Bauers Depeschen


Dienstag, 04. Juli 2017, 1812. Depesche



 



DIE KUNGDEBUNG am Montagabend auf dem Marktplatz anlässlich des "Stuttgarter Immobilien-Dialogs", dem Treffen von Politik und Bauwirtschaft im Rathaus, war eine runde Sache: Der Platz gut gefüllt, aufbauende Stimmung, erhellende Beiträge zum Thema Mietexplosion, Abrisswahn und Wohnungsnot ...



TERMINE

DONNERSTAG, 20. JULI: VON WEGEN NIEDLICH

Ein Abend zu Ehren des Buchhändlers Wendelin Niedlich, der am 31. August seinen 90. Geburtstag feiert. Stadtbibliothek am Mailänder Platz, 19.30 Uhr. Mit Wolfgang Dauner, Friederike Roth, Jan Peter Tripp, Joe Bauer, Hans Peter Breuer, Günter Guben & Hermann Lenz, Georg Dietl, Ekkehard Rössle & Peter Grohmann. - Organisation: Wolfgang Kiwus. Anmeldung bei der Stadtbibliothek unter Tel. 0711/21691100 oder 0711/21696527.



MONTAG, 24. JULI:

Spezielle Montagsdemo der S-21-Gegner zusammen mit anderen politischen Initiativen: "Druck in den Kessel - Für ein anderes Stuttgart". Mit Winfried Wolf (Buchautor), Jürgen Resch (Deutsche Umwelthilfe), Sarah Händel (Mehr Demokratie), Angelika Linckh (Robin Wood), Hannes Rockenbauch (Stadtrat). Moderation Sidar Carman & Joe Bauer. Schlossplatz, 18 Uhr.



MITTWOCH, 26. Juli

Ein kleiner Erinnerungsabend zum 80. Todestag der Stuttgarter Kriegsfotografin Gerda Taro. Gerda-Taro-Platz, 18 Uhr. Es sprechen die Taro-Biografin Irme Schaber, der Historiker Michael Uhl und unsereins. Musik zum Thema macht STEFAN HISS.



Hört die Signale!

MUSIK ZUM TAG

Die aktuelle StN-Kolumne:



EINE STRAẞE ERZÄHLT (das ẞ, weil man jeden Schwachsinn mal testen muss)

Als neulich Berliner Polizeitrupps beim Hamburger G20-Einsatz auf einer Lagerkollerparty ihre Variante des Bullenreitens vorführten, mahnte sie ein Berliner Grünen-Abgeordneter, gefälligst „professioneller mit Langeweile umzugehen“. Diese für Politiker typische Feinwäscheformulierung muss ich mir merken, handelt es sich doch um eine zeitgenössische Weiterführung der Lebensweisheit „Müßiggang ist aller Laster Anfang“. Dieses unsinnige Sprichwort ­haben einst die Spontis zu Recht korrigiert: „Die Stoßstange ist aller Laster Anfang.“ Dieser Spruch wiederum fällt mir ein, wenn ich auf meinen Müßiggangsitzpausen vor einem Lokal an der Bolzstraße den Autos hinterherschaue.

Die Filme in den ehrbaren Nachbarkinos können unmöglich schuld sein an der Dummheit rücksichtsloser Autofahrer, die sich in der Bolzstraße ausbreitet. An dieser Innenstadtecke begegnet man einem Umgang mit der Langeweile, gegen den jede anarchische Polizistenorgie als professionelle Erotikshow kreativer Strammsteher durchgehen muss. In der Bolzstraße führen Testosterontäter ihre PS-Schleudern vor, auf der Piste am Königsbau gehören fette SUV- und Pick-up-Exemplare zum guten Ton krachender Auspufffürze.

Mich stört das nicht, weil ich weiß, dass in der Nähe im Landtag und im Rathaus Tag und Nacht an „Luftreinhaltetagen“ und „Flaniermeilen“ gearbeitet wird. Jedenfalls in den Phasen, in denen nicht eine der vielen AfD-Koryphäen mit Einwürfen wie „Keine Islamisierung des Diesels!“ oder „Parkverbot für Burkas!“ die Verkehrspolitikdebatte auf die richtige Spur bringt (beide Zitate stammen aus meinem Fundus der kommunistischen Lügenpresse).

Die AfD hält in den Parlamenten mit großem Geschick nervende Die-Platte-hängt-Manöver ab, um jedes noch so weit entfernte Thema mit ihrer immer gleichen Propaganda zu lähmen. „Ehe für alle, während das Land islamisiert wird?“, warnt auf Plakaten die Spitzenkandidatin Alice Weidel, während sie als bekennende Lesbe zwei Söhne mit ihrer Partnerin großzieht.

Schuld an meinen Gedankenspielen haben mehrere Kneipensitzungen in der Bolzstraße. Für einen professionellen Umgang mit der Langweile reicht es einfach nicht, mich immer nur an aufgemotzten Autos aufzugeilen. Deshalb schaue ich zur Abwechslung auch mal in Richtung Landtag oder hinter mich, wo einst Stuttgarts erster Bahnhof stand. Die Bolzstraße war früher ein Teil der heutigen Schlossstraße, gleich nach dem Zweiten Krieg hat man sie umbenannt. Der konservative Zentrumspolitiker Eugen Bolz war von 1928 bis 1933 Württembergs Staatspräsident. Die Nazis sperrten ihn im Juni 1933 mehrere Wochen auf dem Hohenasperg ein. 1942 schloss er sich dem Widerstandskreis Carl Friedrich Goerdelers an und erklärte sich trotz heftiger Bedenken gegen das geplante Hitler­Attentat vom 20. Juli 1944 bereit, danach einer neuen Regierung beizutreten. Am 12. August 1944 wurde er verhaftet, zum Tode verurteilt und am 23. Januar 1945 in Berlin-Plötzensee mit dem Fallbeil ermordet.

Am Königsbau in der Bolzstraße steht für ihn ein Mahnmal des Künstlers Alfred Hrdlicka, einem linken österreichischen Bildhauer, der bis 1986 viele Jahre als Professor an der Stuttgarter Kunstakademie gelehrt hat. Ich erinnere mich, wie er mir einst mit rustikalem Wiener Humor beigebracht hat, was ein „Workaholic“ ist – einer wie er. 2009 ist er in Wien gestorben. Drei seiner Skulpturen, darunter mein Lieblingsobjekt „Hommage à Sonny Liston“, findet man am Karlsplatz vor dem Alten Schloss, leider ohne jede Beschriftung.

Damit sind wir wieder mal mitten in der Stadtgeschichte. Die Bolzstraße hat viel zu erzählen, etwa von den großen Tagen des Hotels Marquardt. Dieses noble Haus, 1857 eröffnet, war einst so berühmt, dass noch lange nach dem Ende des Hotels und Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg Zimmerbestellungen aus der ganzen Welt in Stuttgart eintrafen. Die Liste berühmter Gäste reicht von Franz Liszt und dem mittellosen Dauermieter Richard Wagner über Karl May und Rudolf Steiner bis zu Max Schmeling. 1944 trafen die Bomben der Alliierten das Gebäude. Nach dem Krieg standen nur noch die Außenmauern. Der Architekt Eugen Mertz baute das Haus wieder auf. Sein Sohn Eberhard Mertz, langjähriger Chef der EM-Filmtheater, hat mir viele Marquardt-Geschichten erzählt. 2013 ist er mit 79 Jahren gestorben.

Und jetzt weiter zum ehemaligen Bahnhof auf dem Gelände der heutigen Kinos. 1846 als hölzerne Halle mit vier Gleisen erbaut, war der einige Jahre später erstellte Bahnhof bis 1922 in Betrieb. Ein großes Schwarzweiß-Foto des alten Bahnhofs ist heute als Wanddekoration im Eingang des italienischen Restaurants Senzanome an der Ecke Lautenschlager-/Bolzstraße zu sehen – und originale Metallpfeiler stehen im oberen Stock des Restaurants 5 neben den Kinos.

Weil ich neulich in meiner Kolumne von dem Schriftsteller Wilhelm Raabe erzählt habe, fällt mir noch eine Geschichte zum alten Bahnhof ein. Raabe, etliche Jahre in Stuttgart zu Hause, war befreundet mit Albert Dulk, einem Dichter und Revolutionär mit der sexuellen Lebensart eines Hippies. 1819 in Königsberg geboren, lebte er lange in Stuttgart und Umgebung. In Esslingen gibt es bis heute die Gaststätte Dulkhäusle, in Untertürkheim die Dulkstraße. Am 17. Juli 1865 durchschwamm er, kräftiges Mitglied des Männerturnvereins, als erster Mann den Bodensee zwischen Romanshorn und Friedrichshafen – in sechseinhalb Stunden. Am 29. Oktober 1884 starb der Freidenker an Herzversagen – womöglich mit dunkler Weitsicht – im Stuttgarter Bahnhof. Der Trauerzug durch die Stadt geriet zur größten Demonstration der Arbeiterbewegung in der Ära des Bismarckschen Sozialistengesetzes. Ähnlichen Protest hat man erst wieder gegen Stuttgart 21 erlebt.

Von der Bolzstraße könnte man stundenlang erzählen, sobald beim Blick auf die unprofessionellen Langweiler in ihren stinkenden Kübeln die Gedanken flüchten.



 

Auswahl

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