Bauers Depeschen


Montag, 04. Juni 2012, 922. Depesche



SOUNDTRACK DES TAGES



FLANEURSALON IM NECKARHAFEN

Sonntag, 24. Juni, Mittelkai

Das neue Bild für die Depeschen-Seite (rechts) hat der Fotograf und Kollege Leif Piechowski am Ort unserer Flaneursalon-Show im Stuttgarter Hafen gemacht. Aus gutem Grund appelliere ich an alle Homepage-Besucherinnen und -Besucher, an die Freunde bunter und informativer Unterhaltung: Unterstützt unser Hafen-Picknick, die Hommage an den Neckar, besorgt Euch bitte Karten im Vorverkauf für unser (überdachtes) Hafen-Picknick am Sonntag, 24. Juni. Auf die Bühne, einen Eisenbahnwaggon, gehen Roland Baisch & The Countryboys, das Elektro-Duo Putte & Edgar, die Sängerin Dacia Bridges und der Beatboxer Pheel. Wäre schade, wennn der Flaneursalon ausgerechnet bei dieser Aktion baden gehen würde ... Hier geht es zum rettenden Ufer: HAFEN-PICKNICK

(Siehe auch rechts das Archiv, Depesche vom 20. Mai)



NOTIZ

Die Rampe-Aktion "Achtung! Es lebt!" am Samstag im Alten Schloss, die letzte in dieser Reihe, war eine feine Sache. So wird Geschichte lebendig: Es gab verschiedene Touren durch die Gemäuer, überall Stationen mit Darbietungen, mit Erinnerungen an große Künstler und schräge Figuren unter dem Motto "Zurück in die Zukunft". Unsereins las einen Text übers Zukunftsbild der Investment-Haie und den Müßiggang des Flaneurs - in fünf Stunden achtmal derselbe Vortrag vor verschiedenen Publikum, und dann war es gut.



Die StN-Kolumne vom Samstag steht im Archiv: 2. Juni.

Und hier noch ein kleines Kapitel Stadtgeschichte, das vergangene Woche etwas unterging:



HOTEL LESSING

Nach Sonnenaufgang vor die Haustür, dem Maisommer einen guten Morgen wünschen, die Zeitung überfliegen und in die Stadt hineinlachen. Unser grüner Herr Staatssekretär für Kultur, ein ausgewiesenes Landei wie unsereins, beschwört gerade mit der Dynamik einer Schildkröte den Einzug seiner gefledderten Kultur „in die Mitte der Gesellschaft“. Man ahnt: Er wird es nie schaffen, der Mitte seiner Provinzwelt und den siebziger Jahren zu entkommen.

Schnell weg von diesem toten Gleis.

Von der Klopstockstraße zum Hölderlinplatz, die Straßenbahnschienen entlang Richtung Hölderlinstraße, einen Augenblick verweile ich an dem Stolperstein zum Gedenken an Lilo Herrmann vor dem Haus Nummer 22. Die 1909 in Berlin geborene Widerstandskämpferin lebte während des faschistischen Terrors in der Hölderlinstraße. Ende 1935 nahmen die Nazis sie fest und verurteilten sie zum Tode. Neunzehn Monate saß sie in Stuttgart im Gefängnis. Am 20. Juni 1938 wurde Lilo Herrmann im Kerker von Berlin-Plötzensee ermordet, hingerichtet mit dem Fallbeil.

Auf dem kurzen Weg durch die Nachbarschaft lande ich mitten in der Geschichte der Stadt. Mein Ziel ist die Lessingstraße, von der Hölderlinstraße führt sie hinauf zum Herdweg. Grund meiner Tour ist eine Botschaft aus der digitalen Mitte des Lebens. Herr Ulrich Locher, 1941 in Stuttgart geboren, seit langem in Hamburg zu Hause, hat mich im Internet entdeckt, er war auf der Suche nach der Bäckerei Schmälzle. Gerade hatte ich über das Ende des Geschäfts berichtet, da schrieb mir Herr Locher: Sein Großvater, der Bäckermeister Wilhelm Göller, habe den Laden 1948 an Hans-Georg Schmälzle, den Vater des letzten Altstadt-Bäckers, Georg, verpachtet.

Seit dieser E-Mail sind der Mann aus dem Norden und ich gemeinsam im Nachrichtengeschäft. Nicht weit von meiner Wohnung, teilte er mir neulich mit, führten seine Eltern Anfang bis Mitte der fünfziger Jahre eine schöne Herberge, das Hotel Lessing in der Lessingstraße 12. Heute steht dort, neben einem braunen Backsteinhaus aus der Gründerzeit, ein modernisiertes Wohngebäude. Gegenüber residiert der nicht unbekannte Immobilienmakler Gerd Durchdenwald, und als ich den Mann frage, ob er je vom Hotel Lessing gehört habe, sagt er: „Ja, hier hat Sepp Herberger mit seiner Fußball-Nationalmannschaft gewohnt.“

Herr Locher wiederum erinnert sich genau, wie er als Bub mit dem legendären Bundestrainer Herberger und den Spielern um Kapitän Fritz Walter im Mannschaftsbus ins Neckarstadion fahren durfte. „Auf der Fahrt hat der Chef zu einem Lied aufgefordert und die Mannschaft einstimmig ,Wenn die bunten Fahnen wehen‘ intoniert.“

Im Hotel Lessing residierten viele Berühmtheiten, darunter Gunter Sachs. Der spätere Playboy und Künstler war damals etwa zwanzig Jahre alt und begann bei Bosch eine Lehre als Feinmechaniker. „Er hat unserem Kellner, Herrn Brinkmann, zehn Mark geboten, wenn er im Frack in unseren kleinen Pool springt“, berichtet Herr Locher. Der Kellner sprang und kassierte. Immer bevor Herr Sachs eine Dame mitgebracht hat, rief er im Hotel an: Das Zimmermädchen, Fräulein Grimm, möge doch bitte das Foto mit dem Frauenporträt von seinem Nachttisch nehmen.

Zu den Gästen im Lessing gehörten auch große Schauspieler, darunter der deutsche Filmstar Hardy Krüger und seine Frau und Kollegin Renate Densow. Sie spielten damals in einem Durbridge-Krimi in der Komödie im Marquardt. „Hardy Krüger“, erinnert sich Herr Locher, „hat mir ein Karl-May-Buch geschenkt und ein großes Bild mit der Aufschrift ,Meinem Freund Uli‘.“ Auch der Komödiant Theo Lingen logierte im Haus, fiel aber, wie alle Komiker, „privat nicht gerade durch überschäumenden Humor auf“.

Mitte der Fünfziger lassen sich Ulis Eltern scheiden, der Junge wohnt noch eine Weile bei den Großeltern im Leonhardsviertel, wächst als echter Stuttgarter Altstadtjunge heran, ehe er als Kfz-Schlosser nach Hamburg geht und eine Tankstelle übernimmt. Heute ist er Rentner, besitzt ein vorzügliches Gedächtnis und weiß noch, wie sein Vater einmal schwer beeindruckt aus dem Zimmer seines Hotelgastes Rudolf Caracciola kam. Im Refugium des großen Rennfahrers hatte er mehr Intimes gesehen als an Tagen, wo die langen Beine der Basketball-Helden von den Harlem Globetrotters aus den Lessing-Betten hingen. Nachdem Caracciola den Hotelchef zu sich gerufen hatte, empfing er ihn in seinem Zimmer splitternackt. Er hatte gerade geduscht. Das war eine Nummer, in den Fünfzigern.

Nach der Scheidung verkaufen Ulis Eltern das Hotel. Es wird in ein Schwesternheim umgewandelt. Herr Locher berichtet, wie er, ziemlich traurig, seine Schildkröte im Haus zurücklassen musste. „Wenn Sie mal vorbeikommen“, schreibt er mir, „geben Sie Lisa bitte ein Blatt Salat. Schildkröten werden ja sehr alt.“





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