Bauers Depeschen


Sonntag, 09. September 2007, 64. Depesche



VOM KOCHEN



Es gibt Dinge, die müssen raus, dazu gehört meine Kochwut, besser gesagt, meine Wut aufs Kochen. Kochen wird überall, wo Intellektuelle auftauchen, zum wichtigsten Kulturbeitrag unserer Zeit erklärt. Vermutlich wäre ohne die unzähligen an die Stände der Intelligenz samt ihren Nachäffern gerichteten Kochbücher bereits der komplette Literaturbetrieb zusammengebrochen. Es gibt Kochkurse, die wesentlich teurer kommen als ein Jahresabonnement der Staatsoper. Dem Fortschritt verbundene Theater veranstalten - siehe Stuttgart - Reihen wie "Die Rampe kocht". Und selbst das sonst wertbeständige Musikmagazin "Rolling Stone" kürt Meisterköche hemmungslos zu den "wahren Popstars".

Der Intellektuelle von heute definiert sich ausschließlich über die Fresskultur. Früher hätte es genügt, sich mit dem Besuch von Peter Steins opulenter "Faust"-Inszenierung, mit der Hinwendung zu Clint Eastwoods karger Erzählkunst in "Erbarmungslos" oder dem dezenten Hinweis auf die Beherrschung der barocken Altflöte als halbwegs zivilisierter Mensch auszuweisen. Heute muss jeder wissen, wie eine schwäbisch-hällische Bio-Sau fachgerecht zerlegt wird, ehe sie nach ihrer letzten Olivenölung zum Erhalt der Hochkultur mit Basilikum einbalsamiert wird.

Ich jedenfalls kenne so gut wie keinen Intellektuellen mehr in meiner Umgebung, der nicht kochen kann oder zumindest nicht so tut und deshalb pausenlos darüber spricht. Unter Intellektuellen wird weit mehr Wirbel um die Zartheit einer Schweinelende gemacht als um die erschlaffte eigene. Der Koch, eine Art Mackie Messer („Und die Fische, sie verschwinden") des letzten intellektuellen Abenteuers, taugt selbstverständlich auch als literarischer Held, gelegentlich sogar die Köchin. Hat sich der New Yorker Gourmet-Anarcho Anthony Bourdain (,,Geständnisse eines Küchenchefs") einst als Pirat der sieben Meeresfrüchte geoutet, ließen Romanautoren wie Jonathan Franzen ("Die Korrekturen") oder Philip Kerr ("Der Coup") forsche Küchen-Mädchen an die Front.

Bei Franzen verstrickt sich die Sauerkraut-Koryphäe Denise in wilden Männer- und Frauenaffären, bei Kerr entmannt die Fisch-Fachfrau Eve ihren liebestollen Gatten beinahe mit der Krebsschere. Solch raffiniert komponierte Unterhaltungsmenüs wirken fast schon besänftigend bei heftigem Sodbrennen angesichts des Kochwahns. Man darf das trotzdem nicht laut sagen, ohne als Banause und Fast-Food-Proll abgestraft zu werden.

Ich allerdings zweifle beim Anblick von Männern, die an Gourmet-Tischen unter Kronleuchtern dickbauchige Rotweingläser um ihre Nasenlöcher rotieren lassen, am Geisteszustand einstmals vernünftiger Nationen. Das sind ausgelutschte Figuren. Wären die Eliten des Feinschmecker-Booms bei anderen Gelegenheiten, beispielsweise im Management ihrer Unternehmen, mit nur annähernd guten Riechern ausgestattet, würden wir nicht täglich von Pleiten heimgesucht.

Andererseits tobt gerade in den Küchen der Sterne-Zünfte Tag für Tag und Abend für Abend ein Krieg, wie er so lautstark nur zu den Stoßzeiten der Wall Street geführt wird. Wer sich schon einmal als Spion in die Feuerzone eines Sterne-Restaurants gewagt hat, wird das Heavy-Metal-Getöse der Küchenschlacht sein Leben lang nicht vergessen. Auch nicht den armen Lehrling, der einsam im Keller kauert und Fische putzt - das ist deprimierender als Döner for one.

Schon deshalb halte ich es angesichts tonnenschwerer Ladungen Gammelfleisch in meinem versauten kulinarischen Dasein mit einem Spruch aus dem großartigen Killerfilm "Irgendwann in Mexiko": "Ein Mann, der nichts will, ist unbesiegbar." Wohl bekomm's.



(Diese Depesche ist ein Mix aus einem Flaneursalon-Text und einer meiner Kolumnen in den Stuttgarter Nachrichten.)

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