Bauers Depeschen


Samstag, 25. Juni 2016, 1643. Depesche



 



DER FLANEURSALON am 14. Juli im Galerienhaus Stuttgart ist so gut wie ausverkauft.



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Die aktuelle StN-Kolumne:



SARDELLEN

Es ist ein heißer Junitag, als ich unter dem Löwenkopf des Schwabtunnels die Treppen hochschaue und mich entscheiden muss: Gehst du durch den Abgasschlund oder über die Staffel ins Grün? Ich sage mir: Vielleicht wird dich die Treppe nicht in den Himmel führen, so doch in eine andere Welt. In Gustav Schwabs Gedicht „Die stille Stadt“ heißt es: „Nenne mir die stille Stadt, / Die den ew’gen Frieden hat, / Deren düstere Gemächer / Sanft sich bauen grüne Dächer: / Über ihrer Häuser Zinne / Wandelt ernst der Fremdling hin / Ziehet fort und hält nicht inne, / Grauen fasset ihm den Sinn.“

Ich gehe also nicht durchs Loch des Grauens, obwohl es nicht mal verboten wäre: Durch den 125 Meter langen Schwabtunnel darf man zu Fuß kriminell manipulierte Autoabgase schlucken. In anderen Straßentunneln der Stadt ist das untersagt.

Am Mittwoch, 29. Juni, wird der Schwabtunnel 120 Jahre alt. Dieses Tor zwischen West und Süd eröffnet auch die Schwabstraße – benannt nicht etwa, wie viele glauben, nach dem Allerweltsschwaben an sich. 1866 hat man sie zu Ehren des Dichters Gustav Schwab so getauft. Es gäbe viel zu sagen über diesen politisch nicht unmutigen Schriftsteller, Gymnasialprofessor und Pfarrer – geboren am 19. Juni 1792 in Stuttgart, gestorben am 4. November 1850, begraben auf dem Hoppenlaufriedhof. Doch beschränken wir uns auf das Kompliment, das ihm Heinrich Heine gemacht hat, als er 1839 in seinem „Schwabenspiegel“ die schwäbischen Dichter verspottete – und ihm die Ehre rettete: „Der bedeutendste von ihnen ist der evangelische Pastor Gustav Schwab. Er ist ein Hering in Vergleichung mit den anderen, die nur Sardellen sind; versteht sich, Sardellen ohne Salz.“

Wie eine vom eigenen Schweiß gesalzene Sardelle fühle ich mich, als ich die Tunnelstaffel hinauf stiefle. In Wahrheit hatte ich am helllichten Mittag nicht vor, den Schwabtunnel zu stürmen, auch wenn er viele olympische Gründe bietet: 1896 nach zweijähriger Bauzeit unter der Leitung des Tiefbauamt-Chefs Karl Kölle eröffnet, war er der erste Straßentunnel der Welt, mit zehneinhalb Metern der breiteste Europas und der erste überhaupt, durch den Autos fuhren – wenn auch nicht bis zu 20 000 ­täglich wie heute. Auch Straßenbahnen rollten durch, letztmals 1972 die Linie 8. Bei der Eröffnung hatte König Wilhelm II. tausend Liter Freibier spendiert, eine Geste, die wir von unseren Kings Kretschmann & Kuhn zum Jubiläum kaum erwarten dürfen. Eigentlich wollte ich nur eine kleine Tour über den Bismarckplatz zum Marienplatz machen. Der Marienplatz im südlichen Bereich der Stadt gilt zurzeit ja als das Zentrum cooler Menschen, die herausgefunden haben, dass sich das Wort „hip“ nicht unbedingt von der ähnlich geschriebenen Baby-Nahrung ableitet. Die neue Attraktivität des Platzes hat vor allem damit zu tun, dass es mehrere Bars nebeneinander gibt und weitere hinzukommen werden. Prädikate wie „urban“ oder „hip“ werden in der Provinz vorzugsweise mit Blick auf die Kneipenzahl verliehen.

Der Marienplatz im Süden, wo gerade das jährliche Fest gefeiert wird, hat seine Qualitäten: Er besteht nicht wie andere sogenannte Plätze der Stadt aus einer hässlichen Straßenkreuzung, an der Fußgänger um ihr Leben kämpfen müssen. Und für die Neugestaltung des Bismarckplatzes im Westen, einem trotz der Kirche St. Elisabeth unheiligen Ort, werden zurzeit Ideen entwickelt – auch von einem Bürgerforum.

Einige Kneipen gibt es bereits am Bismarckplatz: Neben dem altehrwürdigen Eiscafé Fragola mit seiner neuen Pasta-Abteilung hat im Investorenbau Bismarckhaus das üppig mit Leder ausgestattete Griechen-Restaurant Achillion eröffnet. Eine Ecke weiter findet man den Italiener Piloni – und ganz neu und inzwischen der Renner am Platz ist das Restaurant Metzgerei, benannt nach der früheren Metzgerei Häderle im Haus. Zwar leide ich an einer Esskritik-Allergie, melde dennoch guten Gewissens: In der Metzgerei habe ich neulich unter Zeugen einwandfrei zu Mittag gegessen.

Man findet auf der Route von West nach Süd oder umgekehrt also zwei Zieleinläufe mit guten Rastplätzen. Auf dem westlichen Weg zum Schwabtunnel empfehle ich zuvor einen Besuch im noch neuen Musikhaus an der Ecke Schwab-/Augustenstraße. Hans R. Schweizer, der legendäre Patron der Stuttgarter Musikszene, ist mit seinem Geschäft Sound of Music von der Olgastraße in den Westen umgezogen. Und ich schwöre: Angesichts der Schätze in seinen Wahnsinnshallen bekommt auch Lust zum Musizieren, wer eine Stratocaster nicht von einer Ukulele unterscheiden kann.

Doch jetzt auf den Gipfel des Schwabtunnels – der im Zweiten Weltkrieg als Luftschutzbunker herhalten musste - und weiter zur Hasenbergsteige mit der Gustav-Schwab-Büste am Haus Nummer 20. Es wäre nicht weit zur Karlshöhe und nur ein Katzensprung hinunter zum Marienplatz. Ich gehe aber, orientierungslos wie so oft, hinein in die Villenlandschaft an der Hohenstaufenstraße mit ihren Jugendstil- und Gründerzeitprachtbauten. Schließlich lande ich auf der Oscar­Heiler-Staffel – und grüße von ganzem Herzen den großen, 1995 verstorbenen Humoristen. Er hat mir eine Menge beigebracht über Stuttgart und die Welt, wenn ich ihn als junger Kerl in seinem Haus besuchte.

Dann hinunter zur Adlerstraße; schön wäre eine Rast im Heslacher Hallenbad, aber ich marschiere zügig zum Marienplatz und kaufe mir im Plattenladen Ratzer Records ein wenig Musik. Ein Mann braucht eine Belohnung nach einem langen Ritt.

Am Ende, als mir Millionen Auspuffrohre an der Hauptstätter Straße am Marienplatz das Licht auszublasen drohen, trösten mich Gustav Schwabs letzte Zeilen aus der „Stillen Stadt“: „Und der arme Wandrer findet / Bald ein Bettlein recht und schlecht (. . .) / Legt sich nieder in der Stadt / Die den ew’gen Frieden hat.“





 

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