Bauers Depeschen


Donnerstag, 24. Oktober 2013, 1190. Depesche



 



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FLANEURSALON

AUF OCHSEN-TOUR

Wir ziehen auf die Filder: Die Gastwirt-Familie Rörich eröffnet an diesem Freitag, 25. Oktober, im Ochsen Neuhausen ihren mehr als 100 Jahre alten Wirtshaussaal - ein restauriertes Jugendstil-Prachtstück, das zuletzt die Gemeindebücherei beherbergte - siehe Foto rechts. Im Ochsen-Saal gibt es künftig Veranstaltungen. Den Auftakt bestreitet der Flaneursalon mit Eric GAUTHIER & Jens-Peter Abele, Dacia BRIDGES & Gabriel Holz und Roland BAISCH. 20 Uhr.



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LIED DES TAGES



Die aktuelle StN-Kolumne:



IM LAMPENLADEN

Dreißig Jahre ist es her, und dieses Jubiläum hätte ich womöglich vergessen, wäre ich nicht in diesem Sommer auf einem Straßenfest dem Musiker Hannes Bauer begegnet. Er hat die sechzig hinter sich, bis vor kurzem wohnte er in Schorndorf, und bis heute spielt er ­die Gitarre in Udo Lindenbergs Panik-Orchester. Vor Jahren habe ich eine Wette gegen ihn gewonnen, als wir uns um das Datum seines größten Auftritts stritten.

Die legendäre Show fand statt am 25. Oktober 1983 im Palast der Republik in Ostberlin, Hauptstadt der DDR. Im Volksmund hieß das Gebäude, als Spott auf den Regierungschef Erich Honecker, „Erichs Lampenladen“, und an jenem großen Tag vor ­dreißig Jahren fürchteten nicht wenige SED-Funktio­näre, im Lampen­laden könnten die Lichter ausgehen.

Es war eine politische Sensation, als der Rockstar Udo Lindenberg, danals 37, mit seiner Band in Ostberlin spielen durfte. Hannes Bauer war ­dabei, und mit Glück auch unsereins, was ich ­dem Konzertmanager Fritz Rau zu verdanken habe. Obwohl in Pforzheim ­geboren, hatte er ein Herz für „den Schwaben“. Leider ist er im vergangenen August mit dreiundachtzig gestorben.Für das Ereignis genehmigte die DDR unbürokratisch wie sonst nie Presse­ausweise. Die Tür durch die Berliner Mauer stand offen, und ein Teil der Westler war ziemlich naiv, wie unsereins, ein junger Provinzler aus Süddeutschland.

Schon damals achtete mein Chef auf die Reisespesen, und damit sich mein Ausflug auch lohnte, erhielt ich noch den Auftrag, über die Unruhen vor dem Fußballspiel am 26. Oktober in Westberlin zu berichten. Die DFB-Elf traf im Olympiastadion auf die Türkei, und seit Tagen drohten Neonazi-Banden mit Gewaltaktionen gegen die ­Berliner Türken. Tausende von Polizisten belagerten den Westteil der Stadt, unterstützt von Privattrupps aus der alter­­nativen Szene Berlins. Es war die Zeit der Spontis.

Als ich wenige Stunden vor dem „Festival für den Frieden der Welt“ im Pressezentrum des Palasts meinen Bericht über die „explosive Stimmung“ im kapitalistischen Teil der Stadt per Telefon übermitteln will, gibt es aus technischen Gründen keine Verbindung nach Stuttgart. Ein hilfsbereiter Kollege bittet ­daraufhin per Telefon seine Frau in Westberlin, bei den Stuttgarter Nachrichten anzurufen, um meinen Kollegen einen Rückruf nach Ostberlin zu empfehlen. Der Tipp ist gut, alles geht seinen sozialistischen Gang. Es gab ein Leben vor dem Taschen­telefon, und es war aufregend.

25. Oktober 1983. Um 19 Uhr soll das Festival beginnen, neben Lindenberg werden Musiker aus mehreren Nationen auftreten, aus den USA, aus der UdSSR, aus Chile. Schon am frühen Nachmittag belagern Jugendliche das ­Gelände vor dem abgeschirmten Palast. „Wir wollen Udo!“, skandieren sie. „Wir wollen rein!“ Udo Lindenberg gelingt es, seinen „Controllettis“ im Palast zu entwischen. Er müsse für kleine Jungs, sagt er, ­wenig später taucht er in der Menge seiner Fans auf. Er werde einen Vertrag für eine DDR-Tournee unterschreiben, ruft er, bevor sie ihn auf die Schultern heben.

Ein halbes Jahr zuvor hat der Sänger, der zu diesem Zeitpunkt schon acht Jahren um eine Tour-Erlaubnis in der DDR kämpft, Honecker mit dem Hit „Sonderzug nach Pankow“ angebaggert. „Erich, ey“, singt er, „bist du denn wirklich so ein sturer Schrat / warum lässt du mich nicht singen im Arbeiter- und Bauernstaat?“ Lindenberg ist ­damals nicht nur ein deutscher Rockstar, er gilt auch als Galionsfigur der west­lichen Friedensbewegung. Im Osten riecht ­„Honey“ den Braten. Mit dem populären Rock’n’Roller lässt sich Staat machen. Die Kulturbehörde verteilt die Eintrittskarten für ihre Propagandashow an 4000 Mitglieder der Freien Deutschen Jugend (FDJ), die Nachwuchsorganisation der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). ­Lindenberg nennt die Blau-Blusen später „Steif(f)-Tiere“. Ein FDJler, den ich im Saal auf Lindenberg anspreche, sagt: „Ich ­möchte das wie Lenin sehen. Um den Frieden zu verteidigen, muss man sich notfalls auch mit dem Teufel ­zusammentun.“

Udo rackert mit seiner Band, lässt Songs wie „Mädchen aus Ostberlin“ vorsichts­halber weg, doch der Star des Abends ist nicht Lindenberg. Das Publikum feiert den Auftritt des weltberühmten US-Entertainers Harry ­Belafonte, er ist ein Held der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Die Blauhemden-Gesellschaft und Lindenberg mit schwarzer Lederhose vermitteln ein ­surreales Bild, und ich weiß, dass meine Berliner Freunde jetzt drüben die Live-Übertragung des DDR-Fernsehens verfolgen und sich halb tot lachen. Als im Finale der Show alle zusammen „We Shall Over­come“ anstimmen, setzt sich Lindenberg im Bühnenhintergrund ans Schlagzeug. „Er trommelt zum letzten ­Gefecht“, tippe ich anderntags in meine Schreibmaschine.

Dreißig Jahre später lüftet der Gitarrist Hannes Bauer ein Geheimnis. Vor der DDR-Show, erzählt er mir, baute sich einer seiner Kollegen trotz der Stasi­-Beschatter in der Garde­robe eine gewaltige Tüte. Dieses Rauchzeichen der Freiheit ist heute Geschichte: Vermutlich war der Panik-Musiker der erste und letzte Kiffer in Erichs Lampenladen. Honecker hat Lindenbergs geplante DDR-Tournee nie genehmigt. Sechs Jahre und fünfzehn Tage nach der historischen Show in Ostberlin fiel die Mauer. 2006 ­wurde der Palast der Republik abgerissen.



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