Bauers Depeschen


Donnerstag, 03. September 2015, 1516. Depesche



 



LIEBE GÄSTE,

bis zu meiner Buch-Vorstellung bei unserem Flaneursalon sind es nur noch sechs Wochen, und natürlich freue ich mich, wenn der Vorverkauf in Schwung kommt. Es tritt noch mal eine außerordentliche Besetzung an, auch deshalb, weil ich solche größeren Shows im nächsten Jahr nicht mehr machen kann. Der Flaneursalon am Fluss im vergangenen Juli war schon ein teurer Spaß - allerdings auch ein Neckar-Vergnügen mit schöner Atmosphäre. Möchte ich nicht missen.

Diesmal also - am Sonntag, 18. Oktober im Theaterhaus - der Flaneursalon mit der Kabarettistin Christine Prayon, dem Musiker, Erzähler & Koch Vincent Klink samt Band, dem Tänzer & Musiker Eric Gauthier mit seinem Gitarristen Jens-Peter Abele, der vielseitigen Sängerin Eva Leticia Padilla im Trio und dem virtuosen Rapper Toba Borke mit dem Beatboxer Pheel. Unsereins gibt ein paar Kostproben aus dem Buch - es geht um einen unterhaltsamen, humorvollen Abend, eine kleine Stadt-Revue, die mit Liedern und Geschichten etwas über die Buntheit, die Abgründe und die Schönheiten Stuttgarts erzählt. Und man wird den Rhythmus klackender Absätze spüren: "In Stiefeln durch Stuttgart - zwischen Komakäufern und Rebellen" heißt der neue Kolumnen-Band; er erscheint in der Edition Tiamat, Berlin.

KARTEN: THEATERHAUS - Telefon: 0711/4020-720.



Der Klick zum

LIED DES TAGES



Die aktuelle StN-Kolumne:



HIRSCHGEWEIH

Es war der 1. September und Zeit, nach den Kastanien zu sehen. Meine erste, trotz eines Stiefeltritts gegen die Schale heil gebliebene Kastanie, steckte ich auf dem Karlsplatz in die Tasche. Es regnete heftig, und die Hundertschaft am Mahnmal gegen den Faschismus tat mir leid. Die Leute trafen sich zur Antikriegskundgebung des DGB. Am 1. September 1939 hat die deutsche Wehrmacht Polen überfallen, der Zweite Weltkrieg begann. Die Medien in diesen Tagen quellen über von Berichten über Geflüchtete und Vertriebene. Was aber die Kriege und (deutschen) Waffenlieferungen mit diesen Dramen zu tun haben, wird weniger beachtet als der widerliche Einwurf, das Taschengeld für die zu uns geflüchteten Menschen sei zu hoch.

Wenn der Herbst kommt, gehe ich immer zum Karlsplatz, so wie ich zum Marienplatz aufbreche, wenn der Frühling naht. Ein Herumstiefler hat seine Marotten, und so kommt es vor, dass ich bei Wind und Regen die Straßenbahn nach Muckensturm nehme, nur weil ich diesen Namen bei Sauwetter sehr passend finde. Mit der Linie 2 erreicht man den Cannstatter Stadtteil Muckensturm an den Haltestellen Hauptfriedhof und Steinhaldenfeld, und darüber wird irgendwann später zu berichten sein.

Die ersten Karlsplatz-Kastanien erinnern mich immer an den Schwarzen Donnerstag. Am 30. September ist es fünf Jahre her, dass eine außer Kontrolle geratene Polizei-Armee mit Wasserwerfern und Pfefferspray Demonstranten gegen Stuttgart 21 niedermachte. Schnell verwandelten sich in den Medienberichten Kastanien in Pflastersteine, und diese Symbolik wird bleiben.

Im Landtag arbeitet noch immer der Schlossgarten-Ausschuss den Schwarzen Donnerstag auf. Zurzeit streitet man über die Auswertung der E-Mails einer gewissen Tanja Gönner, einst Verkehrsministerin, heute Chefin der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit. Ihre Auftritte waren wie ein Muckensturm: ländlich, windig, aufgeblasen.

Seit dem Schwarzen Donnerstag hat sich das Stadtbild gewaltig verändert – auch wenn im Rathaus weiterhin hartnäckig behauptet wird, bei Stuttgart 21 gehe es um einen „Tiefbahnhof“. Dabei spielt die geplante DB-Haltestelle innerhalb des Großmannssuchtprojekts S 21 eine kleinere Rolle als der Paternoster im Rathaus. Den lustigsten Satz über das neue, von Investoren-­Bauten verhunzte Stuttgart hat der Finanzbürgermeister Föll im Mai beim Richtfest des Luxuskastens Cloud No. 7 im Europaviertel abgesondert: „Das ist ein stolzer Tag für die Stadt. Dieses Projekt ist ein Symbol dafür, was in Stuttgart möglich ist.“

Ungeachtet der Tatsache, dass megateure Immobilien überall möglich sind, wo Bürgermeister und Investoren gemeinsam um die Häuser ziehen, erfreut sich unsereins als passionierter Wolkenschieber am Namen des Baus: „Cloud No. 7“ spielt angeblich auf das Bauareal Nummer 7 an. Allerdings heißt unsere deutsche „Wolke sieben“, die Metapher für Gefühlsstürme, im Englischen immer nur „Cloud Number Nine“ oder „Cloud Nine“ (wie etwa die Platten von The Temptations und George Harrison).

Die „Wolke 9“ wiederum hat 2008 auch in unserer Kultur Eingang gefunden: als Titel eines tragikomischen Spielfilms über reuelosen Sex zwischen rüstigen Senioren. Näheres über dieses Gerontologie-Drama weiß sein Filmproduzent: Peter Rommel, gebürtiger Stuttgarter im Berliner Exil.

Dass in Stuttgart womöglich alles möglich ist, zeigt ein anderes Kapitel aus dem lustigen Zocker-Leben: Über der Bar Bergamo beim Hans-im-Glück-Brunnen will der Braunschweiger Likörabfüller Jägermeister Studenten eine Wohnung unter der Bedingung überlassen, als „Markenbotschafter“ aufzutreten. Zu Deutsch: Gegen freie Logis und reichlich Gratis-Gesöff sollen sie Reklame für das alkoholische Kräutergebräu machen.

Eine erregende Idee: Ein halbes Dutzend BWL-Freaks tätowieren sich das Likör­-Logo, den Hirschkopf mit Kreuz, als späte Hommage an das Arschgeweih auf den Po, strecken jeden Abend unter dem Jubel der Passanten ihre Hinterbacken zum Wohnungsfenster hinaus und intonieren dazu den Wolke-sieben-Song der Tote Hosen. Auszug: „Zehn kleine Jägermeister rauchten einen Joint / den einen hat es umgehaun, da waren’s nur noch neun. / Neun kleine Jägermeister wollten gerne erben, damit es was zu erben gab, musste einer sterben … / Fünf kleine Jägermeister ­wurden kontrolliert, / ein Polizist nahm’s zu genau, da warn sie noch zu viert ... / Zwei kleine Jäger­meister baten um Asyl, / einer wurde ­angenommen, der andere war zu viel … “

Um diese Werbung in der Stadt zu pushen, empfiehlt sich die Umbenennung einiger Rathaus-Jobs: Neben dem Oberjägermeister und dem Finanzjägermeister bietet sich vor allem der Titel ­Krankenhausjägermeister an – Amtsträger Wölfle, einst mittendrin im Kastanienkrieg am Schwarzen Donnerstag, hätte so einen starken Förderer seiner heutigen Lebensaufgabe: Als Schutzherr des Rathaus-Fahrstuhls wäre ihm freier Flaschen-Nachschub für weitere Paternoster-Partys sicher.



BEITRÄGE schreiben im LESERSALON



FRIENDLY FIRE:

NACHDENKSEITEN

INDYMEDIA LINKS UNTEN

BLICK NACH RECHTS

INDYMEDIA

STÖRUNGSMELDER

FlUEGEL TV

RAILOMOTIVE

EDITION TIAMAT BERLIN

Bittermanns Fußball-Kolumne Blutgrätsche

VINCENT KLINK

KESSEL.TV

GLANZ & ELEND





 

Auswahl

27.08.2022

24.08.2022

22.08.2022
17.08.2022

14.08.2022

10.08.2022
07.08.2022

06.08.2022


Depeschen 2281 - 2310

Depeschen 2251 - 2280

Depeschen 2221 - 2250

Depeschen 2191 - 2220

Depeschen 2161 - 2190

Depeschen 2131 - 2160

Depeschen 2101 - 2130

Depeschen 2071 - 2100

Depeschen 2041 - 2070

Depeschen 2011 - 2040

Depeschen 1981 - 2010

Depeschen 1951 - 1980

Depeschen 1921 - 1950

Depeschen 1891 - 1920

Depeschen 1861 - 1890

Depeschen 1831 - 1860

Depeschen 1801 - 1830

Depeschen 1771 - 1800

Depeschen 1741 - 1770

Depeschen 1711 - 1740

Depeschen 1681 - 1710

Depeschen 1651 - 1680

Depeschen 1621 - 1650

Depeschen 1591 - 1620

Depeschen 1561 - 1590

Depeschen 1531 - 1560

Depeschen 1501 - 1530

Depeschen 1471 - 1500

Depeschen 1441 - 1470

Depeschen 1411 - 1440

Depeschen 1381 - 1410

Depeschen 1351 - 1380

Depeschen 1321 - 1350

Depeschen 1291 - 1320

Depeschen 1261 - 1290

Depeschen 1231 - 1260

Depeschen 1201 - 1230

Depeschen 1171 - 1200

Depeschen 1141 - 1170

Depeschen 1111 - 1140

Depeschen 1081 - 1110

Depeschen 1051 - 1080

Depeschen 1021 - 1050

Depeschen 991 - 1020

Depeschen 961 - 990

Depeschen 931 - 960

Depeschen 901 - 930

Depeschen 871 - 900

Depeschen 841 - 870

Depeschen 811 - 840

Depeschen 781 - 810

Depeschen 751 - 780

Depeschen 721 - 750

Depeschen 691 - 720

Depeschen 661 - 690

Depeschen 631 - 660

Depeschen 601 - 630

Depeschen 571 - 600

Depeschen 541 - 570

Depeschen 511 - 540

Depeschen 481 - 510

Depeschen 451 - 480

Depeschen 421 - 450

Depeschen 391 - 420

Depeschen 361 - 390

Depeschen 331 - 360

Depeschen 301 - 330

Depeschen 271 - 300

Depeschen 241 - 270

Depeschen 211 - 240

Depeschen 181 - 210

Depeschen 151 - 180

Depeschen 121 - 150

Depeschen 91 - 120

Depeschen 61 - 90

Depeschen 31 - 60

Depeschen 1 - 30




© 2007-2024 AD1 media ·