Bauers Depeschen


Freitag, 01. April 2016, 1609. Depesche



DAS BASIS-FEST

Freunde der Stuttgarter Altstadt und DGB-Leute veranstalten am Samstag, 16. April, das 1. BASIS-Fest. Das Basis ist ein kleines Beratungszentrum des DGB in den ehemaligen Räumen des legendären Café Schmälzle im Leonhardsviertel, Hauptstätter Straße 41. Das Fest ist als Tag der Begegnung und als kleine Hommage an die Altstadt gedacht. Es gibt gutes Essen, Getränke - und ein Programm. Michael Dikizeyeko & Steve Bimamisa spielen afrikanische Songs. Mitglieder des Vesperkirchen-Chors rahmenlos & frei singen ihre schönsten Lieder. DGB-Mitarbeiter stellen das Basis vor, unsereins liest Texte über die Altstadt vor. Der Fotograf Jim Zimmermann stellt Bilder aus. Alle sind herzlich willkommen. Das Basis-Fest beginnt um 16 Uhr. Eintritt frei.



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LIED DES TAGES



Die aktuelle StN-Kolumne:  



GUTEN MORGEN, OSTHEIM

Mein treuester Helfer bei der Suche nach Stoff aus der Stadt heißt Zufall. Auf diesen Kerl ist Verlass.

Weil Ostern war und Novemberwetter, saß ich in meiner Bude zwischen Schallplatten, Büchern und Zeitschriften herum, bis ich an einem unlängst erschienenen Roman hängen blieb: „Der Fall Meursault – eine Gegendarstellung“. Der algerische Autor Kamel Daoud erzählt darin mit berauschend-präzisem Sound aus der Bruder-Perspektive die Geschichte des namens- und gesichtslosen Arabers, der in Albert Camus’ Roman „Der Fremde“ ermordet wird. Camus’ Zufallstäter ist der Müßiggänger Meursault. In einer Bar erzählt Haroun, der Bruder des Ermordeten, der in Kamel Daouds Buch Moussa heißt, einem Saufkumpan eine Geschichte voller Zorn: „Haha! Was willst du trinken? Hier serviert man den besten Alkohol nur nach dem Tod, nicht vorher. So will es die Religion . . .“

Tags darauf lande ich im Delphi in der Tübinger Straße und schaue mir „Rock the Kasbah“ an, eine von der Kritik verrissene Kriegskomödie des US-Regisseurs Barry Levinson („Wag the Dog“) mit Bill Murray als abgehalftertem Rock-Manager. Erneut bin ich unter Arabern, diesmal in Afghanistan, und meinetwegen kann die Kritik die ganze Welt verreißen: Wenn die von allem Irdischen entrückte Verlierervisage Bill Murrays die Leinwand füllt, ist das ein Fest fürs Leben. Da mag Bruce Willis noch so großkalibrig herumballern und uns Kate Hudson als heilige Hure den Spaß am Sex verderben. Der Film erzählt ein Popstar-Märchen. Und selbst noch in den schlechtesten Szenen, etwa wenn Bill Murray am Terroristen-Lagerfeuer „Smoke On The Water“ singt, erfüllt den Zuschauer das vollkommene Glück, sich einen bleibenden Dachschaden zu holen. Zwar hat der Film längst nicht mehr die humoristische Radikalität von Barry Levinsons Meisterwerk „Good Morning, Vietnam“. Inzwischen aber sind fast 30 Jahre vergangen und nicht ausgerechnet die Komiker radikaler geworden.

Kaum aus Algier in Kabul angekommen, das Kopftuch noch nicht richtig umgebunden, stehe ich schon anderntags in der Turnhalle der Stuttgarter Raichberg-Realschule und denke, ich bin in Babylon: „Good Morning, Ostheim“. Warum genau ich in Ostheim bin, weiß ich bei meiner Ankunft am Morgen noch nicht. Werde es früh genug erfahren.

Als Müßiggänger ohne nennenswerte Mordlust habe ich in der Vergangenheit hin und wieder in der Ostheimer Turnhalle in der Nähe des Leo-Vetter-Bads vorbeigeschaut. Im Oktober vergangenen Jahres waren die ersten arabischen Flüchtlinge in der Notunterkunft angekommen, 110 Menschen, die meisten aus Syrien. Diese Leute hat die Stadtverwaltung inzwischen in Systembauten und in guten Sozialwohnungen einquartiert; die Kinder wurden eingeschult. Schon im Februar kamen 110 neue Geflüchtete in der Turn­halle an, hauptsächlich Männer, auch etliche junge Frauen und Kinder, die meisten wieder aus Syrien.

Maja, geborene Kroatin, und Fatima, geborene Argentinierin, arbeiten mit vielen anderen im Freundeskreis Ost als freiwillige Helferinnen. Neulich habe ich gefragt, ob ich mal wieder vorbeischauen könne, und als mir Maja ein Datum mit Uhrzeit nannte, habe ich nicht an einen Nebenjob gedacht.

Es ist Viertel vor zehn, einer der Security-Männer am Eingang bringt mich in ein kleines Büro im ersten Stock, wo auch die mit dünnen Stellwänden hergerichteten Notunterkünfte der Geflüchteten sind. In dem Büro treffen junge Männer und Frauen ein. „Ahlan wa sahlan“. „Herzlich willkommen“. Ich fühle mich wie in einer Ballett-Garderobe mit 18 Tänzern aus 20 Nationen: Bienenstock, Sprachgewirr, Durcheinander. Ein vitaler Reigen, der einen schnell dazu verleitet, ungehemmt mit Händen und Füßen zu sprechen und Faxen zu machen wie ein Bühnenaffe. Ein solches Treiben ist komisch, buchstäblich. In diesem kulturellen Mischmasch vergisst man, wer Ausländer oder Einheimischer oder sonst was ist.

Man muss es mir glauben, so wahr mancherorts guter Alkohol erst nach dem Tod serviert wird: In dem Turnhallenbüro fühle ich mich nicht als Einheimischer, ich bin Fremder unter Fremden, zufällig da. Neugierig, wie wir das Fremdensein ablegen werden. Ehrgeizig, rasch herausfinden, wie wir uns verständlich machen können. Englisch hilft nur bedingt. Schwäbisch klingt zwar so wie Arabisch, versteht aber niemand. Am wichtigsten sind Fingerzeichen, Grimassen, im größten Notfall das Taschentelefon mit eingebautem Lexikon.

Die Männer und Frauen holen im Büro ihre Bücher für ihre bevorstehenden Deutschkurse ab. Pro Kopf zahlen sie dafür fünf Euro von ihren monatlich 150 Euro Taschengeld. Mit diesem symbolischen Preis will man ihnen sagen, dass das Leben in Deutschland nicht gratis ist. Wenige Minuten später bin ich zwangsverpflichtet – und stehe erstmals in meinem Leben als Deutschlehrer vor einer der Tafeln, die ich als Schüler gehasst habe. Da noch weitere Helfer für den Sprachunterricht gesucht werden, werde ich da so leicht nicht rauskommen und bald wieder antanzen. So ist das globale Leben: Rock the Raichberg.

Wir gehen in das benachbarte SSB-Depot; die Schulungsräume in diesem Gebäude sind ein Glücksfall. Zunächst bin ich noch Hilfslehrer, assistiere dem schon erfahrenen Rentner Wolfgang, der früher Zahnarzt war. Erste Aufgabe: Die Männer im Raum müssen einen in Deutsch getexteten Fragebogen ausfüllen zum Thema: „Das bin ich“ (wer weiß das schon?). Wir müssen Omran, Ziad, Ahmad und den anderen erklären, was gemeint ist, wenn sie auf dem Papier Zeilen ankreuzen sollen wie: „Ich bin allein in Deutschland“ – „Ich bin zusammen mit . . .“ – Unsereins stellt sich einsam in eine Ecke und ruft: Ey, Mann, SOLO, SINGLE, versteht du? Dann lege ich den Arm um Wolfgangs Schulter: Ey, NICHT allein, ZUSAMMEN . . . Familie, Mama, Papa. Ah, ruft einer: KOMPLETT.

Genau, sage ich im Ton des Siegers und schaue aus der Wäsche wie Bill Murray, wenn er behauptet, er habe den Superstar Madonna erfunden.



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