Bauers Depeschen


Mittwoch, 23. April 2014, 1274. Depesche



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TERMINE

> An diesem Donnerstag bin ich Bühnengast in der Lesung des "Zeit"-Kolumnisten Harald Martenstein im Theaterhaus. Beginn 20.15 Uhr. Es gibt noch Karten.

> Der Flaneursalon gastiert in Stuttgarts ältestem Live-Club, im Laboratorium im Osten: Mittwoch, 28. Mai 2014. 20 Uhr. Mit Stefan Hiss & Freunden, Dacia Bridges & Uwe Metzler (g), Roland Baisch. Karten im Internet: LABORATORIUM



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LIED DES TAGES



Die aktuelle StN-Kolumne:



AM UFER

Wenn Jesus Wasser in Wein verwandelt hat, muss es auch einen geben, der aus Wasser Stuttgarter Mineralwasser gemacht hat. Falls ich diesen Menschen treffe, werde ich meinen Hut ziehen und sagen: Ihr Wasser ist das Beste, was es gibt in unserer Stadt, leider aber haben die meisten Leute in der Stadt kein Verhältnis zum Wasser.

Es ist schwer, der Sache auf den Grund zu gehen. Wenn meine Stammquelle, das Mineralbad Berg, geschlossen hat, fahre ich mit der Linie 2 ein paar Stationen weiter zum Mineralbad Cannstatt. Unterwegs hält die Straßenbahn am Daimlerplatz in Cannstatt, und jedes Mal frage ich mich, warum man diesem Mann so wenig Respekt entgegenbringt, dass man seinen Namen einem Schlagloch in der Vorstadt gegeben hat. Ein so großes Verbrechen war es doch nicht, dass er in Bad Cannstatt zusammen mit dem Maybach das Motorrad erfunden hat.

Wer auf dem Dach des Mineralbads Cannstatt kühle Luft in seine von der Sauna aufgeheizten Lungen saugt, hat Ausblick auf das EnBW-Kraftwerk Münster am Neckarufer, weithin sichtbare Klötze mit Müllverbrennungsanlage und Kohlekessel. Kohlekessel ist ein schönes Wort, es passt gut zu Stuttgart, wenn man die richtigen Hänge hinaufschaut.

Neulich bin ich am Kurpark ohne ­Bade­tasche ausgestiegen, habe mich kurz backbord gehalten, bin am Gasthaus ­Flurwirt vorbeimarschiert, links weg zum Neckar und über die nächste Brücke Richtung EnBW-Kessel. Eine Weile am Ufer entlang. Es war ein schöner Tag, sonnig, nicht zu kühl, ein Neckar­ufertag. Der Fluss zahm, als hätte er Ruhetag wie der Flurwirt. Abgesehen von den Radfahrern, die dem Spaziergänger heute mehr Ärger machen als vor hundert Jahren Daimlers zweirädrige ­Teufelskutsche den Weinbauern, war es ruhig am Wasser. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele Stuttgarter ausgesprochen gern und voller Freude am Wasser sind, wenn man sie erst einmal hingebracht oder hin­gelockt hat. Viele allerdings wissen nicht, dass es in ihrer Stadt Wasser gibt, das nicht aus dem Hahn oder aus der Plastik­flasche kommt. Bestenfalls haben sie davon gehört, aber kein Bewusstsein dafür. Jedes Mal wenn ich zu kleinen Shows mit Musikern und Komikern auf Neckarschiffen oder in den ­Hafen geladen habe, tauchten Leute auf, die nie zuvor auf dem Fluss und im ­Hafen waren, obwohl sie in der Stadt geboren wurden, und nicht erst gestern.

Das Geschwätz der populistischen Rathauspolitiker vor Wahlen, sie brächten „die Stadt an den Fluss“, kann ich nicht mehr hören. Wahr ist: Ausgerechnet in einer Stadt, wo es ein so erfrischendes Wasser gibt wie sonst nirgendwo, wo man in einem ­Wasser schwimmen kann, das andere gern trinken würden, wird das Wasser nicht ­gebührend ­geschätzt. Oder missachtet. Das gilt ebenso für die einzigartigen Lebensqualitäts­quellen der Mineralbäder wie für den ­Neckar, diesen als reine Industriestraße instrumentalisierten, für die Wirtschaft zurechtgebogenen Fluss.

Im Grunde könnte mir das wurscht sein, solange ich mir egoistisch meine Wasser- und Luftburgen bauen kann. Es ist ja möglich, ans Neckarufer vorzudringen und den Stiefel in Wasser zu halten, obwohl die Städtebauer zu arrogant und zu gedankenlos sind, einen einladenden Zugang zum Wasser, gar eine stilvolle Promenade zu schaffen. Sie bauen lieber auf Leute, die es für ein Ereignis (Event) halten, wenn man ein paar Lastwagen-Ladungen Sand aufschüttet, das Gelände mit schlechter Musik und Fast Food bespielt und diese Dorfkirmes „Stadtstrand“ nennt. Viele kennen diesen Ort in Memory an einen weltläufigen Ex-Oberbürgermeister nur unter dem Namen „Schusterstrand“.

Mein Weg für Spaziergänger und Rad­fahrer am Neckar entlang ist wie eine Skulpturenroute mit symbolischen Bildern bestückt, der Kurs erzählt etwas über das Stuttgarter Verhältnis zum Fluss. In kurzen Abständen führen schmale Treppen die wilde, mit Büschen und Gras ­bewachsene Böschung zum Fluss hinab, unten ist ein sehr schmaler Pfad zum Flanieren mit Balancestange. An die Geländer oben aber hat man Ketten gehängt. Abstieg zum Wasser verboten, wer dennoch zum Fluss geht, ersäuft zu Recht, seine Leiche wird man aus dem Neckar ziehen und ohne Versicherungsschutz in der Müllverbrennung ­verarbeiten.

Am gegenüberliegenden Ufer, Rive ­Gauche, das ich für den Rückweg wähle, erinnern steinerne Poller und die Ketten dazwischen an eine urbane Uferlandschaft. Der Spaziergänger macht sich, wie in einer richtigen Großstadt, ans Wasser ran, zur Begrüßung schlenzt er einen Stein in die Wellen, ahnt, wie grün sich Stadt und ­Neckar wären, wenn man den Fluss als Lebensorgan der Stadt wahrnähme.

In dieser Stadt aber sind andere Dinge im Fluss. Die naturgegebenen Ressourcen ­zählen so gut wie nichts im Kohlekessel.



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