Bauers Depeschen


Dienstag, 02. August 2016, 1662. Depesche

 

SCHMUDDEL-BANKETT

Achtung, wir sind dran: Am Samstag, 20. August, machen wir, die Freunde der Altstadt, unser 3. Schmuddel-Bankett in der Leonhardstraße. Gepflegte Tischreihe auf dem Strich für Essen, Trinken & Plaudern. Am Nachmittag - etwa gegen 15.30 Uhr - Spaziergang durchs Leonhardsviertel mit der Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle. Unsereins erzählt auch ein bisschen was. Erstklassige Musiker treten auf: Steve Bimamisa & Friends: David Presna, Marie Herzog, Tilman Schaal & Thabile - sowie das Duo Nasim & Marcel Engler. Unsere Hommage an das Leonhardsviertel beginnt um 14 Uhr und endet gegen 20 Uhr. Motto: Unsere Altstadt darf nicht vor die Hunde gehen!



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LIED DES TAGES



Die aktuelle StN-Kolumne:



TUNIX

Vielleicht bringt mich eine Ruhebank am Blauen Weg, hoch über Heslach, doch noch auf die richtige Spur. Bezeichnend für das Desaster meines Daseins ist, dass ich diese Bank nicht etwa während einer Pause wahrgenommen habe. Vielmehr war ich zuvor hunderte Male schwitzend an ihr vorbeigehechelt, ohne ihre Botschaft zu sehen. Erst am vergangenen Sonntag, morgens kurz vor zehn, ist mir dieser im Holz eingravierte Spruch aufgefallen: „Mische Tun mit Nichtstun . . .“

Besagte Bank steht auf der Schlussstrecke der Route, die ich mit meinem Waldlaufpartner Eddy seit neun Jahren regelmäßig abarbeite. Wir laufen zunächst durch den Dachswald, und wenn wir auf dem Rückweg den Blauen Weg hinter uns gelassen haben, wartet nur noch die Kür: einige Meter die Hasenbergsteige hinauf, zurück zu unserem Startplatz, so gut es eben geht für einen alten Sack. Der jüngere Eddy zieht mir auf diesem Folterstück immer davon, eines Tages aber, da bin ich mir sicher, wird auch er ein Auslaufmodell sein.

Bedauerlich, dass ich den Spruch „Mische Tun mit Nichtstun“ so spät gesehen habe. Heute ist das Nichtstun für einen Gewohnheitsmenschen kaum mehr zu erlernen. Da hilft es auch nicht, wenn ich als Berufsspaziergänger dem einen oder anderen schon jetzt als Nichtsnutz gelte – oder als „Gammler“, seit dieses schöne Wort eine Renaissance erlebt. Doch auf den Leumund ist, äh, gepfiffen: Etwas „Richtiges“ zu tun ist oft viel einfacher, zumal unser rigoroses Wachstumssystem keinerlei Rücksicht auf das Leben nimmt.

Die genaue Herkunft der Weisheit „Mische Tun mit Nichtstun“ ist mir nicht bekannt. Beim Googeln fand ich die Einträge „Mische Tun und Nichtstun, und du verbringst dein Leben mit Fröhlichkeit“ und „Mische Tun und Nichtstun, und du wirst nicht verrückt“ – beide Sätze werden den Russen zugeschrieben.

Ich bin jung genug, um mich an die Tunix-Bewegung zu erinnern: Zehn Jahre nach der 68er-Revolte wurde sie in Berlin ins Leben gerufen. Vor dem ersten Tunix-Kongress hatten Spontis und Alternative den Aufruf geschrieben: „Uns langt’s jetzt hier! Der Winter ist uns zu trist, der Frühling zu verseucht, und im Sommer ersticken wir hier. Uns stinkt schon lange der Mief aus den Amtsstuben, den Reaktoren und Fabriken, von den Stadtautobahnen. Die Maulkörbe schmecken uns nicht mehr und auch nicht mehr die plastikverschnürte Wurst. Das Bier ist uns zu schal und auch die spießige Moral. Wir woll’n nicht mehr immer dieselbe Arbeit tun, immer die gleichen Gesichter zieh’n. Sie haben uns genug kommandiert, die Gedanken kontrolliert, die Ideen, die Wohnung, die Pässe, die Fresse poliert. Wir lassen uns nicht mehr einmachen und kleinmachen und gleichmachen. Wir hauen alle ab! . . . zum Strand von Tunix.“

Nicht viele, fürchte ich, haben es bis zum Tunix-Strand geschafft. Dennoch lebt der Geist der Pioniere fort. Der Autor Björn Kern, im Jahr des Berliner Tunix-Treffens geboren, hat 2015 ein Buch verfasst mit dem Titel: „Das Beste, was wir tun können, ist nichts“. In einem Aufsatz für „Die Zeit“ schrieb er dazu: „Probieren Sie es doch einmal mit Nichtstun (. . .) Sie müssen Ihren Job nicht kündigen. Versuchen Sie nur, nicht aufzusteigen, das ist schon schwierig genug. Nichtstun ist keine Ideologie, sondern eher Versuch und Irrtum. Setzen Sie sich unter einen Birnbaum oder auch nur ins nächste Wartezimmer, es ist nicht von geringster Bedeutung. Seien Sie stolz auf alles, was Sie unterlassen, und wenn es nur eine Nichtigkeit ist. Verzweifeln Sie nicht, wenn Sie einen Rückfall erleiden und sich in schädliche Tätigkeit flüchten. Nichtstun verlangt einem viel, manchmal alles ab. Das geht mir nicht anders. Denn Nichtstun ist eine Aufgabe fürs ganze Leben.“

Für Millionen Menschen, die gegen ihren Abstieg kämpfen, müssen Kerns Sätze wie Zynismus klingen. Doch lenkt diese Frage ab von meiner Inschrift am Blauen Weg: In ihrem Fall geht es lediglich um den legitimen Anspruch auf zeitweiligen Müßiggang, auf eine mentale Rast zwischen Rattenrennen und Hamsterrad. Besagtes Holzmöbel mit seiner Symbolik des Innehaltens fordert von uns ja bloß eine Mischung aus Tun und Nichtstun. Das bedeutet: Streber und Faulenzer in einer Brust müssen ihren Kompromiss fürs Überleben schließen.

Meine Bank allerdings gibt diesen Gedanken ohne Warnung vor seinen Gefahren weiter: Beim Blick auf viele Rathauspolitiker etwa wäre der Menschheit besser gedient, sie würde sich aufs Nichtstun beschränken – anstatt von ihrem gedanklichen Nichtstun mit dem Aktionismus der Gierigen abzulenken. Das gilt nicht nur für den verheerenden Abriss guter Häuser in der Stadt. Oder ein Zehntausend-Millionen-Euro-Loch mit dem irreführenden Titel S 21. Mischen sich in unserer Politik Nichtstun und Tun, produziert man zur (angeblichen) Eindämmung des Autowahnsinns nicht nur lächerliche Plakate, die man ausgerechnet in Straßenbahnen aufhängt – als hülfe dies gegen Gift und Gestank, Lärm und Staus. Man macht auch um eine neue, weiterhin für Autos zugelassene „Fahrradstraße“ am Marienplatz so viel Wind, als hätte man endlich die hässliche Stadtautobahn zwischen Staatsgalerie und Staatstheatern überdeckelt. In den Netzwerken löst die neulich in der Tübinger Straße eröffnete Kurzpiste mit Vorfahrt für die Pedal-Abteilung ein Schlachtgeheul aus, als hätten der OB und seine Luftpumpen-Lobby das Rad neu erfunden, um den Untergang des Kessels heraufzubeschwören. Im Bodenkrieg werden Rad- wie Autofahrer zu Hyänen.

Angesichts solcher Aktionen zur Ablenkung vom Nichtstun bei der Bekämpfung der Luft- und Lebensvergiftung in der Stadt lehne ich mich entspannt zurück auf meiner Bank am Blauen Weg, schaue hinab ins Tal und denke mir: Alarm! Kurz vor Heslach ist ein Fahrrad umgefallen.



 

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