Bauers Depeschen


Freitag, 03. August 2012, 957. Depesche

NACHTRAG: FC Heidenheim - Stuttgarter Kickers 2:1.

 

FLANEURSALON LIVE, TV-AUFNAHMEN

Unsere nächste Lieder- und Geschichtenshow findet am Dienstag, 25. September, statt - im Club Speakeasy, Rotebühlplatz 11. Auf die Bühne gehen der Rapper Toba Borke und sein Beatboxer Pheel, der Sänger/Songschreiber Zam Helga sowie die Sängerin Dacia Bridges mit ihrem Gitarristen. Ach so: unsereins ist auch dabei. Beginn 20.30 Uhr. Ein Team des SWR-Fernsehens wird an diesem Abend Aufnahmen für einen "Nachtkultur"-Beitrag über den Flaneursalon machen. Karten gibt es für 12 €. Mit diesem Sonderpreis unterstützen wir eine neue Veranstaltungsreihe mit Stuttgarter Künstlern im Speakeasy. Vorverkauf im Plattenladen Ratzer Records im Leonhardsviertel (neben dem Brunnenwirt). Außerdem gibt es Tickets im Internet: EVENTBÜRO



SOUNDTRACK DES TAGES



GAST-DEPESCHE

Erste Resonanz auf meine Bitte um Gast-Beiträge. Herzlichen Dank! Der Stuttgarter Filmemacher Goggo Gensch, Mitglied der Kulturredaktion des SWR-Fernsehens, berichtet von einer Reise in Ägyptens Hauptstadt:



RAUCHERPARADIES KAIRO

Von Goggo Gensch



Wie können sieben Autos auf einer vierspurigen Straße nebeneinander fahren Diese Frage stellt sich einem, wenn man mit einem Taxi vom Flughafen Kairo in die Innenstadt fährt. Auf den Straßen Kairos regiert das Gesetz des Stärkeren, wer bremst, hat verloren. Die Autos fädeln unter heftigem Hupen ein, wechseln die Spuren, fahren in einem Höllentempo Zentimeter an Zentimeter voneinander entfernt.

Der Flughafen liegt in Heliopolis, ein Vorort, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit dem Geld des belgische Eisenbahnunternehmers und Hobbyägyptologen Empain auf dem Boden des antiken Heliopolis gebaut wurde. Kilometerweit geht die Fahrt in die Stadt, vorbei an den Mauern der Kasernen des ägyptischen Militärs. Von ihm weiß man vor allem, dass es zu den wichtigsten Unternehmern im Land gehört und dass sein Etat zu mehr als der Hälfte von den USA bestritten wird. So wollen sich die Vereinigten Staaten von Amerika Ägyptens Frieden mit Israel erkaufen.

Ich wundere mich über die vielen, zum Teil sehr großen Kirchen, die zwischen den zahllosen Moscheen zu sehen sind. Zehn Prozent der Bevölkerung Kairos sind koptische Christen. Das es so viele sind, war neu für mich. Neu, wie vieles andere auch.

Kairo ist eine von Stuttgarts Partnerstädten. Im Alltag bekommt man davon nicht viel mit. Ich hatte die Gelegenheit, für einige Tage in die ägyptische Metropole zu reisen, in deren Großraum zwanzig Millionen Menschen leben.

Es gibt kaum Ampeln im Straßenverkehr. Es gibt auch keine Polizisten, die den Verkehr regeln. Die Polizei scheint überhaupt fast komplett verschwunden zu sein. Unsere Wohnung liegt unweit des Tahrirplatzes an der Corniche, einer Uferstraße am Nil. Um zu dem legendären Platz der Revolution zu kommen, muss man als Fußgänger eine achtspurige Stadtautobahn überqueren. Ein lebensgefährliches Unterfangen. Die Autos rasen, und ihre Fahrer haben die Technik des Um-die-Fußgänger Herumfahrens entwickelt. So müssen sie keine Schwäche zeigen, also nicht bremsen, und sie halten den Verkehr im Fluss. Mein Vertrauen in diese Kunst ist allerdings äußerst gering, und so habe ich mehrmals einen Ausflug zum Tahrirplatz abgebrochen.

Stände mit ägyptischen Fahnen und Mohammed Mursi – Devotionalien beherrschen das Bild des Platzes. Er ist fest in der Hand der Moslembruderschaft. Daneben ein Zeltlager von Obdachlosen. Die Stimmung ist aggressiv und feindselig. Man fühlt sich als Eindringling, als einer, der hier nicht hergehört. Nach dem Freitagsgebet war eine kleinere Demonstration. Sie hatte zur Folge, dass in der ganzen Stadt der Verkehr still stand. Alle Kreuzungen waren verstopft, für ein paar Stunden ging es weder vor- noch rückwärts. Gut für die Fußgänger, schlecht für die Menschen, die in nicht klimatisierten Autos saßen. Unter der Dunstglocke über der Stadt hat es derzeit tags 38 Grad. Der diffuse Dunst, eine Mischung aus Sand und Smog, lässt das Blau des Himmels so gut wie nie strahlen. Man vergisst in Kairo leicht, dass es eine Wüstenstadt ist. Ich erinnere mich an den Anflug. Gelber Sand, wohin man schaut, die Pyramiden, und dann, ohne Übergang, die Stadt mit ihren hässlichen grauen Häuserwürfeln.

Der Khan el Khalili ist immer noch der größte Bazar Afrikas. Sobald man in eine der kleinen Gassen eingebogen ist, hat man sich schon hoffnungslos verlaufen. Schier endlos ist das Gewirr in diesem Suq. Genauso endlos die Offerten der Händler. „I want your money“ ist noch der ehrlichste Spruch. Andere versprechen, wenn man einmal etwas kaufe, bekomme man künftig alles weitere umsonst. Seit mehr als 600 Jahren gibt es diesen Markt. Zwischen den Ständen mit Gewürzen verkaufen Träger ofenfrisches Fladenbrot, aus den Parfumgeschäften dringt synthetischer Duft. Pharaonenkitsch, Papyrosbilder mit Darstellungen des antiken Ägypten, Schachspiele aus Alabaster, Schmuck und Tücher.

Wie in Arabien üblich, sind die Gassen nach Waren getrennt. In manchen findet man nur Eisenwaren, in anderen nur Silber oder Stoffe. Man könnte Tage damit verbringen, von einer Gasse zu anderen zu schlendern, zu stöbern und zu feilschen. Das Schönste in diesem Bazar aber sind die Tee- und Kaffeehäuser. Oasen der Ruhe im Lärm des Orients. In einer dieser Gassen ist auch der ägyptische Schriftsteller und Nobelpreisträger Nagib Mahfuz aufgewachsen Er hat den Khan el Kahlili immer wieder zum Thema seiner Literatur gemacht.

Wir fliehen aus diesem wirren Treiben in den ruhigen Garten des Hotels Marriott auf der Nilinsel Gezira. Eine grüne Oase der Ruhe und ein historischer Palast. Er wurde einst für Ehrengäste bei der Eröffnung des Suezkanals erbaut. Heute ist dieser Hotelpalast einer der wenigen Plätze Kairos, in dem nur im Garten geraucht werden darf. Kairo ist eines der letzten Raucherparadiese der Erde. Geraucht wird so gut wie überall, und niemand scheint sich daran zu stören.

Im Norden der Nilinsel Gezira befindet sich der Stadtteil Samalek. Hier finden sich die meisten Botschaften, hier wohnen die meisten Ausländer die in Kairo arbeiten, hier gibt es Buchhandlungen, Antiquitätenläden, Kneipen und Bistros. Wenn man durch Samalek spaziert, hat man die Illusion, in einer europäischen Metropole zu sein. Man nimmt eine kleine Auszeit in einer Stadt ,die mehr und mehr vom Islam beherrscht wird.

In Kairo findet man schnell Freunde. Kaum hat man das Haus verlassen, wird man angesprochen. Alle betonen, kein Touristenführer zu sein, alle behaupten, sie wollen einem nur einen absoluten Geheimtipp geben. Mal fangen sie einen weit vor dem Eingang des Ägyptischen Museums ab, um zu behaupten, das Museum sei jetzt nur für Reisegruppen geöffnet, man habe aber eine viel bessere Alternative. Die stellt sich dann als Schwarzmarkt für gefälschte oder gestohlene Antiken heraus. Oder man wird von einem Mann angesprochen, der Professor an der Universität sein will und, nebenbei, im Ägyptischen Museum arbeitet. Man solle am Eingang nach ihm fragen, er würde einem dann die versteckten Schätze aus dem Depot zeigen. Ein paar Schritte später stellt sich heraus, er arbeitet als Schlepper für ein Restaurant. Wieder andere wollen nur Bakschisch. Das alles ist nicht weiter schlimm, nur anstrengend.

Das Ägyptische Museum mit seinen schier endlosen Gängen und unendlichen Vitrinen erschlägt seine Besucher mit angeblich 120 000 Artefakten. Man schlendert vorbei an Stelen, Masken, Schmuck und Skulpturen. Man ist fasziniert ob der Vielzahl und des Alters, bis zu 5000 Jahre alt sind mache der Ausstellungsstücke, und verwirrt ob der Unübersichtlichkeit der Räume. Im klimatisierten Teil des Museums liegen die Mumien der Pharaonen unter Glas. Mit einem leichten Schauer betrachtet man Ramses II. und vergleicht ihn mit Ramses III. Sehen sich die beiden ähnlich?

Auch Tiere wurden mumifiziert, unter anderen ein fast drei Meter langes Nilkrokodil. Höhepunkt und ähnlich umlagert wie die Mona Lisa im Pariser Louvre ist die Goldene Totenmaske von Tutanchamon, der mit zwanzig Jahren gestorben sein soll. Während der Revolution 2011 wurde das Museum geplündert und beschädigt. Reiche Amerikaner sollen sich auf dem Schwarzmarkt mit Antiken eingedeckt haben. Man erzählt sich auch, dass in den Wochen vor Mubaraks Sturz der Geheimdienst im Keller des Museums gefoltert habe.

Kairo nach der Revolution. Wenn man die Stadt von früher nicht kannte, ist es nur schwer zu beurteilen, wie sehr sie sich geändert hat. Ein Taxifahrer erzählt freudig davon, wie stolz er war, das erste Mal gewählt zu haben. „Nach 7000 Jahren konnten wir das jetzt endlich.“ Auf meine Frage, wen er gewählt habe, antwortete er „Mursi und die Muslimbrüder, die mögt ihr in Europa nicht.“ Ich erwiderte, dass mir jeder Politiker, der sich auf eine Religion beziehe, suspekt sei. „Aber man muss ihm eine Chance geben, lasst ihn erst einmal machen, dann sehen wir weiter.“ Andere Ägypter äußern die Vermutung, das Militär lasse Mursi bewusst auflaufen. Wenn das öffentliche Leben erst einmal zusammenbreche, würde die Bevölkerung die Generäle wieder herbei sehnen. Deshalb sei die Polizei auch abgetaucht.

Der Islam spielt im Alltag eine größere Rolle als früher. Neun von zehn Frauen tragen Kopftuch oder Schleier. Die Gebote des Ramadan, er findet zurzeit statt, werden streng beachtet, also kein Essen und Trinken zwischen Sonnenauf- und Sonnenuntergang. Wenn der Muezzin ruft, wird gebetet. Die koptischen Christen haben Angst, bald unterdrückt zu werden? Ist es das, was die Revolution wollte ? Oder nur das Ergebnis der Revolution ?

Das Volk hat einen Potentaten gestürzt, der sich und die Seinen auf Kosten des Volkes bereichert hat. So weit, so gut. Fasziniert haben wir den so genannten Arabischen Frühling beobachtet, und jetzt regiert in Ägypten eine Gruppe, zu deren Grundlagen der Heilige Krieg gehört. Wie geht es weiter? Was kommt jetzt, wo die Mühen der Ebenen vor den Revolutionären liegt ? Eine Antwort auf diese Fragen habe ich in Kairo nicht gefunden.



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