Bauers Depeschen


Dienstag, 10. März 2015, 1429. Depesche



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NACHHOLSPIEL: Stuttgarter Kickers - Hallescher FC 1:1



MITTWOCH, 20 Uhr: Flaneursalon in der Friedenau, Ostheim. 07 11 / 2 62 69 24



TIPP FÜR DONNERSTAG

Der Berliner Kabarettist ARNULF RATING ist an diesem Donnerstag. 12. März, im Stuttgarter RENITENZTHEATER. "Ganz im Glück", die Show mit Dr. Mabuse, Schwester Hedwig und anderen politischen Ungeheuern aus der Republik. 20 Uhr. Kommet zuhauf. Es ist der legendäre Ex-Tornado.



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Die aktuelle StN-KOLUMNE:



IM WASSERSCHNECKENSCHLOSS

Linie 6, nach Feuerbach. Vorbei am Baustellenchaos vor der Stadtbibliothek, weiter zur Prag. Kurze Rast am Wilhelm-Geiger-Platz. Schattenrisse, schwarze Figuren an der Betonwand der U-Station. Der Unternehmer Robert Bosch ist zu erkennen, daneben der Namensgeber des Platzes, Wilhelm Geiger. Von 1901 bis 1933 war er Oberbürgermeister der damals boomenden, selbstständigen Stadt Feuerbach. Die Nazis zwangen ihn zum Rücktritt, 1933 wurde Feuerbach Stuttgart einverleibt. Die Feuerbacher Initiative Erlebbare Stadtgeschichte hat die informative Installation geschaffen.

Weiter mit der Bahn zur Haltestelle Föhrich. Der alte Flurname bezieht sich auf Kiefer- und Forchenholz. Bis Ende 2010 hieß die Station Krankenhaus. In den vergangenen Jahren hat sich viel geändert im Stadtteil, aber immer wenn ich im Föhrich lande, umkreise ich zuerst das Hochhaus an der Ecke Föhrichstraße/Stuttgarter Straße. Lange war über dem Eingang der Schriftzug „Gaststätte Hochhaus“ zu lesen, auch als es die Kneipe nicht mehr gab. Eine Weile war daneben ein portugiesischer Markt untergebracht. Später stand das sechsgeschossige Haus geheimnisvoll herum. Ende der zwanziger Jahre war es vom Stadtbaurat Wilhelm Friedrich Holstein mit 48 Wohnungen im Stil der Neuen Sachlichkeit errichtet worden; unten eine Metzgerei.

Die Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft (SWSG) hat das unter Denkmalschutz stehende Gebäude zuletzt für mehr als eine Millionen Euro saniert und im Erdgeschoss Seniorenwohnungen eingerichtet. Das Hochhaus mit seinen neuen, dem Original nachempfunden Ocker-Tönen und seinen grünen Fensterläden beeindruckt nach wie vor als Architektur-Symbol der Föhrichsiedlung. In der Umgebung baute die 1922 gegründete Heimstättenkolonie in elf Jahren 216 Mietwohnungen und Eigenheime. Die Einheimischen nannten das Viertel mit den niedrigen Siedlungshäuschen nebst originellen Hinterhofgärten „Wild-West“. Von hier aus kann man die Weingärten, den Lemberg sehen. 1938 taufte man einen Teil der Gegend Föhrichhof.

Wer etwas über das Nebeneinander und das Gegeneinander von altem und neuem Städtebau in Stuttgart erfahren will, geht am besten vom Hochhaus aus durch die Föhrichstraße. Auf der rechten Seite die städtischen Häuser aus den zwanziger Jahren, auf der linken, nach dem Abriss der früheren Einfachstwohnungen, der neue Föhrichhof in der unterkühlten Beton­bauweise der Gegenwart. Ich muss das nicht bewerten. Wer viel herumspaziert, spürt, wo Häuser eine Seele haben. Wo Leben herrscht. (Heute ist der Begriff „Höfe“ als Marketing-Etikette für die serienmäßige Investoren-Architektur beliebt.)

Ich muss weiter zum Jugendcamp Feuerbach, habe eine Verabredung mit dem Hausleiter Benjamin Seidl (35) und der Juristin Selma Cilo (30). Selma ist in der alten Föhrichsiedlung aufgewachsen; von 1983 bis 2003 lebte sie mit ihren türkischen Eltern im Quartier. Sie erinnert sich an die Zeit, als es noch den Tante-Emma-Laden, den Kiosk und den Bäcker in der Straße gab. Viele Türken und Griechen wohnten im Viertel. Selma ist in ihrer Mittagspause als Zeitzeugin zu uns gekommen. Sie habe eine glückliche Zeit in ihrem Viertel verbracht, sagt sie. Nie das Gefühl gehabt, an der Straße könne ein Getto entstehen. Heute, ohne Läden und Kneipen, ist es im Viertel langweiliger geworden. Selma lebt jetzt in einem anderen Teil Feuerbachs und engagiert sich für die SPD im Bezirksbeirat: ein Dankeschön „an Stuttgarts schönsten Stadtteil“.

Das Jugendcamp im Föhrich, in der Nähe der Sportanlagen, wurde 1993 vom Architekten Peter Hübner mit handwerklichem Improvisationsgeschick gebaut. Eine Abenteuerburg, vom Architekten „Wasserschneckenschloss“ genannt. Menschen im Alter von zehn bis zwanzig kommen nachmittags in das von Sozialpädagogen betreute Haus. Sie machen Musik, spielen Fußball, erhalten Lebensberatung. Für Schule, Ausbildung, Jobs.

Das Camp, ein wilder Mix aus Arbeitsfarm und Ferienlager, wirkt paradiesisch, leider nur auf den ersten Blick. Vor vier Jahren haben Unbekannte vor dem Haus ein Sofa angezündet. Die Flammen griffen über, etliche Räume des Camps wurden zerstört. Die Spuren sind bis heute zu sehen, der Laden ist ein energetischer Katastrophenfall: im Winter viel zu kalt, im Sommer tropisch heiß. Die Isolierung eine ökologische Sünde. Das Camp ist wichtig für die Integration in Feuerbach, wo es vor Wochen schlimme Proteste gegen den Bau von Asylantenheimen gab. Das Camp müsste komplett erneuert werden. Aber der Gemeinderat stellte bisher kein Geld zur Verfügung. Vorbeugende Jugendarbeit ist für Politiker nicht prestigeträchtig, bringt weniger Wahlkampf-Punkte als das populistische Geschrei gegen Jugendgewalt.

Der Hausleiter Benjamin Seidl vermittelt Gelassenheit, Ergebnis der Arbeit mit jungen Menschen verschiedener Herkunft, Sprachen, Religionen. Er hat gelernt, dass Kinder und Jugendliche in der Gemeinschaft toleranter und respektvoller handeln als Erwachsene. Irgendwas gibt es immer, das verbindet. Wenn nicht die Musik, dann der Fußball.

Die Föhrichsiedlung mit ihren Altbauten samt Hochhaus und der neue Föhrichhof mit seinen austauschbaren Stadthäusern sind ein Stück Stuttgart, das viel über den Charakter und die Entwicklung des Kessels erzählt. Man könnte dort tagelang herumgehen und eine Menge erfahren. Das Leben ist leider kein Spaziergang. Auch wenn noch vieles in Feuerbach dafür spricht.



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