Bauers DepeschenSamstag, 10. Dezember 2011, 829. DepescheIn der Dritten sieht man besser: Stuttgarter Kickers - SC Freiburg II 0:0 Eintrittskarten sind die schönsten Weihnachtskarten MARKT AM VOGELSANG: FLANEURSALON mit ERIC GAUTHIER, DACIA BRIDGES, TOBA BORKE Der Vorverkauf für unseren ersten Flaneursalon im neuen Jahr läuft bereits, wir haben wieder eine neue Spielstätte gewählt und wären deshalb dankbar für ewas Unterstützung, auch vom geneigten, stets gratis bedienten Homepage-Besucher. Am Samstag, 21. Januar (20 Uhr), sind wir im Markt am Vogelsang zu Gast. Das Karten-Kontigent ist begrenzt: Etwa 150 Besucher haben Platz. Wir spielen auf einer kleinen Bühne im Erdgeschoss, mitten in der offenen, bewirteten Markthalle. Es ist die erste Veranstaltung an diesem Bio-Ort im Westen, vormals als Bauernmarkthalle bekannt - und die Sache ist relativ aufwendig, weil man an einem solchen Platz viele Dinge organisieren muss. Im Flaneursalon-Aufgebot sind Eric Gauthier & Jens-Peter Abele, Dacia Bridges & Alex Scholpp sowie der Klasse-Rapper Tobias Borke mit seinem Beatboxer Pheel. HIER GEHT ES ZUM VORVERKAUF SOUNDTRACK DES TAGES DIE AKTUELLE STN-KOLUMNE von diesem Samstag: DUR UND MOLL Die Weihnachtszeit bringt alles durcheinander in der Stadt. Morgens um neun, wenn normalerweise die Straßenbahn überfüllt ist mit internationalen Passagieren, sehe ich kaum einen Menschen. Steige ich aber aus, bin ich umringt von Leuten, die Russisch sprechen. Zurzeit sind mehr Russen unterwegs als früher, wo andauernd einer „Die Russen kommen“ brüllte, bevor man schnell noch ein paar Raketen stationierte. Die Marschflugkörper unserer Tage werden von Spielsoldaten an der Börse abgefeuert. Es riecht nach Weltuntergang und Währungsreform. Wer früher von der Weltpolitik keine Ahnung hatte, behalf sich mit der Floskel, die Welt käme ihm spanisch vor. Heute weiß ich, was damit gemeint war: Spanien ist pleite. Es wird behauptet, in diesem Jahr gingen die Leute nur deshalb auf den Weihnachtsmarkt, damit ihre Kohle nicht die Spanier, die Griechen und die Italiener bekommen. Diese Rechnung geht auf, weil die Taschendiebe ja nicht aus Spanien, Griechenland oder Italien kommen. Die Zocker, die heute die Wirtschaft ruinieren, sind global veranlagt wie die Mafia. Die Mafia hat sich nie um ethnische Grenzen gekümmert. Als die USA rassistischer waren als heute, haben Mafiosi auch schwarze Musiker gefördert, wenn sie Profite versprachen. Seinerzeit redete man noch nicht von globaler Profitmaximierung, obwohl kluge Leute wie die Anarchisten längst vor den Profiteuren warnten. Bei uns darf man das Wort Anarchist nicht in den Mund nehmen, weil viele glauben, Anarchisten seien Leute, die nachts im Schlossgarten in einem Zelt oder anderswo mit Oskar Lafontaine in einem Bett schlafen. In der „FAZ“ war dieser Tage – als Leserbrief auf einen Essay der bekannten Anarchistin Sahra Wagenknecht – ein Gedicht des Anarchisten Erich Mühsam abgedruckt: „Ja, Bürger ja, die Erde bebt. / Es wackelt deine Habe. / Was du geliebt, was du erstrebst, / das rasselt jetzt zu Grabe. / Aus Dur wird Moll, aus Haben Soll. / Erst fallen die Devisen, / dann fällst Du selbst zu diesen.“ Schon bevor ich diese Zeilen las, hatte ich mir in der Buchhandlung Brucker in der Schwabstraße die erste Ausgabe von Erich Mühsams Tagebüchern gekauft und den Eindruck gewonnen, Herr Mühsam sei ein außerordentlich sanfter Mensch gewesen. Wäre es anders, hätte mir die Dame das Buch eher heimlich unterm Ladentisch hindurch in meinen Anarchobeutel gesteckt. Aber sie reichte es mir, als wäre eine Anarchisten-Schrift handelsübliche Ware, üblicher als der Walnussschinken beim benachbarten Metzger Wagner. Bei Erich Mühsams Reim „Erst fallen die Devisen, / dann fällst du selbst zu diesen“ handelt es sich um die besten Zeilen des Jahres. Das darf ich sagen, ich lese viel, beispielsweise die U-Bahn-Werbung einer Textilfirma mit dem verheißungsvollen Namen Esprit. Auf den Plakaten sieht man eine schöne Frau oder einen schönen Mann, die Schilder hochhalten wie sonst unsere Bettler. Auf den Schildern stehen Sätze wie die: „Ich wünsche mir, dass jeder jeden Tag mit einem Lächeln lebt“, „Ich wünsche mir, dass mein Buch veröffentlich wird“, „Ich wünsche mir einen riesigen Schneemann aus Eiscreme.“ Abgesehen von der Tatsache, dass ein riesiger Schneemann aus Eiscreme doch eher ein riesiger Eiscrememann ist, finde ich die Kampagne ausgesprochen konjunkturbelebend. Allerdings hätte ich die Wünsche auf Russisch abgedruckt, damit sie nicht alle verstehen. Schließlich kann man in Zeiten, da Dur wird Moll und Haben Soll, nicht alles haben. So gesehen passt eine andere U-Bahn-Werbung besser in die Zeit. Man sieht darauf einen Mann mit Hut: Udo Lindenberg. Der Rocker wünscht sich nichts, er droht uns vom Plakat: „Ich mach mein Ding.“ Das mach ich jetzt auch. Gemütliche Tage beim Russischen Roulette. KOMMENTARE SCHREIBEN IM LESERSALON DIE STN-KOLUMNEN FRIENDLY FIRE: NACHDENKSEITEN FlUEGEL TV THE INTELLIGENCE EDITION TIAMAT BERLIN Bittermanns Fußball-Kolumne Blutgrätsche VINCENT KLINK RAILOMOTIVE UNSERE STADT KESSEL.TV GLANZ & ELEND |
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