Bauers Depeschen


Mittwoch, 05. August 2015, 1503. Depesche



 



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LIED DES TAGES



LIEBE GÄSTE,

die Kolumnen-Arbeit geht wieder los. Und der letzte ausschweifende FLANEURSALON LIVE in diesem Jahr steigt im Herbst, diesmal mit der Buch-Präsentation: "In Stiefeln durch Stuttgart - Komakäufer und Rebellen". Am Sonntag, 18. Oktober, im Theaterhaus mit:

Christine Prayon - als Entertainerin des Abends

Vincent Klink & Begleitung - als Poet und Musiker

Eric Gauthier & Begleitung - als Sänger und Erzähler

Eva Leticia Padilla & Band - als Stimme des Abends

Toba Borke & Pheel - als Wort- und Rhythmus-Maschine

Joe Bauer - als Dingsbums



„Wenn man die Internationalität der Stadt spüren will, geht man in Joe Bauers Flaneursalon, eine Art Revue aus Komik, Literatur und Rock `n` Roll.“

Die Taz, Berlin



Vorverkauf online: THEATERHAUS - Kartentelefon: 07 11/4020-720.



Die aktuelle StN-Kolumne "Joe Bauer in der Stadt":



FUKUSHIMA

Eine lange Kolumnenpause liegt hinter mir. Das passiert, wenn die Dinge durcheinandergeraten. Eigentlich wollte ich nur 21 Tage damit verbringen, eine Ladung Texte zu sortieren und zurechtzustutzen, damit sie zwischen zwei Buchdeckel passen. Kaum aber hatte ich damit begonnen, beschallte man mich dermaßen mit dem tödlichen Sound von Bohrmaschinen und anderem schwerem Baugerät, bis ich mein Sturmgepäck packte und auf Trebe ging. Alle weiteren Vorkommnisse, die sich danach direkt in meinem Rücken abspielten, betrachte ich als eine Verzahnung widriger Umstände und höre jetzt auf zu jammern, weil Privatprobleme von Schreiberlingen weniger interessant sind als der Reissack, der auch in China wieder mal nicht umgefallen ist.

Diese Floskel war zwingend, da ich auf der Flucht in meiner heimischen Umgebung einen Laden mit „Original chinesischer Massage“ entdeckte. Originaler geht es nicht: Als ich die Frau im Laden auf eine Rückenbehandlung ansprach, gelang mir eine Terminvereinbarung erst, als ich mit dem Finger auf meine Armbanduhr zeigte und damit unser Sprachproblem überbrückte. Über die deutsch geschriebenen Angebote auf der Menükarte – „Kopfmassage, Schröpfmassage, Akupressurmassage“ – wollte ich nicht gleich entscheiden. Sicher war ich mir nach dem Dialog mit der Masseurin nur in einem Punkt: Wenn ich eines Tages vor dem Rassisten-Mob nach China flüchten muss, werde ich mit meinem Gestammel nicht einmal ein Zelt zum Übernachten finden.

Nach der Schreibpause müssten die Einfälle eigentlich aus dem Hirn flutschen, geschmeidig wie nach einer chinesischen Aroma-Öl-Massage. Aber so ist es nicht. In einer Autostadt wie Stuttgart überschlagen sich die Ereignisse schneller, als ein Pferd einen fahren lässt (Jack Nicholson in „Chinatown“). Weiß also fast nicht, wo ich anfangen soll.

Kaum auf einem Asphaltgartenstuhl vor meiner Stammkneipe in Siesta-Stellung, las ich in der Zeitung, der Oberbürgermeister habe einen grünen Masterplan zur Neuordnung des Freiluftmobiliars der Gastwirtschaften entwickelt. Wohl müssen demnächst die Sitzbänke abgesägt, die Werbeschriften auf den Sonnenschirmen vernichtet und die Gehsteige freigekämpft werden. Dagegen darf die von Autogasen verpestete Luft wie in jeder anderen Stadt unter der Fuchtel opportunistischer Machtpolitiker weiterhin unlimitiert geatmet werden. Auch wird im Rahmen der großstädtischen „Unser Dorf soll schöner werden“-Kampagne nichts dagegen unternommen, wenn einssiebzig große Männer mit 140 Kilo Lebendgewicht in kurzen Hosen und ärmellosen Unterhemden auf ihrem Freiluftsitz in ein feuchtes „Boah“ ausbrechen, weil vor ihrer Wampe ähnlich geschmackvolle Typen ihre lächerlichen Boliden durch die Straße jagen. Da fragt sich der verspannte Draußensitzer: Was für eine Augenweide im Stadtbild ist ein Sonnenschirm mit Whiskywerbung neben einer Kneipenbank im Vergleich zu einem bekleckerten Muskelshirt voller fetter Biertitten?

Zum besseren Verständnis der Lage halte ich mich an den Slogan meiner Tankstelle in Explosionsreichweite am Rosenbergplatz: „Das Leben ist zu kurz, um Benzinpreise zu vergleichen.“ Diesen Rat empfehle ich vor allem Leuten, die kein Auto besitzen.

So fuhr ich einige Male mit der Linie 2 Richtung Cannstatt, ehe die SSB im schönsten Sommer alle Gleis-Verbindungen zu den Mineralbädern kappte. In der Neckarstraße fiel mein Blick mehrfach auf eine große Tafel mit der Aufforderung: „Bereite dich darauf vor, Gott zu begegnen.“ Selbstverständlich werde ich darauf achten, ihm nicht im ärmellosen Leibchen mit dem Aufdruck „VfB“ gegenüberzutreten. Wie aber soll ich erahnen, ob ER vor mir steht? Hat er eine graue Bürstenblockfrisur, ausgeleierte Stimmbänder und reist unter dem Decknamen „Landesvater“?

Ausgerechnet dem irdischen Gottvater der Grünen widerfährt im Landtagswahlkampf scheinbar eine Art von Unglück, das ihn selbst einst an die Regierung brachte: Konnte er 2011 nur dank der Natur- und Nuklearkatastrophe von Fukushima die CDU besiegen, hängt man ihm diesmal die Schuld für ein durch und durch humanes Problem an, das Politik und Medien kurzum zur Naturkatastrophe erklärt haben. Angesichts der Flüchtlinge dieser Welt spricht man, zur Vertuschung des generellen politischen und organisatorischen Versagens, nur noch von „Flüchtlingsströmen“, von „Menschenflut“, von Ausländern, die das Land „überschwemmen“. Das heißt: Diesmal haben CDU & Co vor der Wahl ihr Fukushima gefunden, ungeachtet der Tatsache, dass sich Grüne & Sozen auch in der Flüchtlingspolitik kaum von der Geistesströmung im schwarzen Kanal unterscheiden. Der schwarze Kanal aber wird mit seiner „Zustrom“-Propaganda von den braunen Seitenarmen der Rassisten profitieren.

In Stuttgart mit seinen 600 000 Einwohnern leben zurzeit 3300 Flüchtlinge, bis Jahresende könnten es 5400 werden. Besonders bedroht vom „Flüchtlingsstrom“ fühlen sich naturgemäß Leute, die nie mit internationaler Kultur bewässert wurden, die beispielsweise nie gelernt haben, mehrere Stimmen eines Musikstücks auf einmal zu hören, um die Gemeinsamkeiten der Menschen wahrzunehmen – und nicht allein ihre Unterschiede zu sehen. So sagt es der große Dirigent und Denker Daniel Barenboim, der unter anderem ein Orchester mit israelischen und arabischen Musikern leitet.

Bleiben Sie gelassen, wenn Ihnen meine Hirntropfen auf den aufgeheizten Stein nicht passen, in der allgemeinen Zorn- und Hassüberflutung. Ich melde mich wieder nach der chinesischen Kopfmassage.



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