Bauers Depeschen


Freitag, 29. Juni 2012, 938. Depesche



 

NOTIZEN

Nächster Flaneursalon: Dienstag, 25. September, im Speakeasy, Rotebühlplatz 11. Mit Toba Borke & Pheel, Zam Helga, Dacia Bridges & Alex Scholpp. - Bürgerprotest: An diesem Samstag findet im Kunstverein am Schlossplatz ein Abend zur Feier der 12 000 Unterschriften für die "Stuttgarter Erklärung" statt. Es gibt ein kleines Programm: Die Initiatorin Ulrike Braun spricht, Musiker spielen, die Kabarettistin Christine Prayon tritt auf, ich lese was vor. Danach offene Gesprächsrunde. Beginn 18.30 Uhr.



SOUNDTRACK DES TAGES



Die aktuelle StN-Kolumne: Schnelle Zeilen live aus der Kneipe:



BALOTELLI ODER PUNK PUR

Dorthin, wo alles anfing. Zum Gastwirt Andreas Göz. 1997 hat er das Ackermanns an der Ecke Schwab-/Bebelstraße eröffnet, eine der ersten echten Fußballkneipen in der Stadt. Treffpunkt für VfB-Fans, für Leute aus der Nachbarschaft. Heute führt er die Kneipe Maulwurf in Vaihingen.

1998, bei der WM in Frankreich, saßen wir zum ersten Mal zusammen vor der Leinwand: ein altes Leintuch. Der Sony-Beamer war fast so groß und schwer wie ein Kühlschrank, das Bild schlechter als in den Anfängen des Kintop. Man musste das Lokal verdunkeln, sonst hätte man das Spiel auf der Leinwand nicht einmal erahnen können. Es war diese denkwürdige WM von Frankreich. Das deutsche Team, von Berti Vogts trainiert, flog im Viertelfinale gegen Kroatien mit 0:3 aus dem Turnier. Ein Skandalspiel, der Dortmunder Wörns sah Rot, Trainer Vogts faselte hinterher etwas von einer Weltverschwörung. Der Torhüter Köpke und die Stürmer Klinsmann und Bierhoff waren dabei. Acht Jahre später sollten sie als Trainer und Manager des DFB-Teams eine Rolle spielen.

Da waren aufgerüstete Fußballkneipen bereits in Mode. Andreas Göz, 49, war ein Pionier; er hatte einen Bildschirm auch auf der Kneipentoilette installiert. 2006, beim deutschen „Sommermärchen“, als es schon den idiotischen Begriff Public Viewing gab, kamen ausländische TV-Teams, um das Stuttgarter Fußballklo zu dokumentieren.

2006, das WM-Halbfinale zwischen Deutschland und Italien. Ein gewisser Pirlo, mit der Ausstrahlung eines Rockstars, besiegelt mit seinem Genie-Pass auf Grosso kurz vor Ende der Verlängerung das Aus des DFB-Teams. Man spricht von der „Tragödie von Dortmund“. Auch damals saßen wir vor der Leinwand, einer amtlichen.

Jetzt, am Abend des 28. Juni 2012, haben wir wieder vor der Leinwand Platz genommen. Vaihingen, Stuttgarter Tribünenlage. EM-Halb­finale. Alle reden von der Revanche. Deutschland gegen Italien bei einem Turnier, weiß der Teufel, immer ist es das „Jahrhundertspiel“. Einige Dinge haben sich nicht verändert. Während der Nationalhymnen krachen die Sounds von AC/DC aus den Boxen. Die Schallmauer. Der Party-Patriotismus mit seinen nationalistischen Tendenzen war nie das Ding echter Fußballkneipen. Im Maulwurf herrscht, trotz der deutschen Anfangsoffensive, eine Andächtigkeit. Respekt vor dem „Klassiker“, kein Hurra-Geschrei. „Bei uns dominiert das Interesse am Fußball, Hysterie ist woanders“, sagt der Wirt. Als herrschte, immer wieder stößt man auf dieses Kneipenphänomen, eine Vorahnung, in dieser merkwürdigen Stille vor der Leinwand. Es liegt etwas in der Luft, und dieses Etwas riecht heute nicht nach Sieg. Balotelli macht das 1:0, und mir scheint, als könnten wir den Jubel aus der Pizzeria Harmonie hören. Sie ist achthundert Meter entfernt.

Bei früheren Turnieren saßen wir in Mannschaftsstärke am Biertisch, kommentierten das Spiel, und nebenbei klapperte die Laptop-Tastatur. Heute ist mein Bedarf gedeckt, wenn uns der ARD-Kommentator erzählt, es sei nicht das „Spezialgebiet“ eines Verteidigers, „eine Flanke zu schlagen“. Als wären wir noch bei Berti Vogts und unserem Betttuch an der Kneipenwand.

Als Balotelli das 2:0 erzielt, sagt der Wirt: „Das ist Fußball.“ In meiner Nachbarschaft höre ich ein lautes „Scheiße“. Pause. Aus den Boxen dröhnt Punkrock, und ich weiß nicht, ob man damit den Italo-Fluch vertreiben kann. Balotelli ist Punk pur. Beginnt der Rock’n’Roll? Aufholjagd auf dem Platz. Fiebrige Hoffnung in der Kneipe. Es ist schwül. Der Wirt setzt seinen Hund Gustav als Glücksbringer unter unseren Tisch. Gustav ist offizielles VfB-Mitglied, angeblich als einziger Dackel im Verein.

Man sieht die Gesichter von Pirlo, von Buffon, und es wird klar, wer die Zocker sind, wer die Männer mit Erfahrung. Elfmeter. 2:1. Wieder ein Wahnsinnsfinale? Nein. Hut ab vor den Abgeklärten, Respekt vor den Italienern. In der Kneipe läuft „You’ll Never Walk Alone“. Ciao.



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