. Er war selbst mal ein Tornado.

FRAGE (F): Herr Rating, neulich haben Sie die Kabarettszene mit der Nachricht aufgeschreckt, ein unbekannter Dieb habe auf dem Frankfurter Hauptbahnhof ihren Schalenkoffer mit Ihrer Bühnenausstattung geklaut. In dem Koffer waren auch die roten Lackschuhe, Ihr Markenzeichen. Waren die vom Papst gesegnet?

ARENULF RATING (AR): Nein, natürlich nicht. Sonst wären sie mir ja nicht gestohlen worden. Anders als Päpste trage ich meine Schuhe lediglich, um von meinem Gesicht abzulenken.

F: Kann man sich über den amtierenden Papst lustig machen?

AR: Schwierig. Der Mann hat eine völlig neue Qualität. Er setzt sich nicht nur für die ­Armen ein und wäscht Gefangenen die Füße. Franziskus schadet auch reichen Städten wie Stuttgart, wo das Auto eine enorme Bedeutung hat. Bekanntlich fährt er in einem ziemlich alten Renault vor.

F: Ihre neue Show heißt „Tornado“. Sie waren in den Siebzigerjahren Gründungsmitglied der 3 Tornados, die mit ihrer Dynamik und Selbstironie zur berühmtesten deutschen Spaßguerilla-Truppe aufstiegen. Was bedeutet der Programmtitel „Tornado“ heute für Sie?

AR: Es geht um drei Themenbereiche. Erstens brauchen wir Tornados, die unsere denkfaulen Hirne durcheinanderwirbeln. Zweitens symbolisiert der Tornado unsere extremen Wetterwechsel und den Klimawandel. Und drittens hat er nach wie vor eine militärische Bedeutung, weil die Bundeswehr bis heute Tornados in Kriegsgebieten einsetzt, angeblich zur Aufklärung. Aufklärung ist heute aber das Kerngeschäft vieler Kabarettisten.

F: Die 3 Tornados waren bis zu ihrer Auflösung 1990 ebenfalls eine Truppe für politische Aufklärung. Damals waren die Zeiten für Kabarettisten lustiger als heute – Sie und Ihre Partner wurden regelmäßig zur Steigerung Ihrer Popularität mit Sendeverboten von den öffentlich-rechtlichen Sendern belegt oder auch mal wegen Blasphemie verklagt.

AR: Ja, das Problem hatten wir oft. Der damalige SDR in Stuttgart beispielsweise hat unseren Beitrag zum Thema „30 Jahre Grundgesetz“ in den Giftschrank gesperrt. Leider habe ich deshalb den Film bis heute nicht gesehen. Der Humorstandort Bundesrepublik war damals viel schlimmer unterentwickelt als heute. Es war sicher mit ein Verdienst von uns Kabarettisten, dass sich auf diesem Gebiet nach und nach etwas mehr Toleranz ausgebreitet hat. Dies hat allerdings auch dazu geführt, dass heute ständig so viele Komiker und Spaßmacher auf den Bildschirmen auftauchen, dass du nicht mal mehr schnell genug umschalten kannst. Man weiß auch nicht mehr: Ist das ein Politiker oder schon sein Parodist? Die Politiker und auch die Kirchen haben im Lauf der Zeit gemerkt, dass es kontraproduktiv ist, gegen Satire zu prozessieren. Geändert hat sich also der Umgang mit Satire. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass Humor und die Satire heute auch eine Art Herrschaftsinstrument sind: Selbst die Bundeswehr versucht lustige Werbung zu machen.

F: Ein Teil der Komiker nutzt heute Satire als Mittel zur Information, zur Aufklärung. Gegner dieser Künstler sprechen von „Belehrung“.

AR: Lustig ist in diesem Zusammenhang, dass in aller Regel Kritiker, die gegen die Belehrung wettern, das Recht auf Belehrung für sich allein in Anspruch nehmen. „Die Anstalt“ im ZDF ist ein gutes Beispiel, wie man mit den Mitteln der Satire die Menschen informieren und Zusammenhänge aufzeigen kann. Da hat sich definitiv eine Wende am Humorstandort Deutschland vollzogen. Auch in anderen Ländern, etwa in den USA, nutzen immer mehr Menschen die Chance, sich vorwiegend über Satire zu informieren, weil sie den Nachrichten nicht mehr trauen. Das heißt allerdings nicht, dass eher unpolitische Komik – wie früher im Stil von Heinz Erhardt oder Otto Waalkes – keine Berechtigung hat. Diese Art Humor ist eine wunderbare Form der Unterhaltung.

F: In Ihren Soloprogrammen sind Sie der Mann mit dem Koffer, der auf seiner Gedankenreise in verschiedene Rolle schlüpft. Was symbolisiert der Koffer?

AR: Ich bin Vertreter, ein Handlungsreisender für Meinungen. Diesmal prüfe und untersuche ich vor allem, wie Meinungen zustande kommen. Ich will herausfinden, wie Public Relations zur Nachricht wird, wie Fake News entstehen und als Wahrheit konsumiert werden. Ich habe mich zuletzt intensiv mit Edward Bernays’ legendärem Buch „Propaganda“, dem Standardwerk für Public Relations aus dem Jahr 1928, befasst. Mit diesem Buch, das heute bei uns zu wenig beachtet wird, hat Joseph Goebbels eine Bombe in die Hand bekommen, die er gezündet hat. Wir sollten immer daran denken: Der Schnee von gestern kann die Lawine von morgen sein. Bernays war übrigens ein Neffe von Sigmund Freud, deshalb muss ich aus wissenschaftlichen Gründen nebenbei auf der Bühne kurz auch die Psychoanalyse erklären: Wenn einer eine Schraube locker hat, liegt das an der Mutter.

F: Wie erarbeiten Sie ein Programm, wie muss man sich das handwerklich vorstellen?

AR: Zunäc.hst einmal ist es so, dass es mir nach wie vor Spaß macht, mich mit den Absurditäten unseres Daseins zu konfrontieren. Ich lerne Tag für Tag, wie wir uns ständig selbst anlügen, etwa wenn wir so tun, als würden wir etwas ändern, wenn wir statt in ein Diesel- in ein Elektroauto steigen, ohne zu sehen, wie viele Kinder für die Gewinnung von Kobalt in Afrika leiden müssen. Die Chance, über unsere Bewusstseinsspaltung auf der Bühne zu Menschen zu sprechen, ist auch ein Stück Selbsttherapie – ich bin ja nicht frei von diesem absurden Denken. Ich habe immer ein Notizbuch bei mir und notiere alles, was mir auffällt, etwa wenn ich mit einem autonom steuernden Elektrofahrzeug durch die Republik reise. Das gibt es ja schon lange: die Bahn. Wenn ich ein neues Programm schreibe, ziehe ich mich in eine geheime Wohnung zurück, nicht einmal meine Familie weiß, wo ich bin. Dann recherchiere ich, nicht nur im Internet, sondern auch mit Büchern, sowohl Fachliteratur als auch Belletristik. Und dann muss ich einen Weg über den Humor finden, um mit meinen Informationen und Aha-Erlebnissen die Hirne in Bewegung zu setzen und Zusammenhänge aufzuzeigen: Quellen finden, Linien offenlegen. Wir Kabarettisten sprechen vom Humorbergwerk: Es gibt viel Grobzeug abzutragen, ehe die Diamanten zu Tage kommen und etwas auslösen.

F: Sie denken, unsere Hirne sind eingeschlafen.

AR: Ja, oder womöglich auch vermoost. In Stuttgart, habe ich gehört, haben die Grünen Mooswände gegen den Feinstaub aufstellen lassen. Anscheinend sind diese grünen Wände inzwischen im Abgas braun geworden – ein Farbenspiel, das auch in der Politik ablaufen kann. Allein das Bild von einer Wand mit verwelktem braunem Moos als Mauer gegen den Umweltdreck der Autos in einer Stadt mit einem grünen Ministerpräsidenten und einem grünen Oberbürgermeister ist urkomisch aber auch tragisch.

F: Sie haben eine gewisse Beziehung zu Stuttgart, waren oft hier …

AR: ... ja, das stimmt. In den Anfängen der 3 Tornados sind wir außerhalb Berlins vor allem bei den Schwaben sehr gut angekommen. Ich habe bei den Menschen in Stuttgart schon früh eine Mischung aus technischer Präzision und intellektueller Wachheit erkannt. Das hat mich vermutlich infiziert: Seit langem habe ich einen Mercedes in der Garage und bis heute reichlich Schiller im Kopf. Schon komisch, wenn ich dann als Bahnfahrer in der Milliardengrube von Stuttgart 21 lande. (Interview: Joe Bauer)







 

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