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Dienstag, 08. Oktober 2013, 1183. Depesche



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LIED DES TAGES



WERTE GÄSTE,

bin wieder zurück, war acht Tage als Tourist in New York, davon die meiste Zeit bei schönstem Sommersonnenwetter im beschaulichen Brooklyn. Es stehen einige Dinge an - Großdemo ("Der Protest geht weiter") am Samstag, 19. Oktober, auf dem Schlossplatz, 15. Flaneursalon-Geburtstag am Montag, 4. November, im Theaterhaus (es gibt noch Karten) - und schon am Montag, 14. Oktober, eine Veranstaltung, um die es heute auf dieser Seite geht:



TARO 

Am Montag, 14. Oktober (20 Uhr), stellt Irme Schaber, die Biografin der in Stuttgart geborenen und aufgewachsenen Kriegsfotografin Gerda Taro, im Theaterhaus ihr neues Buch vor: "Gerda Taro - Fotoreporterin. Mit Robert Capa im Spanischen Bürgerkrieg". Es handelt sich um eine umfangreiche Biografie mit neuen Erkenntnissen, darunter die Auswertung von Taro-Fotos, die vor wenigen Jahren in einem Koffer in Mexiko gefunden wurden. Den Abend im Theaterhaus mit dem Titel "Die Kamera zieht in den Krieg" moderiert unsereins, Stefan Hiss singt Lieder aus dem Spanischen Bürgerkrieg. Achtung: Karten für diese Theaterhaus-Veranstaltung (acht Euro) gibt es in diesem Fall nur via Telefonreservierung (07 11/4020 720) oder an der (Abend-) Kasse.

Im Herbst 2007 habe ich in New York eine Ausstellung mit Kriegsfotos besucht. Danach schrieb ich (ohne irgendwelche Resonanz) mehrere Artikel zum Thema für die Stuttgarter Nachrichten - und den folgenden Text, damals zum Vortragen im Flaneursalon:



TOD EINER FRAU

Es war im Oktober 2007, und in der Stadt war es schon am Morgen sehr heiß. Eine Weile ging ich am Fluss entlang, dann entschied ich, klimatisierte Räume aufzusuchen. Das Museum of Modern Art war nicht weit. Im Museum angekommen, entdeckte ich ein Plakat des Stuttgarter Künstlers Willi Baumeister. Er hatte es 1927 für die legendäre Werkbund-Ausstellung "Die Wohnung" am Weißenhof gestaltet, und ich fühlte mich gut, weil ich in der Stadt eine andere Stuttgarter Spur gefunden hatte als die von Porsche, Mercedes und Pretzel.

Als ich das Museum verließ, war es immer noch sehr heiß für einen Oktobertag in New York, und ich erinnerte mich, dass ich eine Zeitungsnotiz über das Projekt "This is War! Robert Capa at Work" gelesen hatte, die Ausstellung im International Center of Photography (ICP) in Midtown Manhattan mit Arbeiten des 1954 gefallenen Kriegsfotografen Robert Capa. Er ist mit dem Foto "Der fallende Milizionär" aus dem Spanischen Bürgerkrieg weltberühmt geworden; bis heute wird darüber gestritten, ob die Aufnahme gestellt war, und ob es legitim ist, Fotos im Dienste einer Sache zu inszenieren.

Im Eingangsbereich des ICP hing eine Tafel mit der Überschrift "Gerda Taro". Den Namen habe ich schon mal gehört, dachte ich, und als ich den Text überflog, bekam ich ein schlechtes Gewissen: Gerda Taro, die Lebens- und Arbeitspartnerin von Robert Capa, wurde 1910 in Stuttgart geboren. Das hätte ich wissen müssen.

New York widmete der Fotografin, siebzig Jahre nach ihrem Tod, ihre erste große Ausstellung, und ihre Bilder waren prominenter platziert als die parallel gezeigten Arbeiten ihres Lebensgefährten. Im Museum fand ich die 1994 in deutscher Sprache erschienene Biografie "Gerta Taro – Fotoreporterin im Spanischen Bürgerkrieg" von Irme Schaber. Am nächsten Morgen ging ich wieder auf meine Bank am Hudson River und begann zu lesen. Auf den ersten Seiten erfuhr ich viel über Stuttgart, über ein Mädchen namens Gerta, Tochter der jüdischen Einwanderer Heinrich und Gisela Pohorylle.

Die Familie wohnte mitten in Stuttgart, in der Alexanderstraße 170 A, einem Hinterhaus. Vater Heinrich hielt sich als En-gros-Eierhändler über Wasser. 1917, zwei Jahre nach Einführung der Brotkarte im Ersten Weltkrieg, besuchte Gerta Pohorylle die Königin-Charlotte-Realschule in der Zellerstraße, Stuttgarts erste höhere Mädchenschule.

Gerta war klug. Kam sie zu spät, fälschte sie die Unterschrift ihrer Mutter und schrieb als Entschuldigung: "Meine Tochter leidet an Schwindel."

Gerta Pohorylle wurde eine mondäne junge Frau, gut aussehend und selbstbewusst. Mit Hilfe ihrer Tante besuchte sie ein Jahr lang ein Schweizer Internat und sprach bald fließend französisch. Sie spielte Tennis auf der Waldau und fuhr im Opel ihres Freundes Pieter Bote zu den Fußballspielen der Stuttgarter Kickers mit. Sie amüsierte sich bei den Vorstellungen im Cabaret Excelsior und ging sonntags, wenn die Kapelle aufspielte, zum Fünfuhr-Tanztee ins Kunstgebäude am Schlossplatz.

1929 zieht Gerta, obwohl sie sehr an Stuttgart und ihren Freunden hängt, mit ihren Eltern nach Leipzig. Die wirtschaftliche Lage in Stuttgart lässt ihnen keine Wahl. In Leipzig engagiert sich Gerta mit ihren Brüdern politisch bei der Linken. 1933 wird sie nach einer Flugblattaktion von den Nazis verhaftet. Im Gefängnis spielt sie den SA-Männern die hübsche Naive vor, auch dank ihres polnischen Passes kommt sie nach ein paar Wochen frei. Kurz nach ihrer Entlassung geht sie ins Exil. In Paris lernt sie den ungarischen Fotografen André Friedmann kennen. Friedmann wird wenig später auf Gertas Rat hin unter dem Namen Robert Capa veröffentlichen. Sie selbst nennt sich Gerda Taro (Gerda mit d). Die Namen spielen vermutlich auf den amerikanischen Filmregisseur Frank Capra und die Schauspielerin Greta Garbo an.

Das Paar fährt nach Spanien und unterstützt mit sensationellen Fotos aus dem Spanischen Bürgerkrieg die Republikaner im Kampf gegen Francos Faschisten. Ihre Bilder werden in internationalen Magazinen veröffentlicht. Am 25. Juli 1937 fotografiert Gerda Taro in der Schlacht von Brunete in der Nähe von Madrid. Unermüdlich hält sie die Kamera aus dem Schützengraben, um Kampfszenen abzulichten. Als während eines Luftangriffs Panik ausbricht, verlässt sie die Deckung und springt auf das Trittbrett eines Sanitätsfahrzeugs. Ein Panzer der republikanischen Armee gerät ins Schlingern und erfasst den Rettungswagen. Gerda Taro wird zu Boden geschleudert, der Tank überrollt ihre Beine. Am nächsten Tag ist sie tot. Sie wurde 26 Jahre alt.

Dass die Fotografin während eines Luftangriffs von Hitlers Legion Condor tödlich verletzt wurde, war mit ein Grund, ihre Geschichte in der Bundesrepublik zu verschweigen und zu vergessen. Auch ihre Familie fiel den Nazis zum Opfer.

Ihr Lebenslauf erscheint heute, da man Che Guevara als Popstar vermarktet, wie geschaffen für den posthumen Medienglanz einer revolutionären Frau, die sich nie einer Partei angeschlossen hat. Bei ihrer Beerdigung in Paris hielten die Dichter Louis Aragon und Pablo Neruda Trauerreden. Gedra Taros Grabmal, das später von den Nazis zerstört wurde, hatte der Bildhauer Alberto Giacometti gestaltet. Zigtausend begleiteten den Trauerzug zum Père-Lachaise, die Fotografin wurde als Ikone des Widerstands gegen den europäischen Faschismus gefeiert. In ihrer Biografie findet man die Namen Hanns Eisler und Bertolt Brecht, Willy Brandt und Ernest Hemingway. Ausgerechnet Hemingway hat sie, wohl weil sie Capa nicht treu war, eine „Hure“ genannt.

Da sie zunächst mit ihrem Partner unter dem gemeinsamen Copyright Capa veröffentlichte, stand sie nach ihrem Tod im Schatten ihres Kollegen und Liebhabers. Dabei war es Gerda Taro, die das Markenzeichen Capa inszeniert und den fotografischen Stil des Partners geprägt hat.

Während Gerda Taro zu ihrem 70. Todestag mit der New Yorker Retrospektive als eigenständige Fotografin geehrt wurde, wusste man in ihrer Heimatstadt Stuttgart so gut wie nichts über sie. Es gab keine Gedenktafel an ihrem Geburtshaus oder gar eine Straße mit ihrem Namen.

Merkwürdig, diese Stuttgarter Spuren in New York, dachte ich, als ich am Fluss saß, merkwürdig wie sich die Dinge zusammenfügten: Gerda Taro hat oft und mit Begeisterung die Weißenhofsiedlung besucht und Willi Baumeisters berühmtes, 1927 geschaffenes Werkbund-Plakat gekannt. Und Irme Schaber, die Taro-Biografin, lebt und arbeitet wenige Kilometer von Stuttgart entfernt, in Schorndorf.

Ich verließ meine Bank am Fluss. Es war Zeit, die Spur aufzunehmen. In New York hatte ich viel über die Heimat erfahren. Wo sonst.



NACHTRAG

Im Oktober 2007 habe ich mit Irme Schaber Kontakt aufgenommen. Ein Jahr später richtete die Stadtverwaltung nach einem Antrag von Grünen-Stadträten den bis heute lieblos gestalteten Gerda-Taro-Platz an der Hohenheimer Straße ein. Irme Schaber und ich haben uns danach bemüht, für die New Yorker Schau in Stuttgart einen Aussteller zu finden. Nach einem Flaneursalon-Abend im Literaturhaus kam Bewegung in die Sache. Die damalige Direktorin des Kunstmuseum am Schlossplatz, Marion Ackermann, kümmerte sich schließlich um die Übernahme der Ausstellung, die zuvor schon in anderen Städten Europas zu sehen gewesen war. 2010, eher zufällig zum 100. Geburtstag von Gerda Taro, wurde die Taro-Retrospektive auch im Stuttgarter Kunstmuseum gezeigt. Einen Katalog gab es trotz des großen Publikumserfolgs nicht. Eine der Eröffnungsreden im Kunstmuseum hielt die Kulturbürgermeisterin Susanne Eisenmann; die CDU-Politikerin hatte uns während unserer Bemühungen wissen lassen, das Thema interessiere sie nicht. Inzwischen ist der Hollywood-Regisseur Michael Mann dabei, den Stoff fürs Kino zu verfilmen. Titel: „Waiting for Robert Capa“. Das Haus in der Alexanderstraße 170 A, in dem Gerda Taro aufgewachsen ist, steht noch.





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