Bauers Depeschen


Dienstag, 21. Januar 2014, 1234. Depesche



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AN DIESEM DONNERSTAG:

LESEABEND MIT JESS JOCHIMSEN IM CAFÉ WEISS

Zum dritten Mal lade ich zu meinem Lese- und Liederabend unter dem Titel "Die Papiertiger" ins Café Weiß: Am Donnerstag, 23. Januar 2014, heißt mein Gast Jess Jochimsen. Der Freiburger Schriftsteller und Kabarettist nutzt einen freien Tour-Tag für ein Gastspiel in der Stuttgarter Altstadt-Bar, Geißstraße 16. Musik macht wieder Roland Baisch mit seinen Freunden. Beginn 19.30 Uhr. Eintritt frei. Bitte rechtzeitig reservieren, es könnte wieder eng werden: Telefon 07 11/24 41 21 (Mo - Sa ab 19 Uhr).



TIPP II: Der Berliner Kabarettist Arnulf Rating, einst bei den 3 Tornados groß geworden, gastiert am Freitag, 24. Januar, im Stuttgarter Renitenztheater. 20 Uhr. Zur Erinnerung: Bei der Kundgebung "Der Protest geht weiter" am 19. Oktober auf dem Stuttgarter Schlossplatz war Arnulf auf der Bühne, unterstützte uns ohne einen Cent Spesen. Allgemeine Anwesenheitspflicht. Karten: 07 11/29 70 75



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LIED DES TAGES



WAS MAN SO TREIBT

Mit kräftiger Unterstützung meines Kollegen Jürgen Holwein habe ich vor Weihnachten 2013 einen für meine Verhältnisse ziemlich langen Text über schwäbische Widerständler und Querdenker gefertigt. Es ist kein Beitrag für die Zeitung. Mal sehen, wozu er gut ist:



REBELLEN

Die kleine Leonhardstraße in der Stuttgarter Altstadt riecht selten nach Kehrwoche. Der Asphalt und einige Häuser sehen so mitgenommen aus wie die Frauen an der Ecke. Die Gegend zählt zum historischen Kern der baden-württembergischen Hauptstadt, wahrgenommen wird sie heute fast nur noch als Hort der Elendsprostitution. Die Historie des Leonhardsviertels hat man im Rathaus vergessen und verdrängt wie viele Kapitel der Stadtgeschichte. Vor Weihnachten 2013 organisierten Bürger eine Suppenküche unter dem Motto: „Unsere Altstadt darf nicht vor die Hunde gehen!“

Im Haus Nummer acht der Leonhardstraße findet sich ein Animierschuppen namens Bierorgel. Es gibt Überlebende, die dabei waren, als sich im Erdgeschoss und Keller dieses Gebäudes die sozialistischen Rebellen trafen. Einer von ihnen ist der Kabarettist, Autor und Aktivist Peter Grohmann. Vor einigen Jahren hat er Die Anstifter ins Leben gerufen, eine Initiative, die mit den Stolpersteinen des Berliner Künstlers Gunter Demnig an die Opfer der Nazis erinnert. Grohmann, 1937 in Breslau geboren, war in Stuttgart Mitbegründer des politisch-literarischen Clubs Voltaire.

1965 eröffnen die Mitglieder im Haus eines liberalen Vorort-Bäckers namens Fröschle am Straßenstrich den Club Voltaire. Zu den maßgeblichen Köpfen dieses Ladens gehören neben dem gelernten Schriftsetzer Grohmann der Arbeiter Willi Hoss, Schweißer beim Daimler, und Fritz Lamm, Angestellter und Betriebsrat der „Stuttgarter Zeitung“. Lamm, 1911 in Stettin geboren, ist der charismatische Mentor im Club Voltaire. Während der Nazi-Diktatur mehrfach verhaftet, floh er über Frankreich und Casablanca nach Havanna. Erst 1948 konnte er zurück nach Deutschland und ging nach Stuttgart. Der Journalist, ein jüdischer Sozialist mit weltmännischem Lebensstil, wird 1963 aus der SPD ausgeschlossen. Immer wieder verleumden ihn die Sozis wegen seiner Homosexualität. Lamms Freunde im Club Voltaire schätzen ihn als Ehrenmann und großen Rhetoriker.

Der Treff hat seine Wurzeln in der Arbeiterbewegung, die Gründerväter kommen wie Willi Hoss, der spätere Grünen-Politiker, aus der KPD und deren Umfeld. Eine wichtige Rolle spielt der Jazz-Pianist Wolfgang Dauner: Als gelernter Mechaniker und studierter Musiker verkörpert er die kulturellen Pole des Clubs.

In diese Atmosphäre platzt Joseph Fischer. Der 1948 geborene Sohn eines ungarischen Metzgers aus dem nahen Fellbach-Oeffingen hat 1965 vorzeitig das Bad Cannstatter Daimler-Gymnasium verlassen und eine Fotografenlehre begonnen. Legendär die Geschichte, wie Grohmann gerade die Wände des Voltaire-Kellers streicht, als Fischer ihn fragt, was der kleinbürgerliche Scheiß zu bedeuten habe. Er schnippt seine Zigarette in den Farbeimer und kommentiert das mit den Worten: „Schöner Wohnen!“ Auf diese Art macht Joseph „Joschka“ Fischer in Stuttgart seine politische Grundausbildung, 1968 zieht er nach Frankfurt weiter.

Als der Voltaire-Veteran Grohmann fast ein halbes Jahrhundert später wieder mitten in der Stadt an die Front des Protests muss, weil konservative Politiker und die Deutsche Bahn AG das Immobilienprojekt Stuttgart 21 vorantreiben, begreift er die Reaktionen der Bürger nicht. Täglich verbreiten auswärtige Medien das abgedroschene Vorurteil, es sei eine Sensation, „ausgerechnet die biederen Schwaben“ gehen auf die Straße. Offensichtlich kennen die meisten dieser Leute weder Gegenwart noch Geschichte dieses widerborstigen Volks. Der Filz aus 58 Jahren CDU-Regierung im Land hat die Auseinandersetzung mit der Geschichte stets verhindert und die Wahrheit oft genug verleugnet.



Geht man von der Leonhardstraße 8 ein paar Schritte weiter, in die Jakobstraße 6, steht man vor der kleinen Milieu-Kneipe Jakob-Stube. Den Hinweis auf einen großen Sohn der Stadt an diesem Gebäude suchte man bis vor kurzem vergebens. In dem Barockhaus wurde am 2. Januar 1807 Wilhelm Zimmermann geboren. Er machte nicht nur als renitenter

Student und protestantischer Theologe, als schwäbischer Dichter und radikaldemokratischer Abgeordneter Furore. Vor allem als Historiker ist er ein Begriff, mit seinem Buch „Der große deutsche Bauernkrieg“ schuf er ein Standardwerk. Während der Revolution 1848/49 saß Zimmermann in der Frankfurter Paulskirche in der Nationalversammlung. Der schwäbische Charakterkopf und fleißige Familienvater schrieb Tausende von Buchseiten und bewahrte sich zeit seines Lebens seinen rebellischen Geist. Heute ist Wilhelm Zimmermann in seiner Geburtsstadt so vergessen wie die revolutionären Aufstände im Land, auch wenn 1998, zum 1848er-Jubiläum, Baden-Württembergs Großkopfete eine peinliche Nostalgie-Show inszenierten. Sie setzten sich die Heckerhüte der Revolutionäre auf.

In Zimmermanns Schriften wird deutlich, wie die Politik den Widerstandsgeist im eigenen Land verdrängt. Es dauert lange, bis man den Maler und Altarkünstler Jerg Ratgeb, in den Siebzigerjahren des 15. Jahrhunderts in Schwäbisch Gmünd/Ostalbkreis geboren, auch als Kanzler der aufständischen Bauern im 16. Jahrhundert würdigte. In Pforzheim, der Heimat des Stuttgarter Kurzzeit-Ministerpräsidenten Stefan Mappus, war wegen Hochverrats zum Tode verurteilt und von vier Pferden auseinandergerissen worden.

Der schwäbische Widerstand zieht sich kontinuierlich durch die Geschichte des Landes, die Rebellen konnten allerdings nicht verhindern, dass man „die Schwaben“ bis heute für biedere, spießige Duckmäuser hält. Maulfaul und „verdruckt“, geizig und vom Putzwahn besessen. Im Zweifelsfall hilft der Hinweis auf den schwäbischen Diminutiv, das „Ländle“ als Eiland gestriger Tüftler und Schaffer zu verdummen. Kaum einer weiß es, in Stuttgart leben mehr Ausländer als in jeder anderen deutschen Stadt. Gegen die Klischees von der Behäbigkeit der Schwaben, die beim Orgasmus „Sodele“ stöhnen, helfen am wenigstens Hinweise auf vormals populäre Denker wie Hegel und Schiller. Es sind die Vergessenen und Verdrängten, die zeigen, wie viel Widerspruchsgeist, aber auch Stumpfsinn, im Land beheimatet ist.

Als eines der wichtigsten Wahrzeichen des Widerstands und seiner Unterdrückung steht die Festung Hohenasperg bei Ludwigsburg, einst „Demokratenbuckel“ genannt, heute ein Vollzugskrankenhaus. Schon 1525 hat man dort den aus der Gegend von Heilbronn stammenden Bauernführer Jakob „Jäcklein“ Rohrbach gefangengehalten. Der bekannteste Insasse des neben Stuttgart-Stammheim berüchtigsten schwäbischen Kerkers ist der 1739 in Obersontheim bei Schwäbisch Hall als Pfarrerssohn geborene, in Aalen aufgewachsene Dichter und Musiker Christian Friedrich Daniel Schubart. Zwei Jahre nachdem er Herzog Carl Eugens Mätresse Franziska von Hohenheim als glimmende, stinkende „Lichtputze“ verhöhnt und den heimischen Menschenhandel mit Englands Militär angeprangert hat, sperrt man ihn 1777 in der Burgfestung Asperg ein. Ohne Prozess wird Schubart mehr als zehn Jahre in einem Turmverlies misshandelt, darf lange Zeit weder lesen noch schreiben. Im Mai 1787 setzt ihn Carl Eugen nach der Intervention der Preußen und vieler Intellektueller auf freien Fuß und ernennt ihn sogar zum Musik- und Theaterchef am Stuttgarter Herzogshof. Begraben ist Schubart, ein schwäbischer Freiheitsheld, wie andere große Denker auf dem Stuttgarter Hoppenlaufriedhof, heute eine Ruhe- und Gedenkstätte, die von der Autostadt angeblich aus Geldmangel vernachlässigt wird.



Mehr als siebzig Jahre nach Schubart inhaftiert die Obrigkeit einen heute kaum bekannten Mann auf dem Hohenasperg, der eine wichtige Rolle in der 48-er Revolution spielen sollte. Es ist der 1816 in Dürrwangen bei Balingen geborene Glasfabrikant und republikanische Agitator Gottlieb Rau. Vor einer riesigen Volksversammlung in Heilbronn hält er im Frühsommer 1848 eine aufputschende Rede: „Es ist der Weg der Wahrheit, der Weg der Entschiedenheit, den wir einschlagen müssen, denn nur die Wahrheit kann uns frei machen. Wir müssen wegwerfen jene Halbheit der Gesinnung, jenes unentschiedene Schwanken, das uns von jeher Knechtschaft und Unterdrückung gebracht hat, und müssen offen bekennen die Farbe, der wir folgen. Wir müssen laut bekennen, dass das gedankenlose Geschrei für die konstitutionelle Monarchie mit breitester Grundlage der Untergang ist für die deutsche Einheit, der Tod für uns und unsere Kinder.“

Rau wird verhaftet und auf die Festung Hohenasperg gebracht. 1851 wird er in einem spektakulären politischen Prozess zu dreizehn Jahren Haft verurteilt. Als er 1853 begnadigt wird, geht er nach Amerika und eröffnet in New York ein Hotel, bald Anlaufstelle für deutsche Einwanderer. In den USA werden die deutschen Revolutionsflüchtlinge wie Rau als „Fourty Eighters“ geführt; viele von ihnen kämpfen später im amerikanischen Bürgerkrieg mit Abraham Lincoln gegen die Sklaverei.

Als einer der schillerndsten schwäbischen 48-er-Revolutionäre gilt Albert Dulk. 1819 in Königsberg geboren, landet der Schriftsteller und Revolutionär nach vielen Reisen, auch nach Italien und Ägypten, 1858 in Stuttgart. Mit seiner Ehefrau Johanna und zwei weiteren Frauen lebt dieser frühe Hippie in einer WG. In der Hochzeitsnacht, so heißt es, hat er seiner Frau den Beischlaf verweigert, weil er nicht etwas machen wollte, „das alle so machen“. Dulk ist Freidenker, schließt sich der Arbeiterbewegung an und durchschwimmt den Bodensee. Weil er in Heilbronn wegen Volksverhetzung mehr als ein Jahr Haft absitzen muss, feiern ihn die Sozialdemokraten als Märtyrer. Am 29. Oktober 1884 stirbt Dulk an Herzversagen auf dem Stuttgarter Bahnhof. Als man seinen Leichnam nach Gotha überführt, weil Feuerbestattungen in Württemberg verboten sind, gehen trotz des gewaltigen Polizeiaufgebots Tausende von Arbeitern auf die Straße. Der Trauerzug zum Güterbahnhof gilt heute als die größte Demonstration der württembergischen Sozialdemokraten in der Zeit von Bismarcks berüchtigten Sozialistengesetzen. Ähnlich viele Widerständler am Bahnhof werden 130 Jahre später wieder beim Protest gegen Stuttgart 21 gezählt, wenn auch mit geringer SPD-Beteiligung.

Die rote Linie der schwäbischen Rebellen zieht sich im 19. Jahrhundert so konsequent durch die Geschichte, dass man sich als Schwabe wundert, warum „die Schwaben“ als der Arbeit und dem Konsum verfallene Jasager mit starkem Hang zur „Gemütlichkeit“ gelten. Querdenker schauen zwangsläufig über den Tellerrand hinaus. Der Dichter Georg Herwegh, 1817 in Stuttgart als Sohn eines Gastwirts geboren, pflegt Kontakte mit Michail Bakunin und Karl Marx, mit George Sand und Heinrich Heine.

Im Frühjahr 1848 steht er an der Spitze der deutsch-demokratischen Legion, einer Freiwilligentruppe von Arbeitern, die den badischen Aufstand bewaffnet unterstützt. Auf seinen Wunsch wird Herwegh, ein entschiedener Gegner der Bismarck'schen Machtpolitik, in der Schweiz beerdigt.



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Mittwoch, 19. Februar 2014, ROSENAU: Erster Flaneursalon des Jahres mit Zam Helga & Tochter Ella Estrella Tischa, Roland Baisch & Sohn Sam sowie Toba Borke & Pheel. 20 Uhr. Kartentelefon: 01805 700 733.

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Bis heute behaupten selbsternannte Volkskundler in den Medien, schwäbische Frauen gingen lieber in der Schweiz einkaufen, um ihre von den Pietisten geschmähte Freude am Luxus zu verbergen. Den Hang zum schwäbischen Understatement beschrieb der 1813 in Reutlingen geborene Theologe und Schriftsteller Hermann Kurz als Zweifel an der eigenen Größe: „Die Schwaben müssen ihre einheimischen Produkte erst vom Ausland plombiert zurückerhalten, ehe sie daran glauben.“ Kurz kämpfte entschieden für die Freiheit der Presse, weit couragierter als viele Journalisten von heute. 1845 veröffentlichte er die demokratische Streitschrift „Das freye Wort“; er stritt so unverdrossen für das Recht auf Meinung, dass er für eine Weile in den Knast musste, auf den Hohenasperg, wo sonst.

Noch immer ist die öffentliche Aufarbeitung der schwäbischen Rebellen-Geschichte mühsam, das gilt auch für das 20. Jahrhundert. In den Zwanzigerjahren war das Leben in der schwäbischen Hauptstadt städtischer und cooler. Bauhaus-Architekten wie Peter Behrens, Mies van der Rohe und Richard Döcker wirkten in der Stadt, abstrakte Maler wie Oskar Schlemmer, Alfred Hölzel und Willi Baumeister standen für eine kulturelle Veränderung, von der man heute in dieser Stadt nur träumen kann. In diesem Klima der Moderne, des Aufbruchs wächst die 1910 in Stuttgart geborene Jüdin Gerta Pohorylle heran. Als aufgeweckte junge Frau besuchte sie Ausstellungen, Varieté-Shows und Sportereignisse. Als Neunzehnjährige zieht sie mit ihrer Familie nach Leipzig; nachdem sie Flugblätter gegen die Nazis verteilt hat und erwischt wird, flieht sie nach Paris. Im Exil begegnet sie einem ungarischen Fotografen namens André Friedmann. Beide werde schon bald unter den Namen Robert Capa und Gerda (jetzt mit „d“) Taro als engagierte Kriegsfotografen im Kampf gegen die Faschisten im Spanischen Bürgerkrieg berühmt. 1937 kommt Gerda Taro bei einem Luftangriff von Hitlers Legion El Condor in der Nähe von Madrid ums Leben. Den Trauerzug zu ihrer Beerdigung auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise begleiten zigtausend Antifaschisten, Dichter wie Louis Aragon und Pablo Neruda halten die Grabreden. In Stuttgart dauert es bis 2008, ehe man Gerda Taro nach Interventionen engagierter Bürger einen (bis heute schäbig gestalteten) Platz widmet.

Gerda Taros Geschichte wird zurzeit in Hollywood verfilmt, ins CDU-geführte Baden-Württemberg passte sie so wenig wie die vielen, nicht mit Soldatenorden geschmückten Widerstandskämpfer der Nazi-Diktatur, beispielsweise die Stuttgarter Gruppe Schlotterbeck. Da gibt es die Geschichte vom Stuttgarter „Kabelattentat“. Vier junge Kommunisten beendeten am 15. Februar 1933 die Rundfunk-Übertragung von Hitlers Rede mit dem Hackebeil. Kurz zuvor, am 30. Januar 1933, waren in der Nähe von Reutlingen die Textilarbeiter in den inzwischen berühmten Mössinger Generalstreik getreten. Bis heute gilt diese von der KPD organisierte Widerstandsaktion in der nur 4200 Seelen zählenden Gemeinde am Fuß der Schwäbischen Alb als in Deutschland einzigartiger Versuch, Hitlers sogenannte Machtübernahme zu verhindern. Die Nazis vertuschten den mutigen Aufstand.



Wie beim Mössinger Generalstreik brauchte es bei anderen antifaschistischen Heldentaten Jahrzehnte, bis man im Schwäbischen an Menschen erinnerte, die im Kampf gegen den Faschismus ihr Leben ließen, wie der in Königsbronn auf der Ostalb aufgewachsene Schreiner Georg Elser. Am 8. November 1939 ging bei einer Nazi-Feier im Münchner Bürgerbräukeller eine Bombe hoch, die Elser in nächtelanger Arbeit in eine Säule eingebaut hatte. Hitler überlebte, weil er vorzeitig den Saal verlassen hatte, um wegen des sich anbahnenden schlechten Wetters früher als geplant in sein Flugzeug zu steigen.

Das Vertuschen der Vergangenheit, die Mär, der einfache Mann habe gegen die Nazis nichts tun können, dürfte auch ein Grund gewesen sein, dass die Baader-Meinhof-Gruppe maßgebliche Mitglieder und Unterstützer im Schwäbischen rekrutierte: die Pfarrerstochter Gudrun Ensslin, den Gastwirtssohn Willy-Peter Stoll, den Künstlersohn Christof Wackernagel. Einer der besten Kenner der Szene war der lange in Stuttgart lebende Schriftsteller und Rechtsanwalt Peter O. Chotjewitz; er vertrat Baader in den Siebzigern im Stammheimer Prozess. Als er im Dezember 2010 starb, wurde er auf seinen Wunsch auf dem Stuttgarter Dornhaldenfriedhof beerdigt. Dort ist auch das Grab von Ensslin, Baader und Jan-Carl Raspe. Chotjewitz erzählte gern, das schwäbische, vor allem das Stuttgarter Bürgertum habe aus seiner liberalen, rebellischen Tradition heraus eine Zeitlang RAF-Ideen unterstützt, und damit meinte er nicht nur Anwälte wie den 2002 verstorbenen Klaus Croissant und den, nach achtjähriger Abwesenheit in Beirut, seit 1986 wieder ehrbar praktizierenden Jörg „Jogi“ Lang. In seinen Erinnerungen hat der vielgereiste Schriftsteller Chotjewitz dem rebellischen Stuttgart ein Denkmal gesetzt: „In Stuttgart hat im August 1907 unter Beteiligung von Lenin und anderen ein Sozialistenkongress stattgefunden, der erste sozialistische Weltfrauenkongress hat vor dem Ersten Weltkrieg in Stuttgart stattgefunden, in Stuttgart konnte Clara Zetkin Hauslehrerin bei dem Kapitalisten Robert Bosch sein … und nach dem Krieg hatten wir einen Kommunisten namens Eugen Eberle, der bundesweit bekannt war, vierzig Jahre lang im Gemeinderat.“

Zu den bekanntesten schwäbischen Querköpfen zählt auch der Obstbaukundler, Baumschneider und Bürgerrechtler Helmut Palmer. 1930 als unehelicher Sohn einer christlichen Bauerntochter und eines jüdischen verheirateten Metzgers in Stuttgart geboren, kämpft er in kernigem Schwäbisch gegen Altnazis, staatliche Willkür und wird als „Remstal-Rebell“ gefürchtet und verehrt. Der Gärtner mit seiner virtuosen Baumschnitt-Begabung kandidiert regelmäßig als Einzelkämpfer bei Wahlen und sitzt wegen seiner Streitbarkeit auch im Knast. 1974 holt er zum Schrecken der konventionellen Parteien bei den Oberbürgermeisterwahlen in Schwäbische Hall mehr als vierzig Prozent der Stimmen. 2004 stirbt er in Tübingen an Krebs. Kaum mehr als drei Jahre später wird sein Sohn Boris als konservativer Grüner Oberbürgermeister von Tübingen und signalisiert damit bereits eine politische Entwicklung in Baden-Württemberg. 2011 kommen im Land die Grünen an die Macht, und der neue Ministerpräsident Kretschmann ist sehr darum bemüht, seine Vergangenheit in der KPD/ML als mentalen Unfall in seiner Biografie darzustellen.

Wenn viele Bürger heute immer noch gegen Stuttgart 21 auf die Straße gehen, wenn sich anständige und verdiente Männer wie der unermüdliche Kulturarbeiter Peter Grohmann gegen die Politik des Größenwahns auflehnen, erinnert das die Medien nicht etwa an gescheite, radikaldemokratische Köpfe vom Schlage Friedrich Schillers und Ludwig Uhlands. Ahnungslose Reporter faseln seit Jahrzehnten lieber was von Kehrwoche, von frühzeitig hochgeklappten Gehsteigen und „Wutbürgern“ in Halbhöhenlage.

Die Floskel vom schwäbischen Spießer macht deshalb weiterhin so hartnäckig die Runde wie bei selbstironischen Landsleuten ein alter Witz über ihre angebliche Lustfeindlichkeit: „Warum haben die schwäbischen Pietisten Sex im Stehen verboten? Er könnte in Tanz ausarten.“



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