Bauers Depeschen


Dienstag, 05. Juli 2016, 1648. Depesche

 

DER FLANEURSALON am 16. Juli im Galerienhaus Stuttgart ist ausverkauft.



ACHTUNG, DEMO

Am 16. Juli findet angesichts der jüngsten Ereignisse eine Samstagskundgebung gegen Stuttgart 21 auf dem Schlossplatz statt. Beginn 13:30 Uhr. Es reden Winfried Wolf, Hannes Rockenbauch und unsereins. Stefan Siller spricht ein Grußwort, Angelika Linckh moderiert. Musik machen die Trommlergruppe Banda Maruca und das großartige Trio des Akkordeonisten Aleks Maslakov: mitreißender Funk-Jazz.



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LIED DES TAGES



Die aktuelle StN-Kolumne:



SITTLICHE GEFÄHRDUNG

Es ist keine Saison für Sommermärchen. Der Sommer hat in diesem Jahr keine Zeit für uns, und an Märchen glaube ich sowieso nicht. Mit ihrem berühmten Schlusssatz „Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute“ haben die Brüder Grimm nichts als Unsinn verbreitet. Noch heute  leben viele, die längst gestorben sind.

Die beste Überlebensstätte, für Schurken und Helden gleichermaßen, ist das Kino. Oft totgesagt, nie gestorben. Der ­ Rockstar, Poet und Filmstudent Jim Morrison hat mal ­geschrieben: „Das Kino wurde von Männern erfunden, um Männer zu trösten.“ Jim ­Morrison ist am 3. Juli 1971 mit 27 Jahren relativ früh abgetreten. Seit 45 Jahren ruht er unsterblich auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise, wo er keine Ruhe hat, weil sich an seinem Grab pausenlos junge ­Damen mit Foto-Posing über ihr trostloses Leben ­hinwegtrösten.

Wenn sich etwas über unseren Alltag zu erheben scheint, etwa ein dackelhaftes ­Elfmeterschießen, denken wir an Kino­bilder und melden mit leuchtenden Augen: „Ganz großes Kino!“ Die etwas Sportlicheren unter uns, die Lederslipper und ­Polohemden tragen, wählen ersatzweise die Phrase „Großes Tennis“ – die ebenfalls ans Lichtspieltheater erinnert, falls man Woody Allens  Melodram „Match Point“ kennt oder die  Sätze, die das früh aus dem Leben geschiedene Schriftstellergenie David Foster Wallace über den Tennisspieler Roger ­Federer geschrieben hat. Auch ein Text wird manchmal zum Film.

Früher bin ich viel öfter ins Kino gegangen als heute, eine Zeit lang gehörte das Kino zum Alltag wie Duschen und Rauchen. Was ich allerdings sträflich versäumte – das merke ich Trottel erst jetzt –, war das Autokino. Eine Schande. Wenn ich mich richtig erinnere, war ich nur ein einziges Mal im Autokino: in den achtziger Jahren in Kornwestheim; damals war mein orangefarbener BMW dafür schon weit weniger geeignet als früher mein Ford Taunus 12M mit seiner durchgehenden Liegesitzbank im ­erweiterten Fahrer­bereich.

Das Kornwestheimer Autokino wurde 1969 eröffnet, das erste Autokino überhaupt im Sommer 1933 in der amerikanischen Hafen- und Industriestadt Camden/New Jersey. Leider ist mein Drang, mich wie ein Mann zu trösten, in einer unglücklichen Epoche gewachsen. Es war die Zeit, als man sich bei einer Dame, die man versehentlich an einem Kneipentresen angerempelt hatte, mit den Worten entschuldigte: „Gehen wir zu mir oder zu dir?“ Das war oft die falsche Strategie, zumal es eine viel listigere, weil romantische und dennoch unzweideutige Frage gegeben hätte: „Gehen wir ins ­Autokino?“ Im Autokino liefen Filme, bei denen man problemlos mehrere Dinge gleichzeitig tun konnte, ohne etwas zu ­versäumen. Wir kennen das von den ­Übertragungen der Fußball-Europa­meisterschaft.

Dankenswerterweise – auch weil die Technik im eigenen Haus marode ist – erinnert das Schauspiel Stuttgart zurzeit an das Autokino. Der Regisseur René Pollesch hat mit Unterstützung der  Video-Abteilung des Staatstheaters sein Stück „Stadion der Weltjugend“ in Kornwestheim inszeniert. In diesem Zwitter aus Theater und Film wirkt unter anderem der Star-Schauspieler und Ex-„Tatort“-Kommissar Martin Wuttke mit. Das Meiste der Vorführung sehen wir auf der riesigen Leinwand auf dem Parkplatz, einige Szenen auch live auf Gottes asphaltiertem Erdboden. Der Ton kommt aus dem Autoradio, also nicht mehr wie früher aus einem kleinen Lautsprecher am Haken, der einem durch die heruntergekurbelte Fensterscheibe gereicht wurde.

In Polleschs Film-Theater, das ich als Beisitzer in einem Mietwagen sah, geht es um die Liebe, die Kunst und das Auto. Über die Geschichte des Autokinos, über seine Filme mit Legenden wie Boris Karloff oder Eddie Constantine, klärt uns ein sehr ­schöner Text von Markus Metz und Georg Seeßlen in einem Faltblatt zur Vorführung auf. Unter der Überschrift „Monster, ­Mädchen und Motoren“ lesen wir: „Das Auto­kino ist in erster Linie ein Mythos der ­amerikanischen Kulturgeschichte. Es ­gehört zu den fünfziger Jahren wie Rock ‚n’ Roll, Pomade in den Haaren, Kaugummis zwischen den Zähnen, Comics und Farbe, jede Menge Farbe. Cadillacs in Pink oder mehrfarbige Cabriolets. Die goldenen Jahre von Pop und Teenager-Kult.“

Hierzulande war das Autokino vor allem den Spießern suspekt: „Bürgerliche ­deutsche Familien schätzten es nicht, wenn sich der Nachwuchs an diesen Ort begab, wo auf der Leinwand mindestens ebenso ­sittliche Gefährdung stattfand wie im ­Wageninneren.“ Selbstverständlich gibt es im Autokino neben dem Parkplatz auch ein Drive-In mit Snacks und Drinks, so dass einer erotischen Gala mit sittlicher Gefährdung nichts im Weg steht, außer vielleicht ein falsch platzierter Schalthebel.

Am Ende der Premierenvorstellung in Kornwestheim applaudierte der Großteil des Publikums mit einem Hupkonzert. Wohl galt es zu beweisen, dass solche urtrieb­gesteuerten Anfälle nicht dem Fußballfan in seinem Autokino namens Korso vorbe­halten sind. Die Lust auf die Tröte, das ­Verlangen, unter freiem Abendhimmel Luft abzulassen, beschreibt der große belgische Schriftsteller Jean-Philippe Toussaint in seinem neuen Buch „Fußball“ mit Blick auf seine infantile Hemmungslosigkeit als Stadionbesucher: „Ich billige die Dummheit und das Gewöhnliche. Ich fühle mich wohl – nennen wird das eine Katharsis.“

Unsereins ist kein Autofahrer, weshalb er das Autokino nur als Abhängiger und nicht als autonomer Pilot besuchen kann. Und leider scheitert die denkbare Snob-Variante des Spaziergängers mangels Kleingeld, wenngleich die Vorstellung ­großes Tennis ist: Samt Anhang könnte ich mich im Taxi vor die Leinwand chauffieren lassen und zwei Stunden Teenager spielen – glotzen, fummeln, hupen. Der ­Kutscher würde während dieses Sommer­märchens zwei, drei Tassen Kaffee im ­Drive-In trinken und auf seinem Handy Fußball gucken.

 

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