Bauers Depeschen


Dienstag, 25. August 2015, 1511. Depesche



 



JOE BAUERS FLANEURSALON am Sonntag, 18. Oktober, im Theaterhaus. Dazu die Buch-Präsentation: "In Stiefeln durch Stuttgart". Mit Eric Gauthier, Vincent Klink, Eva Leticia Padilla, Toba Borke & Pheel. Durch den Abend führt Christine Prayon. 19:30 Uhr.

Vorverkauf: THEATERHAUS - Kartentelefon: 07 11/4020-720.





LIEBE GÄSTE,

mit sind da ein paar Gedanken durch den Kopf geschwirrt, erst als eher private Sache, irgendwas zu tun. Dann dachte ich mir: Warum soll das Ganze wieder nur ein paar No-Budget-Wurstler und ihren Anhang angehen? Deshalb hier ein Versuch:



Die aktuelle StN-Kolumne:



Der Klick zum

LIED DES TAGES



EIN FEST FÜR FREMDE

Die Welt verändert sich, instinktiv gehe ich wachsamer durch die Stadt. Achte mehr als sonst auf Graffiti an den Hauswänden. Ins Schaufenster des Ostheimer Stadtteilzentrums Gasparitsch in der Rotenbergstraße, benannt nach dem Stuttgarter Antifaschisten Hans Gasparitsch, haben Unbekannte ein übles Zeichen geritzt. Eine Rune? Die erste Beschädigung des Ladens seit der Eröffnung im Herbst 2014. Vielleicht auch eine Kleinigkeit. Alltag.

Der Oberbürgermeister hat gesagt, er müsse uns auf „schwierigere Zeiten“ vorbereiten. Wir müssten „gemeinsam enger zusammenstehen“. Die Prophezeiung „schwierigere Zeiten“ würde bedeuten, dass wir in Stuttgart schon jetzt in einer „schwierigen“ Situation leben. Für einen Teil der Menschen trifft das zu, über die aber reden wir kaum: Erwerbslose, Arme. Der OB dachte wohl, „schwierigere Zeiten“ klinge milder als „schwierige“. „Etwas Größeres“ klingt ja auch harmloser als „etwas Großes“.

Es läge nahe, die Sätze des Oberbürgermeisters als Floskeln abzutun. Und es wäre falsch. Die Vorstellung, dass die Menschen in einer Stadt zusammenstehen, mag etwas Idealistisches haben. Gleichzeitig ist sie reizvoll, und aufregend – zumal die herrschende Politik heute jeden Gedanken an eine von der Wirklichkeit abweichende Möglichkeit als „wertlos“, „unprofessionell“ oder „gestrig“ abstempelt. Der OB hat von Menschen geredet, die aus ihrer Heimat flüchten und zu uns kommen. Über die Gründe ihrer Flucht zu urteilen, steht mir nicht zu. Das Gerede über die Fluchtmotive ist mir angesichts der Kriege und des Elends zuwider. Wenn einer erfolglos einen Asylantrag stellt, gilt er als „Asyl­betrüger“. Vielleicht haben Sie mal erfolglos einen Antrag auf eine Kur gestellt. Sind Sie dann ein „Krankenkassenbetrüger“?

Anfang der neunziger Jahre war ich mal als Transporthelfer in Gebieten des Bosnienkriegs. Wir brachten Medikamente und Geld. Eine Gruppe von Frauen sagte uns, sie bräuchten dringend gute Strumpfhosen und Kosmetika. Ich fragte, ob es zurzeit nichts Wichtigeres gäbe. Eine von ihnen sagte: „Gerade jetzt müssen wir unsere Würde und unseren Stolz zeigen. Wir wollen uns schön machen und tanzen gehen, wir müssen in diesem beschissenen Krieg der Welt zeigen, dass wir überleben wollen.“ Da merkte ich, dass ich vom Krieg keine Ahnung hatte.

Seit von „Flüchtlingsströmen“ und „Menschenfluten“ die Rede ist, gehen mir Filme durch den Kopf. Klassische Kinoszenen der Bedrohung: Die Flut wird vom Meer kommen und die Stadt erreichen. Außerirdische von einem fernen Planeten landen heimlich in einer Waldlichtung und dringen in die Stadt ein. Am Bahnhof steigen Gangster aus, reiten in die Stadt, um sie zu zerstören. Dann kommt Gary Cooper. Und ist allein.

Mag man meine Betrachtung dieser existenziellen Symbolik für naiv halten, so erinnert sie mich doch an den Einwurf des Rathaus-Chefs: Um Herr der Lage zu werden, müssen die Menschen in der Stadt „zusammenstehen“. Sich solidarisieren.

Und jetzt verweise ich auf meinen Denkfehler, auf einen falschen Vergleich, entstanden aus meinen Kinobildern: In unseren angeblich „schwierigeren Zeiten“ haben wir es weder mit einer Naturkatastrophe zu tun, noch werden wir von Außerirdischen oder gar Gangstern bedroht. Zu uns kommen Menschen, die dringend unsere Hilfe brauchen. Exakt darin besteht die große Chance, den OB-Appell nicht als Floskel, sondern als große Herausforderung zu begreifen: Diese Stadt, dieses Stuttgart, hat trotz aller konservativen Strömungen eine liberale Tradition, eine Geschichte der Aufgeklärtheit und des Einfallsreichtums. Diese immer noch wohlhabende Stadt kann zeigen, dass sie in der Lage ist, Schwierigkeiten solidarisch zu lösen. Wie selten zuvor gilt das Motto: Wir müssen aus der Not (die keine große ist) eine Tugend machen.

Schon jetzt ist die Hilfsbereitschaft enorm. Ehrenamtliche, Vereine, Initiativen wie „Welcome Refugees“ tun, was sie können. Und der Oberbürgermeister kann da eine wichtige Rolle spielen: Die Bürger müssen lernen, die Begegnung mit Fremden nicht als Konflikt, sondern als große Chance zu sehen: Es erwarten sie menschliche Abenteuer voller inspirierender Überraschungen. Begegnungen – das lernt man definitiv im Kino – verändern Menschen, ihre Sichtweise, ihr ganzes Leben. Oft schaffen Begegnungen unter Fremden einen neuen Lebenssinn. Das Gefühl entsteht, etwas Nützliches zu tun, zu helfen. Aber mit Vergnügen, meine Damen und Herren!

Das alles mag dem einen oder anderen zu romantisch klingen. Und vielen zu unrealistisch. Ich höre die Einwände: „Ja, aber … das ist doch alles ein organisatorisches, ein finanzielles Debakel.“ In Wahrheit spielt sich das Problem auf zwei Ebenen aber: auf einer logistischen und einer psychologischen. Die Solidarität im Umgang mit den Geflüchteten, mit den Neuankömmlingen, kann in Stuttgart mit seinem liberalen Bürgertum durchaus zu einem Fest fürs Leben werden. Beispiel: Wenn man Flüchtlinge in Räumen der Schleyerhalle unterbringt, ist doch gleichzeitig ein internationales Fest der Solidarität mit ihnen in der Schleyerhalle vorstellbar. Es geht auch eine Nummer kleiner: Stadtteilfeste als Zeichen des Zusammenstehens gegen Vorurteile, gegen Rassismus, gegen die faschistische Gesinnung, die sich immer mehr auch unter Leuten ausbreitet, die behaupten, keine Nazis zu sein (und verharmlost werden). Angesichts der Flüchtenden sollten wir an das Mögliche denken: Es gibt viele Menschen, darunter zahlreiche junge, die diese politische Herausforderung als Helfer mit Spaß und Freude annehmen. Einem guten OB werden in schwierigen Momenten einige Möglichkeiten der solidarischen Mobilisierung einfallen: Wir haben viel Kultur in der Stadt. Bühne frei!



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