Bauers Depeschen


Dienstag, 01. November 2011, 809. Depesche



NICHT VERGESSEN: Amtsformular fettfleckenfrei einpacken, ausreichend frankieren, Volksabstimmungspost ans Rathaus schicken, auf eine Antwort und am 27. November auf ein Mehrheitswunder warten. Das ist Ausstiegs-Demokratie, und wir wissen, warum die DDR-Regeln in der Ära Merkel auch bei uns greifen.



FLANEURSALON IM MAULWURF

Nach dem restlos ausverkauften Abend in der Andreaskirche zu Obertürkheim darf ich noch einen Zusatztermin ankündigen: Am Sonntag, 20. November, machen wir eine kleine Matinee in der Vaihinger Kneipe Maulwurf. Mit Zam Helga, Anja Binder & Jens-Peter Abele. Beginn ist zur Weißwurstzeit, 11 Uhr. Reservierungen: 07 11 / 6 73 24 06.



NEUE KOLUMNE



SOUNDTRACK DES TAGES



Hier ein kleiner Text, der vom Herbst in Richtung Weihnachten geht:



DIE KASTANIENFRAU

Von Joe Bauer



Da war diese Frau im September. Sie erzählte mir, wie sie jeden Spätsommer die erste Kastanie, die ihr vor die Füße fällt, in die Handtasche steckt und sie danach hütet wie ihren Augapfel.

Unsinn, sagte ich, die Kastanie vertrocknet, sie wird im Winter runzelig wie ein Schrumpfkopf und sieht bald aus wie gefrorene Hundekacke. „Die Kastanie erinnert mich daran, dass es Sommer war und dass der Sommer wieder kommt“, sagte die Frau. „Wenn der Sommer wiederkommt, werfe ich die Kastanie weg.“

„Das ist eine seltsame Methode, einen Kalender zu führen“, sagte ich, und stellte mir vor, wie diese Frau eines Tages selbst aussehen würde wie eine verschnurzelte Marone, auch wenn sie jetzt jung war und ihre Augen aussahen wie Kastanien oder die Augen von einem Reh.

Rehe essen im Winter getrocknete Kastanien. Als ich früher Jäger werden wollte und unser Förster schon an Venenverstopfung litt, habe ich eimerweise Kastanien gesammelt, sie getrocknet und immer einen Tage vor dem Heiligen Abend in die Futterkrippen im Wald gekippt. Aber die Rehe haben die Kastanien nicht gefressen. Schon damals trauten die Rehe meinen Kastanien nicht. Nach Weihnachten lagen sie noch immer in der Krippe. Kastanien sind überschätzt.

„Man kann sein Leben nicht mit einer Kastanie einteilen“, sagte ich. „Doch“, sagte die Frau, „das Leben ist wie eine Kastanie. Der Sommer geht, der Sommer kommt.“ „Und dazwischen ist ein Haufen Hundedreck“, sagte ich. Diese Bemerkung war nicht gut, das merkte ich. „Einer muss die Kastagnetten aus dem Feuer holen“, sagte ich rasch, um sie abzulenken. Sie holte ihre Kastanie aus der Handtasche, rieb sie zwischen Daumen und Zeigefinger und sagte, sie habe nicht erwartet, von verstanden zu werden, von einem wie mir. „Du taugst nicht für die Kastaniengeschichte“, sagte sie und ging.

Der Sommer geht, der Sommer kommt, dachte ich. Ich verstehe nicht, warum eine Beziehung scheitert, bevor sie begonnen hat. Es liegen jetzt viele Kastanien auf den Gehwegen und auf den Plätzen herum, vor allem auf dem Karlsplatz. Kastanien sind eine Landplage, sie fallen einem auf den Kopf, sie sind eine Gefahr für gute Stiefel, und sie erinnern daran, dass der Sommer vorbei ist.

Manchmal, wenn sie durch den Park fliegen, verwandeln sie sich auch in Pflastersteine und verletzen Politiker am Resthirn.

Und überall, wo eine Kastanie fällt, ist das Eichhorn nicht weit. Das Eichhorn geht mit seinem aufgeblasenen Machoschwanz in der Stadt spazieren, als gehöre ihm die Stadt. Das Eichhorn rennt nicht einmal mehr weg, wenn ein Auto kommt. Die Fahrer sind dumm genug und steigen in die Bremse, wenn sie einen Eichhornschwanz sehen. Ich habe das beobachtet auf der Hasenbergsteige. Würde ich für eine Autoversicherung arbeiten, müssten Eichhornjäger mit automatischen Gewehren ran. Ich würde den Biestern die Kastanien unter ihren Schwänzen wegballern. Eichhörner sind schlimmer als Ratten. Eichhörner werden verniedlicht. Ratten werden gehasst. Kein Autofahrer würde wegen einer Ratte sein Leben riskieren.

Die Herbstdepression setzt bei mir ein, wenn ich die ersten Kastanien sehe. Meine Herbstdepressionen sind schlimmer geworden, seit ich diese Frau getroffen habe, die ihre Kastanie in der Handtasche aufbewahrt, weil sie nicht vergessen will, dass es einen Sommer gibt. Warum steckt sie nicht das Oberteil ihres Bikinis in die Handtasche. Oder das Verdeck ihres Cabrios oder ein totes Eichhorn, das sie überfahren hat, damit sie weiß, dass es wieder einen Sommer gibt.

Zweitausend Kastanien lagen am Boden, als ich die Frau einige Tage später auf dem Karlsplatz wieder traf. „Guten Tag, meine Kastanie, sagte ich. „Bald kommt der Winter, und deine Kastanie sieht aus wie Hundedreck.“

Sie beachtete mich nicht. „Für dich, sagte ich, würde ich ein Eichhorn töten.“ Wortlos ging sie weiter, und mir fiel das Lied mit den Kastanien nicht ein. Ich hätte das verdammte Weihnachtslied für sie gesungen. Chestnuts roasting on an open fire, hätte ich gesungen - und Nat King Cole hätte mir verziehen.

Heute weiß ich, dass es Unglück bringt, wenn ich einer Frau mit einer Kastanie in der Handtasche begegne. Aber ich bin alt genug, ich habe mich an den Herbst gewöhnt. Der Sommer ist nicht gut für die Eichhornjagd, und heute gehe ich nicht mehr ohne meine Kastanie in der Hosentasche aus dem Haus. Sie wird mich über den Winter bringen. Kastanien, hat mir der Apotheker gesagt, helfen gegen Venenverstopfung. Und gegrillte Eichhörner, hat mir mein Metzger gesagt, schmecken vorzüglich. Ihr Fleisch ist zart, und es ist frei von Fett.



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