Bauers Depeschen


Dienstag, 15. August 2017, 1830. Depesche



FLANEURSALON mit ROLF MILLER

in UNTERTÜRKHEIM

Am 17. Oktober ist der Flaneursalon in Untertürkheim, an einem eher unbekannten Ort. Bei unserem Gastspiel in einem bizarren, zum Club ausgebauten Industriekeller machen der Halbsatz-Komiker Rolf Miller, das schräge Folklore-Duo Loisach Marci und die Balladensängerin Anja Binder mit. Vorverkauf - auch telefonisch: EASY TICKET



Hört die Signale!

MUSIK ZUM TAG



Die aktuelle StN-Kolumne:



KINDERLEICHTER

Hoch im Norden war ich unterwegs, nach meinem Gefühl kurz vor den ersten Deichen. Immerhin stand ich vor einem Brunnen, gestaltet mit einem Knaben und einem Fisch. Ganz oben in der Lenzhalde, wo angeblich der Frühling früher in die Stadt kommt als in jeder anderen Ecke. Ein Kollege aus Hamburg hat mir neulich gesagt, je länger man sich mit einer Stadt beschäftige, desto tiefer grabe man sich in sie hinein. Eines Tages, denke ich, werde ich mich so weit in das Gedärm der Stadt hineingefressen haben, dass ich mich fühlen muss wie ein Arschkriecher – für den man im Englischen den höflicheren Begriff „brown nose“ gefunden hat.

Die Nasenweisheit und der Blick auf die Umgebung sind verdammt wichtig: „Umwelt ist nicht alles. Aber ohne Umwelt ist alles nichts“, heißt es auf einem Wahl­plakat der Grünen. Ich sah es auf meinem morgendlichen Sonntagslauf, der mich von meinem westlichen Heimathafen die Lenzhalde und die Robert-Bosch-Straße hinauf zum Bismarckturm führte und schließlich in den Kräherwald mit seinen schön weichen, mit stattlichen Kackhäufen garnierten Wegen. Vermutlich gibt es dort oben noch Wildpferde.

Die grüne Philosophie begreift man erst, wenn man die erste Silbe der Umwelt gekappt hat: „Welt ist nicht alles. Aber ohne Welt ist alles nichts.“ Mit einer solchen, vollkommen absurden Botschaft werde ich dummer Wähler endlich intellektuell aufgewertet, nachdem ich beim Blick aus dem Fenster wochenlang dasselbe Plakat an der Stange meines Straßenschilds ertragen musste: „Cem Özdemir ist hier.“

Darauf ein Bier wie mir.

Das Befestigungsband für das Poster hat man durch zwei Löcher im scharf angeschnittenen Stirnbereich von Özdemirs Photoshop-Gesicht gezogen, weshalb er aussieht, als habe man sein Hirn festgetackert. Das Plakat weist auf eine Veranstaltung im Bürgerzentrum West hin und fordert den Betrachter auf: „Stellen Sie Ihre Frage!“ Keine Fragen, Euer Ehren.

Eigentlich war mein Sonntagslauf nicht dafür gedacht, mir Wahlplakate anzuschauen. Aber wie könnte ich wegschauen, wenn am Wegrand ein dreitagebärtiges Model der Kategorie Calvin-Klein-Unterhosen auf einem Smartphone herumwurschtelt und mir die globale Losung des Jahrhunderts entgegenschleudert: „Digital First. Bedenken Second“. Schade, diese Zeilen neben dem Foto des FDP-Weltstars Christian Lindner erfüllen nicht ganz meine Ansprüche als altem Stabreimdichter: Um der korrekten Alliteration wegen, aber auch zur inhaltlichen Präzisierung müsste die FDP-Botschaft lauten: „Digital First. Denken Second“. D & D. Und erst wer das Denken an sich als sekundär betrachtet, erreicht das Niveau des österreichischen Fußballpoeten Hans Krankl: „Wir müssen gewinnen, alles andere ist primär.“

Leider kann ich bei meiner heutigen Plakatlektüre nicht alle Parteien würdigen, weil ich beispielsweise von der AfD und der Linken nichts gesehen habe. Anscheinend haben deren Werbetrupps länger gepennt als ich. Auf meinem Weg durch die Villenviertel des Nordens dominierte die FDP. Ihren schönsten Text las ich unter dem strahlenden Lächeln der Kandidatin Judith Skudelny: „Mobilität ist Freiheit für ein weltoffenes Stuttgart. Denken wir neu.“ Was uns der Wahlkampfdichter damit sagen will, wird die Frau wohl mit ins Grab nehmen. Vermutlich hat er – digital first – seinen Computer ein paar „positiv“ besetzte Wörter aneinanderreihen lassen und dann dem Chef der Marketingagentur gesagt: „Bedenken Second“. Sein neu denkender Boss hat daraufhin seinen Calvin-Klein-Schlüpfer hochgezogen und weltoffen geantwortet: „Man muss nicht immer das Salz in der Suppe suchen.“ (Meinetwegen, das war der Fußballer Philip Lahm.)

Als ich, heftig schwitzend, endlich am Bismarckturm ankam, wehte eine große Fahne mit dem Konterfei eines bärtigen Charakterschädels im Morgenwind. Meine Vermutung, Martin Schulz habe jetzt auch Stuttgarts Gipfel erklommen, bestätigte sich nicht. Auch zwei Jahre nach den Geburtstagsfeiern zu Ehren des verfressenen deutschen Ex-Kanzlers weht die Fahne „200 Jahre Bismarck“. Es zeugt von Weltoffenheit, wenn in einem demokratischen Land die Verehrung eines erklärten Antidemokraten weiterlebt. Im kommenden Jahr werden die Brown-Nose-Abteilungen garantiert seines 120. Todestags gedenken.

Und wie gefestigt unsere Demokratie trotz der etwas angespannten Atombombenweltlage und unseres gebeutelten Europas ist, wird die kommunistische MLPD erfahren, wenn sie mit ihrer obszönen Plakatforderung baden geht: „Hoch die internationale Solidarität!“

Damit sind wir, kurz vor dem 100. Jahrestag der verratenen deutschen Revolution, bei der SPD. Auf meiner Tour begegnete ich laufend der Reklame Ute Vogts. Einer Kandidatin, die einst berühmt wurde, als sie einem Radiosender ihre vorgetäuschten Orgasmen gestand. Bei welcher Tätigkeit, weiß ich nicht. Diesmal posiert sie mit angetäuschtem grauem Strähnchen in der Stirn und dem erotisierenden Umarmungsslogan: „Für Stuttgart“. Damit sie sich deutlich von Bismarck abhebt, hat der Plakatmacher noch in kleinen Buchstaben die Zeile darunter gesetzt: „Am 24. 09. für Demokratie und Respekt!“ Diese Zeile steckt voller Wahrheit: Am 24. 09. für Demokratie – ­danach gibt‘s wieder Sozialdemokratie.

Obwohl eigentlich nicht zu überbieten, gelang es dem CDU-Mann Stefan Kaufmann, Vogts Slogan virtuos zu modifizieren: Er ist nicht nur „Für Stuttgart“, sondern „Aus Stuttgart. Für Stuttgart“. Somit glänzt er als astreiner Bio-Stuttgarter, während Frau Vogt mit der Schmach ihres Heidelberger Migrationshintergrunds leben muss. Ähnlich wie Vogt hat die Gesamt-CDU auch noch das Wesentliche berücksichtigt: „Für mehr Respekt vor Familien“. „Familien sollen es“, so heißt es, „kinderleichter haben.“ Und vollends um jeden Inhalt erleichtert, spielt die Partei jetzt nicht mehr nur „Für Stuttgart“, sondern „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“. Da stimme ich zu, schon weil ich nach meinem kinderleichten Sonntagslauf in den hohen Norden gut und gern wie der Fußballer Thomas Häßler behaupten kann: „Ich bin körperlich und physisch topfit.“ Bedenken second.



 

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