Bauers Depeschen


Samstag, 28. Dezember 2013, 1225. Depesche



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LIED DES TAGES



Die aktuelle StN-Kolumne:

 

DER BARBAR

Wer viel in der Stadt herumgeht, lebt mit der Angst. Auf Schritt und Tritt bedroht einen die hässliche Werbung, sie ist überall, schlimmer als die NSA. Ich stieg von der S-Bahn-Etage zum Hauptbahnhof hinauf, als mich auf der Treppe die Marketing-­Geschütze einer Bank ins Visier nahmen. Leucht­reklame verschandelte die Stufen mit sinnlosen Sprüchen: „Typisch BW-Bank-Kunden: Machen sich jetzt fit für die Zukunft . . . Jetzt vorbeugen . . . Später entspannen.“ Ich war drauf und dran, gegen meine sonstigen Sportsmann-Bräuche auf die Rolltreppe zu springen, auch dann, wenn sie wie so oft defekt war und nicht rollte.

Reklame-Terroristen sind bemüht, mit ihren Produkten ein Lebens­gefühl vorzutäuschen. Im Fall der Bank heißt das: Die Fitness im Beinbereich wird mental an eine Stange Geld gekoppelt, die man bekanntlich „in die Hand nimmt“. Ich kenne die ­Redensart, wonach es einen beim Anblick unangenehmer Dinge „auf den Arsch setzt“. Diese Reaktion auf die Bank-Reklame wäre allerdings verdammt gefährlich; wir müssten damit rechnen, dass die zur Bank gehörende Versicherung selbst im Todesfall ihres Fitness-Opfers keinen Cent rausrückte.

Die Strategie, Waren mit dem Sinn des Seins zu verbinden, hat bisher nur einer perfekt umgesetzt: mein benachbarter Metzger Wagner. Über die Feiertage hing ein Schild in seinem ­Laden: „Wir wünschen Ihnen ein gesegnetes ­Weihnachten und ­guten Appetit.“ Das nennt man knitz.

Damit komme ich zu einem Thema, dem ich seit langem nicht mehr gewachsen bin. Ich gehöre zu den Menschen, die ein Essen nicht unbedingt daran messen, ob es schmeckt. Ich bin zufrieden, wenn ich es überlebe. Am Abend des zweiten Weihnachtsfeiertags wäre in meinem Viertel nichts los gewesen, hätte mich bei meinem Spaziergang durch den Regen nicht ein Feuerwehrmann von der Straße gewiesen, um seinen Kollegen Zutritt zu einem Müllbrand im Hinterhof zu verschaffen.

Trotzig und hungrig ging ich in eine griechische Kneipe, die ich zuvor nie betreten hatte. Sie überzeugte mich an diesem Tag mit einem großen Service-Plus gegenüber allen anderen Kneipen im Viertel. Sie hatte geöffnet. Ihre beleuchteten Glastiere mit Geweihen stimmten mich so feierlich wie die ­Musik aus den Lautsprechern. Es war Rembetiko, der Blues der Griechen, und wie so oft wurde mir klar, dass die Deutschen und ihre Rundfunkanstalten nicht mehr hervor­gebracht haben als den Sängerkrieg zwischen Andrea Berg und Helene Fischer.

Neben Wirt und Wirtin war nur noch eine Frau da, und die intonierte das Wort „Parfum“ im Dialog mit der Wirtin dermaßen französisch, dass ihr Lob­gesang auf die Marke Chanel auch mich erregte. Womöglich arbeitete sie in der Werbung. Ich bestellte Auberginen in Öl und kleine ­Heringe, die man Sardellen nennt. Dazu gab es Zaziki, so weit das Auge reicht. Als ich wieder zu Hause war, rochen meine Klamotten nicht nach Chanel, verströmten aber das unbezahlbare Parfüm des Glücks. Wieder einmal hatte ich ein Ess-Abenteuer auf fremdem Terrain folgenlos überstanden.

Das Essen an sich ist in den vergangenen Jahren ein großes gesellschaftspolitisches Thema geworden. Es heißt, in Zukunft werde die abendländische Kultur von der KKK-Diktatur beherrscht: Klamotten (Mode als Statussymbole), Kunst (Bilder als Wert­­anlagen) und Küche (dazu kann ich nichts ­sagen). Dagegen werden Rembetiko, Andrea Berg und Helen Fischer so drastisch an ­Bedeutung verlieren wie das Ballett, das Theater und die Stuttgarter Kickers.

Vor allem der wachsende kulturpolitische Wert der Kulinarik macht mir Sorgen, da ich zu der Spezies von Essern gehöre, die ­wenig Rücksicht nimmt auf die Herkunft ihrer Nahrung. Man darf sagen: Ich bin ein Fressbarbar. Saure Kutteln mit Bratkartoffeln, wenn Sie wissen, was ich meine.

Ich erzähle das, weil ich mir, um den Weihnachtsappetit anzu­regen, den neuen Krimi des Stuttgarter Schriftstellers ­Wolfgang Schorlau gekauft habe. Das Buch ­­„Am zwölften Tag“ führt in die Abgründe der Massentierhaltung und der Ausbeutung ausländischer Arbeiter. Seite 28: „Sie haben die Schweine in den Paternoster getrieben, der sie zehn Meter tief in den Keller und ins Gas brachte, sie haben die betäubten Tiere an den Hinterläufen aufgehängt, nachdem sie aus dem Aufzug gefallen waren, ihnen die Kehle aufgeschnitten, sie haben die Kadaver an den Hinterläufen aufgehängt, die Häute gebürstet, sie haben die Gedärme aus den aufgeschlitzten Bäuchen geholt, sie haben die Köpfe abgetrennt, die Füße ab­gekniffen, die Hinterläufe abgeschnitten, sie haben die Augen ausgestochen . . .“

Damit schließe ich die Kolumne. Muss vor Silvester noch zur Bank, mich fit machen für die Zukunft, vorbeugen, später entspannen. Und essen sollte ich auch noch was.



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DIE FAMILIENSAGA: FLANEURSALON IN DER ROSENAU

Mittwoch, 19. Februar 2014, ROSENAU: Auf vielfachen Wunsch tritt der FLANEURSALON nach dem Gastspiel im Theater Rampe noch einmal in der Familien-Bande-Besetzung an. Mit Zam Helga & Tochter Ella Estrella Tischa, mit Roland Baisch & Sohn Sam sowie Toba Borke & Pheel. Andere Geschichten, andere Songs. 20 Uhr. Vorverkauf läuft.



DIE PAPIERTIGER MIT JESS JOCHIMSEN IM CAFÉ WEISS

Zum dritten (und wahrscheinlich letzten) Mal lade ich zu meinem Lese- und Liederabend unter dem Titel "Die Papiertiger" ins Café Weiß: Am Donnerstag, 23. Januar 2014, heißt mein Gast Jess Jochimsen. Der Freiburger Schriftsteller und Kabarettist nutzt einen freien Tour-Tag für ein außerplanmäßiges Gastspiel in der Stuttgarter Altstadt-Bar, Geißstraße 16. Musik macht wieder Roland Baisch mit seinen Freunden. Beginn 19.30 Uhr. Eintritt frei. Reservierungen (Mo - Sa ab etwa 19 Uhr) unter der Telefonnummer 07 11/24 41 21.



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