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Dienstag, 22. August 2017, 1833. Depesche

 

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TAXI NACH AMERIKA

Eine Portion Ahnungslosigkeit ist für den Spaziergänger oft genug ein Segen. Sie hält ihn wach. Am Rotebühlplatz ging ich zum Taxistand, um ein mir unbekanntes Pflegeheim aufzusuchen. Noch ging es nicht darum, mich selbst einzuliefern, nur um einen Besuch.

Vorne in der Reihe stand ein sonderbares, in den Straßen nur selten gesehenes Auto. Ein Tesla. Obwohl ich mit Autos nicht mehr viel am Hut habe, überkam mich beim Einsteigen in die Elektrokutsche ein ähnliches Gefühl wie damals, als mich ein Mann mit Lebenserfahrung zum ersten Mal auf dem Beifahrersitz seiner Chevrolet ­Corvette Platz nehmen ließ. Das war die große neue Welt. An diesem Tag wäre ich um ein Haar amerikanischer Patriot geworden – hätte nicht Nixon regiert.

Vor meiner Fahrt zum Pflegeheim hatte ich nicht gewusst, dass es in der Stadt Tesla-Droschken gibt. Dem Vernehmen nach drei. Also löcherte ich den Fahrer mit dummen Fragen – was ihn nicht aus der Ruhe brachte. Egon Pfeiffer, 64 Jahre alt, hat sich an die Neugier Ahnungsloser gewöhnt. Oft fragen ihn Kunden, ob sie vor seinem Auto ein Selfie machen dürfen. Unsereins verabredete sich mit ihm auf einen Plausch im Café Hafendörfer, Eberhardstraße.

Es war nicht nur das Auto selbst, das mich umtrieb. Zufällig ist mir in jüngster Zeit einige Male der Name Nikola Tesla begegnet – und damit die Geschichte dieses geheimnisvollen Erfinders und betrogenen Genies; am Ende seines Lebens hauste er völlig verarmt auf Kredit im Hotel.

Erst neulich hatte ich Anthony ­McCartens Roman „Licht“ zum Thema Stromerfinder in meiner Kolumne über die Dieselstraße und die Edisonstraße erwähnt – so war es nur logisch, dass wenige Tage später ganz vorne am Taxistand Egon Pfeiffers Tesla auf mich wartete. Wie bestellt.

Vermutlich ist es ein cleverer Schachzug, ein Auto Tesla zu nennen und es damit nicht nur mit einem Elektromotor, sondern von Anfang an mit einem Mythos auszustatten. Wie gut sich Mythen verkaufen, zeigt uns ein Modeunternehmen, das seinen Klamotten mit dem Namen Diesel das Abenteuer-Image eines – ebenfalls tragisch geendeten – Erfinders gibt.

Das Leben des serbischen Priestersohns Nikola Tesla, geboren 1846 im Kaisertum Österreich, gestorben 1943 in New York, hat Schriftsteller, Filmemacher und andere Künstler fasziniert. Da kann es nicht falsch sein, wenn sich ein Provinzspaziergänger mit Herrn Pfeiffer aus Horb am Neckar im Kaffeehaus trifft, weil er wissen will, wo er die Batterien seines Taxis auflädt. Kein Problem, sagt er: am Supercharger, der Tesla-Ladestation, in Leonberg. Eine, wenn ich so sagen darf, elektrische Tankfüllung dauert etwa anderthalb Stunden. Danach fährt das Auto laut Herrn Pfeiffer 400 Kilometer. In Details werde ich mich als Physikniete nicht einmischen, zumal ich gerade im neuen „Spiegel“ von den „Strom-Illusionen“ und dem „Ökoschwindel“ bei Elektromobilen mit angeblich hoher Reichweite gelesen habe.

Die Bedenken gegenüber den Vorzügen des Elektroautos teilt Herr Pfeiffer nicht. Er hält es momentan eindeutig für die beste Alternative zum Verbrennungsmotor. Seit 27 Jahren fährt der gelernte Bankkaufmann selbstständig Taxi. Erst BMW-Diesel, später Diesel- und zuletzt Autogas-Modelle von Mercedes. Seit Anfang 2016 ist er mit seinem 120 000 Euro teuren Tesla unterwegs. Anreiz, sich den Luxuswagen anzuschaffen, war nicht nur eine 15 000-Euro-Subvention des Landes für E-Taxis. Oder die wenigen Reparaturen. Es sei ein Unding, sagt er, unsere Atmosphäre mit verbranntem Öl zu vergiften. Den Feinstaub in der Stadt könne er am eigenen Körper spüren. Nein, er sei kein Grüner, sagt er, nur einer, der an die Umwelt und unsere Nachkommen denke. Auch als Vater zweier Kinder.

An seinem neuen Auto lässt er keine Zweifel. Wenn er einen Stammkunden nach Frankfurt zum Flughafen bringe, laufe das nicht viel anderes ab als vorher mit dem Diesel: zwischendurch eine Kaffeepause, heute eben auf der Rückfahrt am Supercharger in Weinheim an der Bergstraße. Er müsse ja nicht jedes Mal die volle Ladung nehmen. Mit seinem Tesla, erzählt er, sei er sogar in Urlaub nach Katalonien gefahren. 1200 Kilometer, wie früher mit den üblichen Stopps zum Essen und Übernachten, diesmal an den Ladestationen in Genf/Schweiz, Nîmes/Frankreich und Girona/Spanien.

Egon Pfeiffer hat sich mit der Geschichte des Wechselstrom-Erfinders Nikola Tesla beschäftigt. Er weiß vom Energiekrieg des esoterischen Mannes und dessen Mitspielers George Westinghouse mit dem Gleichstrom-Rivalen Thomas Alva Edison.

In Paul Austers großartigem Roman „Mond über Manhattan“ erfahren wir eine Menge über Nikola Tesla. Im vierten Kapitel landet der junge Ich-Erzähler Marco Stanley Fogg in den späten Sechzigern des 20. Jahrhunderts als Sekretär bei dem gebrechlichen Wunderling Thomas Effing, der Tesla erstmals 1893 getroffen hat. „Als Tesla nach Amerika kam“, erzählt der alte Mann, „versuchte er Edison seine Idee zu verkaufen, aber das Arschloch in Menlo Park hat in abgewiesen. Glaubte, dann wär‘s mit seiner Glühbirne aus (…) Also verkaufte Tesla seinen Wechselstrom an Westinghouse, und dann bauten sie das Kraftwerk an den Niagarafällen, das größte Kraftwerk des ganzen Landes.“

Um Tesla, lesen wir bei Auster, entstand zeitweise ein Kult, der viele Zeitgenossen glauben ließ, er sei ein Außerirdischer – zur Erde geschickt mit dem Auftrag, der Menschheit die Geheimnisse der Natur zu lehren und Gottes Wege zu offenbaren.

Eine gewichtige Rolle spielt der Erfinder auch in Christopher Nolans Film „Prestige – Die Meister der Magie“ von 2006, mit Hugh Jackman, Christian Bale und Michael Caine. Die Figur des Nikola Tesla verkörpert darin das Popgenie David Bowie. Und seit Mitte der Achtziger schmückt sich eine amerikanische Hardrock-Band mit dem Namen Tesla – als Verbeugung vor dem Wegbereiter der elektrischen Gitarre.

Von all diesen Dingen wüsste ich heute weniger, wäre ich nicht am Rotebühlplatz zufällig in Egon Pfeiffers Taxi gestiegen. Womit bewiesen wäre, wie klein die große Welt ist und wie spannungsreich die kleine Stadt sein kann, seit Nikola Tesla den Wechselstrom erfunden hat.



 

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