Bauers DepeschenSamstag, 23. August 2014, 1338. Depesche------------------------------------------------------------------------------------------------ FUSSBALLSPORT: FC Halle - Stuttgarter Kickers 1:2 NOTIZEN, furchtlos und treu. Ich wollte in einer Stadt mit Wasser ein paar Tage Urlaub machen. Als ich am Wasser ankam, fiel der Urlaub in selbiges. Grippe. Kann passieren, nicht schlimm. Am letzten Tag, bevor ich nach Hause fuhr, saß ich eine Weile an der Außenalster in der Sonne. Das reicht für einen vom Neckar. An diesem Wochenende hat die Bundesligasaison begonnen. Stuttgart wird von einem Verein repräsentiert, der seinen Mannschaftsbus, sein Briefpapier usw. mit der Zeile "Furchtlos und treu" beschriftet hat. Das fast 200 Jahre alte Motto, ursprünglich vom König von Württemberg benutzt, stand auf den Gürtelschnallen von Soldaten und bis 1918 auf dem Wappen, von 1933 auch WIEDER auf dem von den Nazis verordneten Wappen Württembergs. Heute ist der Spruch "Furchtlos und treu" bei Neonazi-Horden als Name und Parole beliebt. Der VfB-Slogan ist ein Fressen für rechtsextreme Ultras, die in die Fan-Blocks drängen. Marketing-Dreck. Abgesehen von der historischen/politischen Dimension: Jeder Schützenverein aus der tiefsten Provinz würde sich heute mit dieser dumpfbackigen Parole blamieren. Wenn der Präsident eines Erstligaclubs aus der Hauptstadt eines Bundeslandes so etwas nicht sieht, ist er fehl am Platz. Er sollte zurücktreten. Erstens aus Ahnungslosigkeit, zweitens aus Unfähigkeit: Es geht anscheinend über seinen Horizont, seine Rolle als Repräsentant eines Fußballclubs und einer Stadt zu erkennen. Die VfB-Bosse zeigen sich als kulturlose Dorftrampel. Eine Schande für die ganze Stadt. Sei's drum. Ich weiß, wie sie beim VfB ihr "Traditionsbewusstsein" rechtfertigen werden: Nur weil die Nazis Brot essen, dürfen wir kein Brot essen? Doch. Fresst die Dummheit löffelweise. Auch wenn es bis jetzt nichts Sichtbares einbrachte, werde ich nicht müde, fruchtlos und scheu meinen Hausiererbrief auf dieser Seite zu formulieren: Am 13. Oktober ist der Flaneursalon live im THEATERHAUS (0711/4020720). Schöne Besetzung. Kauft Karten, wertes Publikum, dann kann ich besser schlafen und bleibe gesund. - Hier eine Depesche zur Einstimmung auf den Herbst: Der Klick zum LIED DES TAGES DIE KASTANIENFRAU Da war diese Frau im September. Sie erzählte mir, wie sie jeden Spätsommer die erste Kastanie, die ihr vor die Füße fällt, in die Handtasche steckt und sie danach hütet wie ihren Augapfel. Unsinn, sagte ich, die Kastanie vertrocknet, sie wird im Winter runzelig wie ein Schrumpfkopf und sieht bald aus wie gefrorene Hundekacke. „Die Kastanie erinnert mich daran, dass es Sommer war und dass der Sommer wieder kommt“, sagte die Frau. „Wenn der Sommer wiederkommt, werfe ich die Kastanie weg.“ „Das ist eine seltsame Methode, einen Kalender zu führen“, sagte ich, und stellte mir vor, wie diese Frau eines Tages selbst aussehen würde wie eine verschnurzelte Marone, auch wenn sie jetzt jung war und ihre Augen aussahen wie Kastanien oder die Augen von einem Reh. Rehe essen im Winter getrocknete Kastanien. Als ich früher Jäger werden wollte und unser Förster schon an Venenverstopfung litt, habe ich eimerweise Kastanien gesammelt, sie getrocknet und immer einen Tage vor dem Heiligen Abend in die Futterkrippen im Wald gekippt. Aber die Rehe haben die Kastanien nicht gefressen. Schon damals trauten die Rehe meinen Kastanien nicht. Nach Weihnachten lagen sie noch immer in der Krippe. Kastanien sind überschätzt. „Man kann sein Leben nicht mit einer Kastanie einteilen“, sagte ich. „Doch“, sagte die Frau, „das Leben ist wie eine Kastanie. Der Sommer geht, der Sommer kommt.“ „Und dazwischen ist ein Haufen Hundedreck“, sagte ich. Diese Bemerkung war nicht gut, das merkte ich. „Einer muss die Kastagnetten aus dem Feuer holen“, sagte ich rasch, um sie abzulenken. Sie holte ihre Kastanie aus der Handtasche, rieb sie zwischen Daumen und Zeigefinger und sagte, sie habe nicht erwartet, von verstanden zu werden, von einem wie mir. „Du taugst nicht für die Kastaniengeschichte“, sagte sie und ging. Der Sommer geht, der Sommer kommt, dachte ich. Ich verstehe nicht, warum eine Beziehung scheitert, bevor sie begonnen hat. Es liegen jetzt viele Kastanien auf den Gehwegen und auf den Plätzen herum, vor allem auf dem Karlsplatz. Kastanien sind eine Landplage, sie fallen einem auf den Kopf, sie sind eine Gefahr für gute Stiefel, und sie erinnern daran, dass der Sommer vorbei ist. Manchmal fliegen sie auch durch den Park und verwandeln sich in den Augen verlogener und korrupter Politiker in Pflastersteine. Und überall, wo eine Kastanie fällt, ist das Eichhorn nicht weit. Das Eichhorn geht mit seinem aufgeblasenen Machoschwanz in der Stadt spazieren, als gehöre ihm die Stadt. Das Eichhorn rennt nicht einmal mehr weg, wenn ein Auto kommt. Die Fahrer sind dumm genug und steigen in die Bremse, wenn sie einen Eichhornschwanz sehen. Ich habe das beobachtet auf der Hasenbergsteige. Würde ich für eine Autoversicherung arbeiten, müssten Eichhornjäger mit automatischen Gewehren ran. Ich würde den Biestern die Kastanien unter ihren Schwänzen wegballern. Eichhörner sind schlimmer als Ratten. Eichhörner werden verniedlicht. Ratten werden gehasst. Kein Autofahrer würde wegen einer Ratte sein Leben riskieren. Die Herbstdepression setzt bei mir ein, wenn ich die ersten Kastanien sehe. Meine Herbstdepressionen sind schlimmer geworden, seit ich diese Frau getroffen habe, die ihre Kastanie in der Handtasche aufbewahrt, weil sie nicht vergessen will, dass es einen Sommer gibt. Warum steckt sie nicht das Oberteil ihres Bikinis in die Handtasche. Oder das Verdeck ihres Cabrios oder ein totes Eichhorn, das sie überfahren hat, damit sie weiß, dass es wieder einen Sommer gibt. Zweitausend Kastanien lagen am Boden, als ich die Frau einige Tage später auf dem Karlsplatz wieder traf. „Guten Tag, meine Kastanie, sagte ich. „Bald kommt der Winter, und deine Kastanie sieht aus wie Hundedreck.“ Sie beachtete mich nicht. „Für dich, sagte ich, würde ich ein Eichhorn töten.“ Wortlos ging sie weiter, und mir fiel das Lied mit den Kastanien nicht ein. Ich hätte das verdammte Weihnachtslied für sie gesungen. „Chestnuts roasting on an open fire“, hätte ich gesungen - und Nat King Cole hätte mir verziehen. Heute weiß ich, dass es Unglück bringt, wenn ich einer Frau mit einer Kastanie in der Handtasche begegne. Aber ich bin alt genug, ich habe mich an den Herbst gewöhnt. Der Sommer ist nicht gut für die Eichhornjagd, und heute gehe ich nicht mehr ohne meine Kastanie in der Hosentasche aus dem Haus. Sie wird mich über den Winter bringen. Kastanien, hat mir der Apotheker gesagt, helfen gegen Venenverstopfung. Und gegrillte Eichhörner, hat mir mein Metzger gesagt, schmecken gut. Ihr Fleisch ist zart und frei von Fett. BEITRÄGE schreiben im LESERSALON FRIENDLY FIRE: NACHDENKSEITEN INDYMEDIA BLICK NACH RECHTS INDYMEDIA FlUEGEL TV RAILOMOTIVE EDITION TIAMAT BERLIN Bittermanns Fußball-Kolumne Blutgrätsche VINCENT KLINK KESSEL.TV GLANZ & ELEND |
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