Bauers Depeschen


Samstag, 26. September 2009, 381. Depesche



BETR.: MELDE MICH ZURÜCK



DER DEMOKRAT



Es roch nicht gut, es stank wie in einer Schulturnhalle. Wenn ein Mann allein ist, nimmt er den Geruch stärker wahr, als wenn er in der Turnhalle mit jemandem turnt. Mir wurde schlecht, und ich bat Gott um Hilfe. Herr Gott, sagte ich, von heute an bin ich dir ein guter Diener, wenn du mich aus diesem Elend befreist. Ich hasse Lügner und Pharisäer, sagte Gott.

Es roch übel. Ich knöpfte mir das Hemd auf, weil ich Angst hatte zu ersticken. Herr Gott, sagte ich, es ist die Hölle hier, ich möchte mir die Kleider vom Leib reißen oder wenigstens die Hosen herunterlassen.

Das beeindruckt mich nicht, ich habe in meinem Leben viele nackte Männer geschaffen, sagte Gott. Du hast recht, sagte ich, dieses Land wird nicht besser, wenn ich die Hosen hängen lasse. Zum Glück hatte ich keine Krawatte um. Ich hätte mich erhängt. Ich hätte mich ins Jenseits befördert, auch wenn es Gott nicht gefällt, wenn man ihm die Arbeit abnimmt.

Ich ließ die Hosen herunter. Der Schulturnhallengeruch brachte mich fast um. In der Schule war ich kein schlechter Turner gewesen. Turnhallen hasste ich. Turnhallen sind für Typen, die Völkerball spielen, weil sie Angst beim Fußball haben. Es gibt auch Boxer und Ringer in Turnhallen. Vor diesen Männern habe ich Respekt. Aber sie riechen nichts. Mit der platten Nase eines Boxers riechst du den Gestank einer Schulturnhalle nicht und mit den Blumenkohlohren eines Ringers erst recht nicht.

Herr Gott, sagte ich, ich habe diese Behandlung nicht verdient. Ich bin kein schlechter Mensch, ich tue, was man von mir verlangt, aber das hier geht zu weit, das ist Politik. Ich sah den Schatten einer schwarzen Katze mit Pferdeschweif. Herr Gott, brüllte ich, der Teufel ist hinter mir her. Ich verkaufe meine Seele nicht.

Ich sah nicht gut aus an diesem Tag mit offenem Hemd, heruntergelassenen Hosen und einem Bleistift in der Hand. Ich trage immer einen Bleistift bei mir, eine schlanke Mine, die man in eine Kugelschreiberhülse steckt. Diese Mine spitzt sich in der Hülse selbst. Ich liebe Minen, die sich selbst spitzen. Sie sind der Fortschritt. Mit frisch gespitzter Mine begann ich, ein Gebet von Wolfgang Neuss an die Wand zu kritzeln: "Müde bin ich, geh zur Ruh / decke mich mit Scheißdreck zu. / Will der Teufel mich erhaschen, / muss er erst am Scheißdreck naschen." Weiter kam ich nicht. Es gibt erhörte und unerhörte Gebete, davon hatte ich gehört. Ich schwitzte. Es gibt keinen traurigeren Anblick als einen Mann mit gefallenen Hosen, einem frisch gespitzten Bleistift in der Hand und dem Gestank einer Schulturnhalle in der Nase.

Herr Gott, sagte ich, was soll ich denn noch tun? Ich habe die Hosen heruntergelassen, ich habe ein Gebet gesprochen und mir einen gespitzten Bleistift besorgt. Das war meine Pflicht. Ich bin Demokrat. Jetzt bist du dran, schrie ich, ich gehe drauf, ich weiß nicht, was ich tun soll. Draußen hörte ich eine Frau sagen, man solle einen Arzt rufen. Ich brauche keinen Arzt, schrie ich, ich brauche eine Eingebung.

Du hast recht, sagte Gott, ich bin bei dir. Ich hörte Metallstücke klimpern. Womöglich lud Gott gerade seine Kanone. Herr Gott, sagte ich, drück ab, ich bin bereit für dich. Aber es fiel kein Schuss.

Fang auf, sagte Gott. Eine silberne Münze kam über die Wand geflogen. Ich schnappte sie mir. Wappen bedeutet Grün, sagte Gott, Zahl SPD. Ich warf den Euro in die Luft und fing ihn lässig mit einer Hand, wie ich es beim Völkerball in der Schulturnhalle gelernt hatte. Ich sah den Reichsadler auf dem Euro, nahm den Bleistift und rief über die Kabinenwände hinweg:

Heute wähl' ich CDU, muh, muh.

Mit heruntergelassenen Hosen und frisch gespitztem Bleistift stolperte ich aus der Schulturnhalle. Die Leute drohten mir mit der Faust. Hier stinkt es, sagte ich, ich habe das Wahlgeheimnis gelüftet.



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