Bauers Depeschen


Mittwoch, 21. Dezember 2011, 835. Depesche



(Die StN-Kolumne von diesem Donnerstag zum Thema Röhre müsste im Lauf des Tages STN ONLINE wandern...)



SOUNDTRACK DES TAGES



GO WEST!

FLANEURSALON IM MARKT AM VOGELSANG

Zuerst war es der Bauernmarkt im Westen, jetzt ist es der Markt am Vogelsang, und mittendrin ist demnächst der Flaneursalon: Unsere erste Lieder- und Geschichtenshow im neuen Jahr findet am Samstag, 21. Januar, zwischen Café-Theke, Bio-Produkten und Büchern statt. Es spielen Eric Gauthier & Jens-Peter Abele, Dacia Bridges & Gabriel Holz, Tobias Borke & Pheel. Beginn ist um 20 Uhr. - Der Vorverkauf ist ganz gut angelaufen, zwei Drittel der 150 Karten sind bereits weg. HIER GEHT ES ZUM VORVERKAUF



Die aktuelle StN-Kolumne von diesem Mittwoch:



BODENSEEREITER

Ich gehe in der Stadt herum und wundere mich, wie viel Weihnachtszirkus der Mensch verträgt. Männer, die in Kosakenkostümen auf dem Weihnachtsmarkt um ihr Leben singen, ein Mann, der am frühen Morgen aus dem Traumtheater Salome am Schlossgarten kommt und aussieht, als hätte der Letzte das Licht ausgemacht, und überall die vielen Leute, die nur da sind, weil alle anderen auch schon da sind.

Man schlittert in den Straßen von einer Festtagsbrandung in die nächste und kommt nicht dahinter, warum so viele unterwegs sind, nur weil so viele andere auch unterwegs sind. Rudelbildung im Einkaufsrausch, als würde es Geld regnen in der Stadt. Aber es schneit heftig, und die Europäische Zentralbank prophezeit ein Finanzdesaster, das sich gewaschen hat.

Im Kunstmuseum am Schlossplatz ist es ruhiger als draußen, obwohl die Bilder des Malers Michel Majerus nicht gerade leise sind. Sie knallen bunt, sie haben Beat und Tempo, spiegeln Motive aus der Welt der Computer und Comics. Homer Simpson trägt Irokesenbürste, Hippie-Kette, Hells-Angels-Helm. Einwandfrei.

Der luxemburgische Künstler Michel Majerus ist nicht alt geworden. Mit 35 starb er 2002 auf dem Weg von Berlin nach Luxemburg bei einem Flugzeugabsturz. Von 1986 bis 1992, bevor er nach Berlin und Los Angeles ging, hat er an der Kunstakademie in Stuttgart studiert. Seinerzeit hat man ihn sicher das eine oder andere Mal unten in der Stadt in einer Bar gesehen, nur leider nicht gekannt. Michel Majerus war ein Schüler der Akademie-Größen K. R. H. Sonderborg und Joseph Kosuth (dem wir das Schriftbild mit dem Hegel-Zitat am Hauptbahnhof verdanken), und er hatte Erfolg.

Die Kunstakademie auf dem Weißenhof hat in diesem Jahr ihr 250-jähriges Bestehen gefeiert, und unsereins braucht manchmal ein Jubiläum als Tritt in den Hintern, bis er wahrnimmt, was es alles gibt in der Stadt, außer dem Weihnachtsmarkt. Mit etwas Glück könnte man heute gute Bilder besitzen, hätte man früher Augen und Ohren aufgemacht. Jetzt ist es zu spät.

Weiß der Teufel, wer an der Kunstakademie alles aus- und eingegangen ist. Der Maler, Zeichner und Dichter Robert Gernhardt (1937 bis 2006) war schon 1956 zum Studieren auf dem Weißenhof, aber das können heute nicht mehr viele wissen. War ja gestern. Auf der Betonwand im Untergeschoss des Kunstmuseums entdeckt man auf Michel Majerus’ Arbeit „Pfadfinder“ ein Titelbild der Satirezeitschrift „Pardon“, Vorgängerin der heutigen „Titanic“. Robert Gernhardt, der große Satiriker und Mensch, hat kräftig mitgeholfen, „Pardon“ legendär zu machen, wie auch sein berühmter Kollege F. W. Bernstein. Herr Bernstein, 1938 in Göppingen geboren, heißt eigentlich Fritz Weigle, und als er Robert Gernhardt 1957 an der Stuttgarter Kunstakademie traf, war das für den deutschen Humor so wichtig wie die Liverpooler Begegnung von John Lennon und Paul McCartney für die britische Popmusik.

Mir macht es Freude, wenn ich auf Stuttgarter Spuren stoße. Herr Majerus aus Luxemburg verarbeitet ein altes „Pardon“-Cover mit King Kong als Weihnachtsmann, und schon landet man bei den großen Teilzeit-Stuttgartern Robert Gernhardt und F. W. Bernstein, K. H. R. Sonderborg und Joseph Kosuth. Und das alles zum 250. Geburtstag der Kunstakademie, die mir manchmal ein wenig weit weg scheint von der Stadt.

Robert Gernhardt gilt heute als deutscher Schulbuch- und Reclam-HeftDichter; zu meinen Lieblingswerken gehört sein Band „Lichte Gedichte“, nicht nur, weil mir das Buch einst eine Dame samt Widmung von R. G. geschenkt hat. Man findet darin das Gedicht „Wir sind wir“, und bereits die erste Strophe könnte auf einschlägige Stuttgarter Erfahrungen zurückgehen, tragikomische Sachen, die man am eigenen Leib erfahren hat:

„Wir sind schon ein wilder Haufen / Wann Polizeistunde ist, bestimmen wir / Wir haben uns geschworen, nicht so bald nachhause zu gehen / Und was wir geschworen haben, das halten wir auch.“

Ich kann nichts dafür, ich stolpere oft über Dinge, die mitten hinein nach Stuttgart führen. Als der amtierende Herr Bundespräsident nach seinem 500 000-Euro-Kredit von einem Schmuck- und Schrotthändler aus Hannover zu einem üblichen Geldinstitut wechselte, da ging er wohin? Zur BW-Bank Stuttgart. Vielleicht dachte er sich: Nix ist doofer als Hannover. Die BW-Bank gibt es schon lange, sie besaß früher Geld, und ein guter Freund des Herrn Bundespräsidenten, der Kamerad Oettinger vom CDU-Geheimbund „Andenpakt“, hatte dort früher auch mal was zu sagen. Da war er noch King Kong.

Es ist keine große Kunst, sich die Dinge in der Stadt zusammenzureimen, aber selten kommt eine so schöne Strophe heraus wie die aus Robert Gernhardts „Bodenseereiter“, einem Gedicht, das er auf die Melodie des Lennon-McCartney-Songs „Paperback Writer“ geschrieben hat:

„Frischer Schnee, der deckte das blanke Eis, / doch was einer nicht weiß, das macht ihn nicht heiß. / Unser Mann ahnte nichts von dem See unterm Schnee, / also ritt er über den Bodensee: / Bodenseereiter, Bodenseereiter, / wie geht es weiter?“

Wie bisher, leider.



KOMMENTARE SCHREIBEN IM LESERSALON

DIE STN-KOLUMNEN



FRIENDLY FIRE:

NACHDENKSEITEN

FlUEGEL TV

THE INTELLIGENCE

EDITION TIAMAT BERLIN

Bittermanns Fußball-Kolumne Blutgrätsche

VINCENT KLINK

RAILOMOTIVE

UNSERE STADT

KESSEL.TV

GLANZ & ELEND

 

 

Auswahl

27.08.2022

24.08.2022

22.08.2022
17.08.2022

14.08.2022

10.08.2022
07.08.2022

06.08.2022


Depeschen 2281 - 2310

Depeschen 2251 - 2280

Depeschen 2221 - 2250

Depeschen 2191 - 2220

Depeschen 2161 - 2190

Depeschen 2131 - 2160

Depeschen 2101 - 2130

Depeschen 2071 - 2100

Depeschen 2041 - 2070

Depeschen 2011 - 2040

Depeschen 1981 - 2010

Depeschen 1951 - 1980

Depeschen 1921 - 1950

Depeschen 1891 - 1920

Depeschen 1861 - 1890

Depeschen 1831 - 1860

Depeschen 1801 - 1830

Depeschen 1771 - 1800

Depeschen 1741 - 1770

Depeschen 1711 - 1740

Depeschen 1681 - 1710

Depeschen 1651 - 1680

Depeschen 1621 - 1650

Depeschen 1591 - 1620

Depeschen 1561 - 1590

Depeschen 1531 - 1560

Depeschen 1501 - 1530

Depeschen 1471 - 1500

Depeschen 1441 - 1470

Depeschen 1411 - 1440

Depeschen 1381 - 1410

Depeschen 1351 - 1380

Depeschen 1321 - 1350

Depeschen 1291 - 1320

Depeschen 1261 - 1290

Depeschen 1231 - 1260

Depeschen 1201 - 1230

Depeschen 1171 - 1200

Depeschen 1141 - 1170

Depeschen 1111 - 1140

Depeschen 1081 - 1110

Depeschen 1051 - 1080

Depeschen 1021 - 1050

Depeschen 991 - 1020

Depeschen 961 - 990

Depeschen 931 - 960

Depeschen 901 - 930

Depeschen 871 - 900

Depeschen 841 - 870

Depeschen 811 - 840

Depeschen 781 - 810

Depeschen 751 - 780

Depeschen 721 - 750

Depeschen 691 - 720

Depeschen 661 - 690

Depeschen 631 - 660

Depeschen 601 - 630

Depeschen 571 - 600

Depeschen 541 - 570

Depeschen 511 - 540

Depeschen 481 - 510

Depeschen 451 - 480

Depeschen 421 - 450

Depeschen 391 - 420

Depeschen 361 - 390

Depeschen 331 - 360

Depeschen 301 - 330

Depeschen 271 - 300

Depeschen 241 - 270

Depeschen 211 - 240

Depeschen 181 - 210

Depeschen 151 - 180

Depeschen 121 - 150

Depeschen 91 - 120

Depeschen 61 - 90

Depeschen 31 - 60

Depeschen 1 - 30




© 2007-2024 AD1 media ·