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Sonntag, 01. Mai 2016, 1623. Depesche



 



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Am Freitag, 6. Mai, ist der Flaneursalon im Freien Theater Bad Liebenzell. Mit Zam Helga, Ella Estrella Tischa, Michael Gaedt. Hier gibt's Karten: FREIES THEATER.



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STREIK IST EINE KUNST

Ein Beitrag über den Gewerkschafter Willi Bleicher in der gemeinsamen Samstagsbeilage "Wochenende" von StZ und StN

Von Joe Bauer



Der Stuttgarter Aktivist Peter Grohmann, 78, besaß Ende der sechziger Jahre eine Druckerei-Klitsche. Zu seinen Kunden gehörten nicht nur die SPD, illegale Kommunisten und die IG Metall, er bediente auch die linken oppositionellen Gewerkschafter um Willi Hoss und Genossen, die spätere Plakat-Gruppe bei Daimler. Eines Tages erhielt Grohmann einen Anruf aus dem Stuttgarter Gewerkschaftshaus, dem Büro des baden-württembergischen IG-Metall-Chefs Willi Bleicher, Grohmann solle zwischen den traditionellen Gewerkschaftern und den rebellierenden „Spontis“ vermitteln: „Der Willi will dich doch sofort sprechen.“ – „Wie sofort?“ – „Sofort ist sofort. Nimm Dir ein Taxi.“

Ein Taxi war damals für Grohmanns Verständnis eher was für Bonzen. Doch einen Willi Bleicher ließ man nicht warten. Diesem Mann, einem begnadeten Redner mit magischer Präsenz, konnte sich kaum einer entziehen. Gleichzeitig gilt der große Gewerkschafter, 1981 im Alter von 73 Jahren gestorben, vielen auch als „widersprüchlicher Charakter“. Mal als Persönlichkeit mit weichem, zutiefst menschlichem Kern, mal als autoritärer Vorgesetzter. Unbestritten ist: Willi Bleicher war einer, dem die Kolleginnen und Kollegen schnell verziehen. Der Respekt vor dem Humanisten, dem politischen Denker und Kämpfer für die Sache der Arbeiter ist ungebrochen.

Heinz Hummler, 1932 in Stuttgart geboren, früher Betriebsratsvorsitzender der einstigen Trafo-Union in Bad Cannstatt, erlebte Bleicher in Arbeitskämpfen. „Willi hat uns gelehrt, dass es den Arbeitern nichts nützt, wenn sie im Kampf für bessere Bedingungen die besseren Argumente haben. Er sagte, es kommt auf unsere Kraft an, um unsere Interessen durchzusetzen.“

Die Sekretärin Helga Winter, 1932 geboren, arbeitete seit dem harten Arbeitskampf der Metaller 1963 in Bleichers Umfeld. „Manchmal war er etwas ruppig. Aber wir haben ihn verehrt. Er hat uns alles beigebracht. Bei uns gab es noch keine großen Konferenzen. Der Willi hatte eine Idee, wir haben uns kurz zusammengesetzt, und die Sache hat geklappt.“

Grohmann erinnert sich auch an den Gemütsmenschen Bleicher, der nachts in der Kellerschenke des Stuttgarter Gewerkschaftshauses jiddische Witze auf Schwäbisch erzählte und mit den Kollegen „Die Internationale“ sang. Die Kellerschenke wurde 2013 geschlossen, das am 1. Mai 1933 eröffnete, schon anderntags von den Nazis besetzte Gewerkschaftshaus in den vergangenen Jahren aufwändig umgebaut. An diesem Samstag wird das Gebäude an der Willi-Bleicher-Straße bei einer kleinen Feier auf den Namen Willi-Bleicher-Haus getauft.

Noch einmal also eine große Ehrung für den legendären, in Cannstatt geborenen Widerstandskämpfer und Gewerkschafter, der zu Lebzeiten von Auszeichnungen nicht viel hielt. Mit gutem Grund hat der Journalist Hermann G. Abmayr seine fundierte Willi-Bleicher-Biografie von 1992 „Wir brauchen kein Denkmal“ genannt. „Es gibt viele Legenden um Willi Bleicher“, sagt Abmayr. „Er ist nie Schlosser gewesen und hat nie, wie es lange hieß, bei Daimler gelernt, sondern eine Bäckerlehre absolviert.“ Zeit seines Lebens, sagt der Autor, habe sich Bleicher für die Gerechtigkeit eingesetzt. „Personenkult mochte er nicht. Und seine Idee vom Sozialismus war immer verbunden mit dem Humanismus. Deshalb kritisierte er auch die DDR.“

1936 wird Willi Bleicher auf dem Daimler-Gelände in Untertürkheim, wo er für eine Baufirma arbeitet, verhaftet; er ist in der Widerstandsgruppe Neckarland aktiv. Nach zwei Jahren im Gefängnis sperren die Nazis ihn ins KZ. Acht Jahre dauert seine Leidenszeit in Buchenwald, wo er die Effektenkammer mit dem Hab und Gut der Gefangenen betreut.

1944 kommt der dreijährige Stefan Jerzy Zweig mit seinem Vater im KZ an. Willi Bleicher und seine Genossen kümmern sich um den Jungen, setzen alles daran, sein Leben zu retten. Für die SS ist er ein unnützer Esser. 1964 kommt es in Stuttgart zum ersten Treffen von Stefan Jerzy Zweig und seinem Retter, inzwischen Chef der baden-württembergischen IG Metall. Die Geschichte des „Buchenwald-Kinds“ macht Schlagzeilen. Für Mythen und Irrtümer hat zuvor schon der 1958 veröffentlichte Roman „Nackt unter Wölfen“ gesorgt: Der Leipziger Schriftsteller Bruno Apitz schildert darin fiktiv die Geschichte des kleinen „Juschus“, wie Bleicher ihn nannte. Entpsprechend weicht die gleichnamige Buch-Adaption des DDR-Regisseurs Frank Beyer von 1963 von den historischen Fakten ab: Im Film wird der Junge von den Mitgliedern der Widerstandsgruppe im KZ in einem Koffer gefunden und versteckt. Sicher ist: Ohne die Hilfe Bleichers und anderer Gefangener hätte das Kind nicht überlebt.

„Onkel Willis hat Kinder sehr geliebt“, sagt Edeltraud Widmaier, die Lieblingsnichte Willi Bleichers. 1944 geboren, lebt sie heute im ehemaligem Reihenhaus ihres Onkels in der einstigen Arbeiter-Siedlung Luginsland. Im Nachbarhaus hatte einst die Familie Schlotterbeck gewohnt; auch die Schlotterebecks kämpften im Widerstand. Vater Gotthilf war einer von Bleichers politischen Lehrern. Er wurde wie fast alle Mitglieder der Gruppe von den Nazis ermordet.

Edeltraud Widmaier hat erlebt, wie Willi Bleicher zu Hause das Telefon in einen Bodenteppich einwickelte, als ihn während der großen Arbeitskämpfe 1963 und 1971 hasserfüllte Reaktionäre mit Morddrohungen heimsuchten. Der ehemalige Kommunist und spätere Sozialdemokrat, Vater von zwei Kindern, war ein Mann, der nie aufgegeben hat, auch nicht, als er gleich zu Beginn seiner Gewerkschaftskarriere den politischen Intrigen in den eigenen Reihen zum Opfer fiel. Bleicher hatte ein Klassenbewusstsein und eine politische Haltung wie kaum ein anderer. Für ihn war der Streik „eine Kunst“, die taktisch und emotional, intellektuell und intuitiv beherrscht werden musste. Darin war er Meister. Im Kampf um die Arbeiterinteressen sprach er nicht wie viele SPD-Leute von der „Sozialpartnerschaft“ mit den Unternehmern. Eines seiner berühmtesten Zitate hatte er als Junge bei einem Kupferschmied aufgeschnappt: „Du sollst dich nie vor einem lebenden Menschen bücken.“

Als Taktiker beugte sich Bleicher durchaus, wenn es darum ging, selbst hauchdünne Mehrheiten im Dienst der Solidarität und Disziplin zu akzeptieren. Frei nach Lenin ging er noch den seltsamsten Pakt ein, wenn er in seinen Augen der Sache diente: In den aufreibenden Konflikten mit dem rigorosen Arbeitgeber-Präsidenten Hanns Martin Schleyer etwa riet er seinen Kollegen, nicht auf Schleyers Vergangenheit als SS-Führer einzugehen. Der Blick auf die Gegenwart, sagte er, schärfe das Bewusstsein im Arbeitskampf besser.

Das Willi-Bleicher-Haus wäre ein guter Ort, an die Geschichte seines großen Namensgebers zu erinnern und sie neu zu beleuchten.



>> Wer etwas über Willi Bleicher und ihn selbst hören will: In der Mediathek ist ein neuer 30-Minuten-Beitrag für „SWR 2 Wissen“ von Hermann Abmayr abrufbar: „Willi Bleicher: Widerstandskämpfer und Gewerkschafter“.

Hier geht es zum Radio-Beitrag: LINK SWR 2





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