Bauers Depeschen


Dienstag, 17. Mai 2016, 1628. Depesche



Der Klick zum

LIED DES TAGES



Die StN-Fußballkolumne:



WIR FUSSBALLDEPPEN

Da stehen wir im linken, etwas ruhigeren Flügel des B-Blocks auf dem Kickersplatz. Neben mir der seit Jahren vertraute Fußballfreund, als Mensch mir eher unbekannt. Wir schauen abwechslungsweise auf unsere Taschentelefone und uns in die Augen. Es ist Pfingstsamstag, ein paar Minuten nach halb vier, und diesmal, eine Sekunde lang oder ein paar Wimpernschläge mehr, bin ich mir so sicher wie nie: Heute haben WIR das verdammte Glück, das erregender ist als jedes andere, weil es das Glück der Nichtskönner und Verlierer ist. Alles ist vergessen: die diffuse Wut, der ganze Scheiß, die unterdrückten Tränen.

Vor diesen Hirnturbulenzen haben wir mehr als zwei Stunden in einem Betonblock herumgestanden und ein Fußballspiel gesehen, das uns keine Sekunden lang auch nur die geringste Freude an diesem Sport gönnte. Es war eine im Wortsinn trostlose, eine psychoterroristische Vorstellung, die uns nur deshalb fesselte, weil wir wussten, es kann etwas geschehen, das über dieses Spiel hinausgeht. Als die Freunde unseres Gegners aus Chemnitz zwischendurch Feuerwerkskörper explodieren ließen, empfand ich diese Rauchzeichen fast als befreiend: Da roch es mal nach ­Fußballfieber.

Das Kickersspiel war schon aus, die Spieler saßen auf dem Rasen. In unserem kleinen, für die dritte Liga neu möblierten Stadion herrschte trotz stattlicher 6000 Besucher eine merkwürdige Stille. Noch wussten wir nicht, was über dieses Spiel und das 0:1 hinausgehen würde. Denn in den letzten, noch andauernden Sekunden in Cottbus und Wehen bei Wiesbaden spielten sich Dinge ab, die ich nicht mehr beschreiben kann, nach der schwarzen Welle der Depression.

Das alles ist heute eine Ewigkeit her, und es war ein Wink der digitalisierten Gegenwart, als uns am Ende das Smartphone unser Fußballdeppenleben vor Augen führte. Im Spiel des SV Wehen fiel in der 94. Minute das 3:1, und danach war klar: Nicht nur die Partie in Wehen war vorbei – auch unser famoses Leben in Liga drei.

Dieser K.o.-Hieb aus der Ferne, eine Art Voodoo-Schmerz, hatte einen heimeligen Beigeschmack: Der 1:3-Verlierer war der VfB Stuttgart II, ein Absteiger wie wir. Eine Fußnote mit historischem Charme: Zu ­Anfang der Saison hatte den VfB II noch Kramny trainiert, ein Mann, der es nach seinem Aufstieg zum VfB-Team in die erste Liga als einziger Trainer weltweit geschafft hat, in einer Saison mit zwei Mannschaften abzusteigen.

Sei’s drum. Fußball ist ein ernstes Spiel und als Witz-Vorlage nicht geeignet. Wenn sich der VfB-Spieler Harnik für den Kampf gegen den Abstieg mit einem neuen Porsche in der Farbe Lila motiviert, ist das zwar komisch, hat aber mit dem Spiel nichts zu tun. Mit dem Spiel selbst hat es genauso wenig zu tun, wenn die Herrschaften in den Chefetagen glauben, sie könnten die hochkomplizierte Orchester-Arbeit innerhalb eines Clubs furchtlos und treu durch Marketing-und BWL-Gewäsch ersetzen.

Das gilt nicht nur für die ganz oben. Bereits vor Jahren, während der sogenannten Professionalisierung der drittklassigen Kickers durch den rigorosen, auch als S-21-Sprecher bekannten Geldanleger Dietrich, habe ich im Stadionblättchen von so vielen neuen „Marketing-Experten“ gelesen, dass man sich fragen musste: Wen oder was, um Gottes willen, wollen die „vermarkten“?

Mag sein, dass es Reklame-Blendern konkurrierender Schokoriegel gelingt, den Kunden einen Allerweltslutscher als extrageil unterzujubeln. Die Kunst des Fußballclub-Strategen besteht darin, die Chemie eines international besetzten Ensembles mit unterschiedlichsten Menschen zu begreifen, ein Gespür dafür zu entwickeln, wer wann zu wem passt. Und selbst wenn er zusätzlich den besten Buchhalter beschäftigt, muss der Fußballmanager mit brutaleren Zufallsschlägen rechnen als in jeder anderen Branche des Emotionsgeschäfts: Bei einer Pop-Show, zum Beispiel, verlierst du eher selten deine Existenz durch einen 200 Kilometer entfernten Glücksschuss in der letzten Sekunde der 94. Minute.

Das Stuttgart-Triple mit drei abgestiegenen Profi-Teams erinnert an den Niedergang der Volksparteien: Ihre Machtmenschen haben die Menschen aus den Augen verloren – und damit auch den Horizont, falls sie je einen hatten. Ähnlich wie realitätsfremde Politiker sind gewisse Vorstadtmanager, vor allem in Stuttgarts etwas größerem Provinzclub, damit ausgelastet, sich nur noch selbst zu dienen.

 

Auswahl

27.08.2022

24.08.2022

22.08.2022
17.08.2022

14.08.2022

10.08.2022
07.08.2022

06.08.2022


Depeschen 2281 - 2310

Depeschen 2251 - 2280

Depeschen 2221 - 2250

Depeschen 2191 - 2220

Depeschen 2161 - 2190

Depeschen 2131 - 2160

Depeschen 2101 - 2130

Depeschen 2071 - 2100

Depeschen 2041 - 2070

Depeschen 2011 - 2040

Depeschen 1981 - 2010

Depeschen 1951 - 1980

Depeschen 1921 - 1950

Depeschen 1891 - 1920

Depeschen 1861 - 1890

Depeschen 1831 - 1860

Depeschen 1801 - 1830

Depeschen 1771 - 1800

Depeschen 1741 - 1770

Depeschen 1711 - 1740

Depeschen 1681 - 1710

Depeschen 1651 - 1680

Depeschen 1621 - 1650

Depeschen 1591 - 1620

Depeschen 1561 - 1590

Depeschen 1531 - 1560

Depeschen 1501 - 1530

Depeschen 1471 - 1500

Depeschen 1441 - 1470

Depeschen 1411 - 1440

Depeschen 1381 - 1410

Depeschen 1351 - 1380

Depeschen 1321 - 1350

Depeschen 1291 - 1320

Depeschen 1261 - 1290

Depeschen 1231 - 1260

Depeschen 1201 - 1230

Depeschen 1171 - 1200

Depeschen 1141 - 1170

Depeschen 1111 - 1140

Depeschen 1081 - 1110

Depeschen 1051 - 1080

Depeschen 1021 - 1050

Depeschen 991 - 1020

Depeschen 961 - 990

Depeschen 931 - 960

Depeschen 901 - 930

Depeschen 871 - 900

Depeschen 841 - 870

Depeschen 811 - 840

Depeschen 781 - 810

Depeschen 751 - 780

Depeschen 721 - 750

Depeschen 691 - 720

Depeschen 661 - 690

Depeschen 631 - 660

Depeschen 601 - 630

Depeschen 571 - 600

Depeschen 541 - 570

Depeschen 511 - 540

Depeschen 481 - 510

Depeschen 451 - 480

Depeschen 421 - 450

Depeschen 391 - 420

Depeschen 361 - 390

Depeschen 331 - 360

Depeschen 301 - 330

Depeschen 271 - 300

Depeschen 241 - 270

Depeschen 211 - 240

Depeschen 181 - 210

Depeschen 151 - 180

Depeschen 121 - 150

Depeschen 91 - 120

Depeschen 61 - 90

Depeschen 31 - 60

Depeschen 1 - 30




© 2007-2024 AD1 media ·