Bauers Depeschen


Dienstag, 27. September 2016, 1680. Depesche



 



FLANEURSALON AUF DEM HOSPITALHOFPLATZ

Am Freitag, 7. Oktober, gibt es auf dem Neuen Hospitalhofplatz ein Fest. Diese Veranstaltung unterstützen wir mit dem Flaneursalon. Mit dabei sind das Duo Steve Bimamisa (g) & Thabile (voc) sowie der Rapper Toba Borke und der Beatboxer Pheel. Beginn 17 Uhr. - Am 3. November ist der Flaneursalon im Esslinger Kabarett der Galgenstricke. Mit dem Kabarettisten Rolf Miller als Spezialgast - Musik: Loisach Marci, Anja Binder & Jens-Peter Abele.



LIED DES TAGES



Die aktuelle StN-Kolumne:



KURZE REISE ZU PICASSO

Ungeplante oder spontane Ausflüge sind mir am liebsten. Ohne Plan läuft man zwar Gefahr, etwas zu verpassen, andererseits sind mehr Überraschungen drin. Eines Sonntags im September stieg ich in die Regionalbahn nach Schwäbisch Hall, um die Kunsthalle Würth zu besuchen. Die Galerie des Schrauben-Krösus zeigte damals „Picasso und Deutschland“. Erst unterwegs bekam ich mit, dass ich im Stadtteil Hessental umsteigen musste. Als ich an der Bahnstation ankam, kümmerte ich mich erst mal nicht um die Weiterfahrt: Nur 200 Meter entfernt liegt die KZ-Gedenkstätte Hessental. Ich hatte sie zuvor nie gesehen. Man plant eher Reisen nach Dachau oder Auschwitz als Besuche vor der Haustür.

Das KZ Hessental bestand von Sommer 1944 bis April 1945 als Außenlager des KZ Natzweiler-Struthof im Elsass. Über das Lager sind unzählige Grausamkeiten bekannt; berüchtigt der Hessentaler Todesmarsch zum Dachauer KZ-Außenlager Allach: 150 bis 200 Häftlinge kamen um. Mittäter im mörderischen Lagersystem der Nazis war die Reichsbahn: Noch vor wenigen Jahren führte ein Gleis auf das ehemalige KZ-Gelände.

Auf der Gedenkstätte – bis 2001 ein Schrottplatz – steht einer der Eisenbahnwagen, in denen die Nazis die KZ-Häftlinge, vorwiegend jüdische Menschen, transportierten: In den überfüllten, verplombten Viehwaggons gab es weder ausreichend Luft, noch Essen oder Wasser. Der Regisseur Oliver Storz hat 1995 in seinem Spielfilm „Drei Tage im April“ (u. a. mit Dieter Eppler, Walter Schultheiß) an eines dieser Verbrechen erinnert: an die Tragödie der 300 jüdischen Häftlinge 1945 in vier verschlossenen Waggons eines defekten, liegengebliebenen Zugs im Ilshofener Stadtteil Eckartshausen, Kreis Schwäbisch Hall. Die Häftlinge starben qualvoll. Der Film zeigt das Verhalten der Dorfbewohner im Angesicht des Verbrechens. Im Waggon von Hessental hängen Dokumente über Opfer und Täter. Das ganze Gelände ist eindrucksvoll gestaltet. Ich kann nur raten, diesen Ort der Erinnerung zu besuchen, vor allem jetzt, da sich wieder der Ungeist des „Völkischen“ ausbreitet.

Von Hessental fuhr ich im Bus nach Schwäbisch Hall mit seiner kümmerlichen Station hoch über dem Kocher. Es fiel mir nicht schwer, von den KZ-Dokumenten auf Picassos Bilder umzuschalten. Jeder kennt seine Friedenstaube, die er 1949 für den Pariser Weltfriedenskongress schuf. Erst vor Kurzem ging das Alte Schauspielhaus Stuttgart in Jeffrey Hatchers Stück „Ein Picasso“ mit Max Tidof in der Hauptrolle der Frage nach, ob und wie politisch der Künstler war. Es ist in diesem Zusammenhang banal, auf sein Werk „Guernica“, seine Antwort auf die Zerstörung der spanischen Stadt durch die Bomber der deutschen Legion Condor hinzuweisen – oder auf seine Mitgliedschaft in Frankreichs KP. Kämpferische Künstler wie John Heartfield und George Grosz hatten den jungen Kollegen einst auf seinem Weg zum Weltruhm als unpolitisch kritisiert. Der große Satiriker Grosz veräppelte ihn als „Pipencasserich, „Pipencasso“ und „Pipicasso“.

Berühmte jüdische Kunstvermittler in Deutschland hatten Picasso international bekannt gemacht, Männer wie Alfred Flechtheim, Daniel-Henry Kahnweiler, Justin Thannhauser. Und da ich gern Stuttgarter Spuren erwähne, noch so viel: Der legendäre Galerist und Kunsthistoriker Kahnweiler, 1884 in Mannheim geboren, wuchs von 1890 bis 1902 in Stuttgart auf und besuchte das Dillmann-Gymnasium. 1971 starb er in Paris. Die erste Picasso-Retrospektive präsentierte Thannhauser 1913 in seiner Modernen Galerie im Münchner Acropalais, danach wanderte die Ausstellung weiter nach Köln – und Stuttgart. Die Nazis verhöhnten Picasso später als den „Pinsel Israels“.

Dank einer guten Stuttgarter Einkaufspolitik nach dem Krieg ist Picasso heute in der Stuttgarter Staatsgalerie stark vertreten. Und da gibt es diese schöne Heimat-Anekdote, die ich loswerden muss: Als der berühmte amerikanische Kriegsreporter und Fotograf David Douglas Duncan – er arbeitete auch für Mercedes – 1957 seinen Freund Picasso in dessen Villa La California bei Cannes besuchte, hatte er einen Hund namens Lump bei sich; den Dackel hatte er kurz zuvor bei einer Familie in Stuttgart gekauft. Kaum angekommen, lief Duncans Dackel zu Picasso über – und blieb bei ihm. „Lump ist kein Hund“, sagte Picasso später. „Lump ist auch kein kleiner Mensch. Er ist etwas anderes. Er trägt unsere besten und schlechtesten Eigenschaften in sich.“ Zu den schlechteren gehörte wohl, dass der Stuttgarter Lump gelegentlich Picassos Werke anpisste oder auffraß. Darüber veröffentlichte Duncan – dieses Jahr wurde er 90 Jahre alt – einen Bildband: „Lump the Dog who ate a Picasso“. 1963 hatte der Fotograf eine spektakuläre Rettungsaktion für Lump gestartet: Mit seinem schwarzen Mercedes SL 300 Gullwing raste er nächtens nonstop von Cannes nach Stuttgart, um den gelähmten Dackel zu einem Tierarzt zu bringen. Lump wurde wieder gesund und lebte noch zehn Jahre. Am 29. März 1973 starb er – zehn Tage vor Picasso.

In der Kunsthalle Würth kaufte ich mir ein 1982 erschienenes Büchlein mit Picasso-Texten und fand darin einige Zeilen unter der Überschrift „Unsere Kultur“, die der Künstler selbst in Anführungszeichen ­gesetzt hat. Wäre uns „der wahre Wert des Wortes Kultur bekannt“, so Picasso, würden wir „kein solches Getue damit“ machen: Dann „hätten wir genug Kultur, um ihr keine so übermäßige Bedeutung beizumessen“. Er finde es „lächerlich, wenn wir ,unsere Kultur’ anderen aufdrängen wollen, wie wenn wir unsere Pommes frites einem Gast anpreisen und sie unseren Nachbarn aufdrängen, ohne uns darum zu kümmern, ob sie ihnen schmecken oder schlecht bekommen.“

Diese Sätze klingen verblüffend zeitgemäß.



 

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