Bauers DepeschenDonnerstag, 12. Februar 2009, 285. DepescheNACHTRAG: SPIEL DER KICKERS AM SAMSTAG FÄLLT AUS! Nächster Flaneursalon am Mittwoch, 18. Februar 2009, im Theater Rampe, Filderstraße 47, Stuttgart. Letzter gemeinsamer Auftritt von Ralf Groher & Stefan Hiss als LOS GIGANTES. Weitere Gäste: Dacia Bridges & Alex Scholpp. Beginn 20 Uhr. Es gibt noch Karten (nicht mehr viele): 0711 / 6 20 09 09 - 16. Kolumnen in den Stuttgarter Nachrichten: www.stuttgarter-nachrichten.de/joebauer Noch was zum besseren Verständnis: Wenn am 19. Februar Die Große Tierschau im Theaterhaus startet, darf man sich dieses Projekt nicht als amputierte Kleine Tierschau vorstellen. In den vergangenen Monaten haben Michael Gaedt und Michael Schulig eine vollkommen eigenständige Show erarbeitet, eine komödiantische Hommage an die große Zeit des Rock, und in dieser Show werden neben den beiden Tierschau-Leuten der Bassist Rolf Kersting, der Gitarrist Andy Feller, der Schlagzeuger Jörg Orlamünder und drei Tänzerinnen der New York City Dance School mitwirken. UND JETZT AUF VIELFACHEN WUNSCH: HEUBACH, BERLIN, NEW YORK Erinnerungen an Die Kleine Tierschau ICH SASS IM WILLI, einer Kneipe in Kreuzberg, es war Anfang der achtziger Jahre, morgens um 14 Uhr. Ein Kleinbus fuhr vorbei, er sah aus, als hätte er zehn Jahre Verspätung. Die Kiste war bemalt wie die Berliner Mauer. Nostalgische Hippies bekannten noch immer Farbe. In Berliner Clubs und Galerien wurde mal wieder das Revival der sechziger Jahre gefeiert. Der Bus diente einer Truppe namens Die Kleine Tierschau als Tourneeschleuder. Von der Band hatte man gerüchteweise auch in Stuttgart gehört. Ihre Bühne war seinerzeit die Königstraße. An diesem Tag in Kreuzberg fuhr der Bus Richtung Kurfürstendamm, eine Gegend, die sensiblen Menschen Furcht einflößte. Alternative Kreise mieden den Boulevard des Westens, er galt als Pommes-, Nepp- und Touristenpiste. Wer sich hier blicken ließ, wurde in der Szene mit Verachtung bestraft. Der Schwabe Albrecht Metzger, der es als Politrocksänger, Kabarettist und Moderator der legendären ARD-Show "Rockpalast" zu einer gewissen Berühmtheit gebracht hatte und in Berlin lebte, vermittelte die Tierschau mitten ins Fegefeuer der gerade aufkommenden Comedy-Kunst. Die Tierschau spielte einige Tage im abgehalfterten Ku'damm-Kino Hollywood. Es war die erste Begegnung mit der Band, und ich war erstaunt, auf was für Ideen man in meiner alten Heimat kommen konnte. Die Herren von der Tierschau waren mal meine Nachbarn gewesen, ohne dass ich es wusste. Die Regeln des Showbusiness hatten sie in den Musikkapellen von Heuchlingen, Böbingen und Heubach gelernt. Brassed off Ostalb. In Berlin setzten sie dem Publikum in den ersten Reihen elektronisch gesteuerte Bauhelme auf den Kopf und trommelten darauf die Rhythmen der Karibik. Diese Nachricht verbreitete sich in der geteilten Stadt schneller, als man glauben wollte. Das Kino Hollywood war ausverkauft, das Publikum tobte, und der deutsche Süden lebte, als ihn noch kein Werbe-Fritze den wilden nannte. Mehr als zehn Jahre später, als die Tierschau mit dreistimmigen Gesängen und wilden Sketchen Zelte und Hallen füllte, saß ich im Theaterhaus in Wangen. Der gut gebaute Mann an der Kasse, in Erinnerung an den ehemaligen österreichischen VfB-Star Hans Ettmayer "Buffy" genannt, lächelte mit der Erhabenheit eines Hollywood- Bosses. Die Tickets gingen in Zehner- und Hunderterblöcken weg, und die Touristenbusse, die vor dem Theaterhaus parkten, wirkten im Vergleich zu der Tierschau-Karre wie die S-Klasse aus Untertürkheim. Die Tierschau nannte ihre Show damals "Landfunk und Scheunentrash" und köderte damit die Kawasaki-Piloten aus den Dörfern ebenso wie die Kinder aus der städtischen Disco-Ebene. Dabei stank die Show zum Himmel. Ungeniert genossen Künstler wie Fans den Stallgeruch schräger Göckel auf dem Mist. Man hatte schubkarrenweise Kuhscheiße und Stinketücher ins Haus gefahren. Der Theaterhaus-Chef Werner Schretzmeier schwang persönlich die Mistgabel. Zur besseren Entfaltung der Duftnote trällerte das Trio mit Engelszungen die Pophits akurat geföhnter Kollegen. Motto: "Abba jetzt!" - lange bevor irgendwer an ein Abba-Musical dachte. Alle in der monatelang überfüllten Theaterhaushalle schwelgten im Wir-Gefühl. Wenn die basisdemokratisch geführte Ostalb-Bande zwei Dutzend Instrumente auf die Bühne schleppte, sah es aus, als hole sie Dreschflegel und Pferdepeitschen aus dem Schuppen. Ihre Kostümabteilung, von den eigenen Frauen geführt, benötigte mehr Platz als die Garderobe einer Diva. Dass die Herren Michael Gaedt, Ernst Mantel und Michael Schulig anscheinend besser zusammenhielten als eine übliche Beziehungskiste, mag man heute als Akt wunderbarer Unkompliziertheit deuten. In Wahrheit pflegten sie einen knallharten Dreier. Eines Tages fuhren Herr Gaedt, Herr Mantel, Herr Schulig und ich zusammen nach New York. Dort saß ich meistens in der Full Moon Bar am Hudson, um mir von Amerikanern das Leben erklären zu lassen, während die Tierschau in den Unterrichtsstudios am Broadway merkwürdige Verrenkungen übte. Immerhin hatte die Band bereits in New York gespielt, in der Show des Punksängers und Entertainers Buster Poindexter. Einmal setzte ich mich im Studio hinter die Glasscheibe und schaute zu, wie die Herren für 20 Dollar pro Stunde mit Hausfrauen und Kindern den Anweisungen des Ballettlehrers folgten. Ich war froh, kein Artist zu sein. Harte Männer tanzen nicht. Beeindruckt hat mich die Gründlichkeit, mit der hier gearbeitet wurde: Der Zufall darf schon mal mitspielen auf der Bühne, aber besser ist es, man hat die Welt im Griff. So fuhr man für eine Turnübung nach New York - ein kleiner Hip-Hop-Schritt fürs Publikum, ein quälender für die Tierschau. In diesem Ensemble verdichtete sich schwäbische Querköpfigkeit zu globaler Selbstverständlichkeit. Gingen wir abends in die Rockclubs von Manhattan, landeten wir zum Abschluss regelmäßig bei den Helden der Depression im CBGB in der Bowery. Nackte Oberkörper dominierten, Nacktheit war auch ein Kostüm der Tierschau. Weshalb schleppten die drei Musik-Clowns in ihren exotischen Klamotten ständig neue Höllenmaschinen auf die Bühne? Tüftlerblut. Gaedt, gelernter Steinmetz, bastelte pausenlos. So steppten die feinsinnigen Berserker zum lieblichen Sound einer getunten Dampfwalze. Gleichzeitig schrieben sie Textzeilen, die in ihrer Präzision verblüfften: "Kleider machen Schneider." Der Erfolg der Tierschau war nur schwer zu erklären, schon gar nicht mit ihren Radiohits "Lieber doof sein als Gabi heißen" und "Campari pur". Ihre vermeintliche, professionell gespielte Unzulänglichkeit steckte an. Das Ganze war ein Mitmachspiel ausgefuchster Animateure, die selbst nicht immer begriffen, warum der Laden tobte: Horst tapperte im Dunkeln, bis Derrick schwarz wurde. Das genügte. Entscheidend für die phänomenale Begeisterung war wohl die Meinung des Publikums: "Mann, eigentlich können wir das auch." Lernen aber kann man nicht alles, nicht la figura, die Kunst, in jeder Situation den Anschein zu wahren. Während eines späteren Besuchs mit Michael Gaedt in New York begegnete uns auf der Straße ein schwarzer Herr im Maßanzug, er bat uns um Feuer. Gaedt nahm sein Zippo und zündete dem Mann mit theatralischer Geste die Zigarette an. Solche Auftritte schreien nach Dialogen. "Sir", sagte Gaedt, "wir sind Brüder." Der Gentleman musterte den Kerl - Gaedt hatte kurz zuvor auf einem Schrottplatz in der Bronx die Tür einer Cadillac-Limo für einen Stuttgart-Transfer ausgebaut - und antwortete in einem Ton, der keine Fragen offen ließ: "Sie irren. Sie sind weiß. Ich bin schwarz." "Sicher", sagte Gaedt. "Aber beide sind wir Raucher." Der Mann lachte, und wir rauchten. Ich erinnere mich oft an solche kleine Anekdoten über die Kunst der Verführung. Anfang der Achtziger war ich noch einem bunten Schrottbus in Berlin hinterhergelaufen. Ausgerechnet diese alte Karre fuhr in eine neue Zeit. Sie ist längst vorbei. © 2009 Stuttgarter Nachrichten (joe bauer) „Kontakt“ |
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