Bauers Depeschen


Donnerstag, 12. Juli 2012, 945. Depesche



 

NOTIZ

Nächster Flaneursalon am Dienstag, 25. September, im Club Speakeasy, Rotebühlplatz 11. Mit Toba Borke & Pheel, Zam Helga, Dacia Bridges & Alex Scholpp.



SOUNDTRACK DES TAGES



Die aktuelle StN-Kolumne:



BLICK INS JENSEITS

Womöglich erleben wir im Juli 2012 das Stuttgarter Festival der Festivals. Neben dem Festival Jazz Open an mehreren Spielorten der Stadt findet das Festival der Kulturen auf dem Marktplatz statt, das Festival der Aal- und Bierleichen beim Hamburger Fischmarkt auf dem Karlsplatz ist ebenfalls nicht zu überriechen, und als ich aus der Stadt flüchtete, um mir ein paar Notizen zu machen, war auch noch das Afrika-Festival auf dem Erwin-Schoettle-Platz im Gang.

Die Stände mit den Holzelefanten, Lederhüten und Gewürzen bemerkte ich allerdings erst, als ich nach ­dem ersten meiner zwei Ausflüge zum Dornhaldenfriedhof wieder in Heslach ankam. Es ist nicht leicht, beim Festival der Festivals den Überblick zu wahren, zumal der Festival-Sommer noch nicht beendet ist und ich es vermutlich verschlafen habe, ein wichtiges Hocketse-Fest­ival in Feuerbach zu besuchen.

Unter diesen Umständen bin ich froh, nicht Gastwirt geworden zu sein, auch wenn es sonst nichts Großes geworden ist. Es wäre nicht einfach, meine Gäste irgendwo beim Festival der Festivals einzufangen und in meine Mini-Bar zu locken. Zum Fischmarkt beispielsweise kann der Gast ohne Geld gehen. Man hat extra einen Container mit Bankautomat für ihn aufgestellt, damit er seinem Privatcrash nicht entkommt.

Bei jedem Stadtspaziergang lerne ich was dazu. Vor meinen jüngsten Ausflügen zum Dornhaldenfriedhof war mir nie aufgefallen, dass es in Heslach auch eine Dornhaldenstraße gibt. Sie feiert in diesem Jahr ihren 110. Geburtstag. Glückwunsch.

Schon einige Male bin ich zu den Fried­höfen mit der Seilbahn hinaufgefahren, und in den wenigsten Fällen war eine Beerdigung der Anlass. Fremde, aber auch Einheimische denken oft, die Seilbahn, diese schöne alte Holzkutsche, fahre durch die Luft wie ein Skilift oder ein Kirmeskarussell. In Wahrheit hängt sie bodenständig an einem Stahlseil. Sie startet am Südheimer Platz in Heslach und ist eine echte Stuttgarter Nummer. Bald dreiundachtzig Jahre alt und damit berechtigt, einen Friedhof anzusteuern.

Das offizielle Ziel der kurzen Fahrt über eine Gleisstrecke von 536 Metern mit einem ­Höhenunterschied von 87 Metern ist der Waldfriedhof mit seinen berühmten Toten, Paul Bonatz, Robert Bosch, Theodor Heuss, Wolfgang Windgassen.

Nicht weit entfernt liegt der Dornhaldenfriedhof, er wurde 1974 auf ­Degerlocher Gebiet angelegt. Ich nähere mich einem Nebeneingang im Gebüsch. Hunde, steht an der Tür, müssen draußen bleiben. Ich gehe rein. Nach ein paar Schritten öffnet sich von einer Anhöhe der Blick auf den Gebeinsgarten (schönes Wort, wenn ich nur wüsste, wo ich es herhabe). Das Gelände auf der ehemaligen Schießanlage Dornhalde liegt da wie ein kleiner Naherholungspark, und das ist er auch. Eichen, Akazien und Hainbuchen versperren nicht die Sicht aufs freie Land. Es müsste nach meinem Ermessen noch ein Startplatz in die Ewigkeit zu haben sein, sofern man sich einen leisten kann.

Neulich, bei der ersten meiner Friedhof-Touren, war Sonntag. Weit und breit kein Lebender, und weil auch Herr Klötzl, der Friedhofswärter, sonntags Ruhetag hat, fand ich die Gräber nicht, die ich suchte, obwohl ich, wie sich anderntags herausstellte, mehrmals daran vorbeigegangen war. Nicht leicht, der Blick ins Jenseits.

Das Urnengrab des Philosophen und Schriftstellers Max Bense, er hat in Stuttgart gelehrt, ist schwer zu finden. Versteckt und beschattet wie das Werk des Meisters liegt es auf dem Hügel am Ende des Friedhofs. Ein fünfzig Zentimeter kleines graues Steinquadrat aus zwei Drei­ecken, im Boden unter einer Kiefer eingelassen, neben einer ­Lavendelstaude. Von Max Benses Gruft, der Philosoph ist 1990 gestorben, kann man auf das Gemeinschaftsgrab der 1977 beerdigten RAF-Toten Gudrun Ensslin, Andreas Baader, Jan-Carl ­Raspe hinabschauen. Befürchtungen, der Ort könnte eine Kultstätte des Terrors werden, haben sich nicht bewahrheitet. Das gepflegte Grab liegt abgelegen.

Am längsten habe ich nach der Ruhestätte von Peter O. Chotjewitz gesucht und sie erst nach einem Anruf bei Herrn Klötzl gefunden. Kleines, stilvoll beschriftetes Grabmal aus rotem Sandstein. Blumenschmuck. Der 1934 in Berlin-Schöneberg geborene Schriftsteller und Jurist Peter O. Chotjewitz wurde im Dezember 2010 beerdigt. Seit 1995 hat er in Stuttgart gelebt; im Jahr 2000 wurde er mit dem Literaturpreis der Stadt ausgezeichnet. Seine von dem Frankfurter Autor Jürgen Roth 2011 herausgegebenen Erinnerungen tragen den prägnanten Titel „Mit Jünger ein‘ Joint aufm Sofa, auf dem schon Goebbels saß“. „Ich habe mich in Stuttgart nie schlecht gefühlt, nicht schlechter jedenfalls als in irgendeiner ­anderen Stadt“, heißt es im ersten Kapitel des 363 Seiten umfassenden Biografie (Verlag Büchse der Pandora).

Ich werde noch mal mit der Seilbahn zum Friedhof fahren, in dem Buch lesen und einiges in mein Notizbuch kritzeln. Bis demnächst auf dem Friedhof. So oder so.



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