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Dienstag, 30. August 2016, 1670. Depesche



 



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Die aktuelle StN-Kolumne:



LUFT

Wir haben nicht viele Möglichkeiten, die heißen Augusttage in dieser Stadt unversehrt zu überleben. Der Stuttgart-Kessel ist noch schlimmer als sonst mit Autoabgasen und dem Dreck einer vorgetäuschten Verkehrspolitik vergiftet. Das devote Umweltgepupse der Grünen, hin und wieder mit der heißen Luft einer Fahrradpumpe angereichert, taugt für eine Schmierenkomödie. Den Drehbuchstoff liefern die Peinlichkeiten bei der Diskussion über ein Fahrverbot in Stuttgart.

Bekanntlich war die Pressestelle des Landesverkehrsministers noch im Februar dieses Jahres mit den Worten zitiert worden: „Für Fahrverbote fehlt die Rechtsgrundlage. Da müsste der Bund erst die Blaue Plakette oder Ähnliches einführen.“ Drei Wochen später teilte der Bundesverkehrsminister dem Stuttgarter Kollegen mit, diese bei „Bild online“ aufgetauchte Aussage sei falsch. In diesem Schreiben gab er erst reichlich Paragraphen der Straßenverkehrsordnung zum Besten, um schließlich die Stuttgarter Landeier aufzuklären: „Sollte es also in Stuttgart infolge der meteorologischen Situation (Inversionswetterlage) kurzfristig unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zwingend geboten sein, bestimmte Verursacher im Straßenverkehr von der Einfahrt in das Stuttgarter Stadtgebiet auszuschließen, so stünde dafür im Bundesrecht bereits eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage zur Verfügung.“

Dieser Satz ist so schön, dass die Bundesregierung einer qualifizierten Textilfirma die „Ermächtigungsgrundlage“ erteilen sollte, mit diesem Wortlaut T-Shirts zu bedrucken. Die Hemden müssten flugs an „bestimmte Verursacher“ der Inversionswetterlage verteilt werden, um sie damit „von der Einfahrt in das Stuttgarter Stadtgebiet auszuschließen“.

Bei einer Inversionswetterlage handelt es sich laut Wikipedia um „eine Wetterlage, die durch eine Umkehr (lateinisch: inversio) des vertikalen Temperaturgradienten geprägt ist: Die oberen Luftschichten sind hierbei wärmer als die unteren.“ Damit ist klar: Da die oberen, wärmeren Luftschichten selbst beim Politiker vorzugsweise das Hirn einhüllen dürften, ist in Zukunft kaum mit einem kühlen Blick auf den „Verhältnismäßigkeitsgrundsatz“ bei der Kesselvergiftung zu rechnen. Wir werden in unserer Autostadt also weiterhin so verzweifelt um den letzten Sauerstoff kämpfen wie Mad Max um Benzin, bis wir den oberen Luftschichten und politischen Windeiern durch unsere Tieferlegung auf dem Friedhof entkommen.

Der Herr Landesminister schrieb dem Herrn Bundesminister übrigens im April zurück, die „aus der Presse zitierte Äußerung aus meinem Haus“ sei „verkürzt wiedergegeben worden und vermischte in dieser Form mehrere Sachverhalte“. Dieses Schreiben („Lieber Herr Dobrindt“) ging über fünf Seiten, fand aber anscheinend nie den Weg ins Haus des lieben Kollegen grüner Oberbürgermeister. Am 22. August, als die oberen Luftschichten im Kessel schon bedrohlich wärmer waren als die unteren, leitete die Rathausfraktion SÖS/Linke/Plus den Briefwechsel schließlich an den OB weiter. Die Kopien hatte sie auf Anfrage vom Landesministerium erhalten. Fünf Tage zuvor schon hatten Journalisten über den meteorologischen Dialog der Minister berichtet. Der OB stand da aufgrund seiner vielleicht parteiklimatisch bedingten Stellung in der unteren Luftschicht noch im Schatten des Geschehens – und wollte nichts dazu sagen.

Bei Kinkerlitzchen wie der Luft zum Atmen ist auch kaum mit einem Machtwort unseres Landesgottvaters zu rechnen. Kretschmann prüft ja gerade die obersten Luftschichten in den Gefilden der wärmenden Macht. Er muss erst schauen, wie er die Ermächtigungsgrundlagen für eine Berliner Regierungskoalition mit Schwarzen und Grünen herstellt und nebenbei die philosophischen Verhältnismäßigkeitsgrundsätze für das Bundespräsidentenamt formuliert.

Zurzeit liest er fleißig Homer, ist also als Parteistratege vor den Fallen inzestuöser Irrfahrten gewarnt. Der „Spiegel“ widmete ihm diese Woche eine Hommage mit der Zeile „Der nette Herr Kretschmann, ein knallharter Machtpolitiker“. Darin klärt uns der grüne Superstar schon mal mit altgriechischem Know-how über die politische Erotik des Koalierens auf: „Wissen Sie, welchen Ausdruck Homer für Sex gehabt hat?“ – „Sie vermischen sich.“

Homers Definition des Kopulierens widerlegt mein Vorurteil, „vermischen“ könnten sich beim Verkehr nur „mehrere Sachverhalte“ – wie im erwähnten Brief des Landes- an den Bundesminister. Erregt freue ich mich schon mal auf die sinnliche Chemie zwischen Merkel und Kretschmann, Künast und Schäuble, von der Leyen und Trittin.

Amüsant im Kretschmann-Porträt ist auch der „Spiegel“-Satz: „Das Insektensterben treibt ihn jedenfalls deutlich mehr um als die Armut im Lande.“ Diese Haltung lässt angesichts der rigorosen Marketing-Politik des Ministerpräsidenten zwar nicht unbedingt den Schluss zu, bei der nächsten Wahl würden mehr Honigbienen als Besitzlose die Grünen ankreuzen. Entschieden mehr Stimmen aber holt sich Kretschmann fraglos bei den Liebhabern von Feuerwanzen, Blattläusen und Blauflügellibellen als bei den Kämpfern gegen Hartz IV, Wohnungsnot und Stadtverpestung.

Damit rate ich allen Geschundenen, den letzten Tagen dieses Hochsommers gelassen entgegen zusehen. Bei der herrschenden Politik in dieser Stadt wird uns eher das Atmen als das Autofahren verboten werden. So bleibt den Parteikarrieristen noch genug Luft nach oben.

 

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