Bauers Depeschen


Donnerstag, 24. Januar 2013, 1046. Depesche

IM MAI IN DER RAMPE:

DIE FLANEURSALON-FAMILIEN-BANDE

Für Freitag, 17. Mai, ist die Flaneursalon-Familiensaga im THEATER RAMPE geplant: Roland Baisch tritt mit seinem Sohn Sam Baisch auf, Zam Helga mit seiner Tochter Ella Estrella Tischa. Dazu haben wir den Rapper Toba Borke und seinen Beatboxer Pheel im Programm. Talkin' 'bout my generation ... Der Vorverkauf beginnt heute. - Am Samstag, 6. Juli, sind wir beim großen Flaneursalon-Hafen-Picknick am Neckarufer - mit Yasmine Tourist u. v. a. - Heute muss ich erst mal Eric Gauthier und Jens-Peter Abele in der Alten Turnhalle zu Herrenberg als Märchenonkel unterstützen.



DER FLANEURSALON am 19. Februar im SCHLESINGER ist ausverkauft.



SIGNIERTE BÜCHER BEI RATZER

Die Berliner Edition Tiamat hat eine kleine Nachauflage meines Buchs "Im Kessel brummt der Bürger King - Spazieren und über Zäune gehen in Stuttgart" herausgebracht. Ab heute gibt es auch wieder signierte Bücher im Plattencafé Ratzer Records am Leonhardsplatz.



SOUNDTRACK DES TAGES



Heute ein Text aus meinem Buch:



AUF DEM DORF

Ein Februartag, dreizehn Grad unter null. Ein Einheimischer fährt mich im Auto über die Landstraße zum Dorf meiner Wünsche. Als ich früher auf dem Dorf gewohnt habe, hätte kein Stoßdämpfer diese Straße überlebt. Jedes Mal, wenn Politiker aus der Stadt in den Flecken kommen, meistens zum Weiberfasching, versprechen sie, die üble Rumpelstrecke reparieren zu lassen. Kaum aber sind die Kerle weg, haben sie alles vergessen.

Ich bin in einem Nest auf dem Land geboren und aufgewachsen. Heute hält sich meine Abneigung gegen das Landleben insofern in Grenzen, als sich die Vetternwirtschaft auf dem Dorf wegweisend in der Korruption in der Stadt spiegelt. Die Größenordnung unterscheidet sich, das Niveau nicht.

Ich habe in einem lustigen Dorf gewohnt. Anfang der siebziger Jahre ging die Gemeinde pleite. Ein junger Bürgermeister, im Mercedes unterwegs, hatte sie in die Zahlungsunfähigkeit geführt. Der Filou gab den großen Maxe und mehr Geld aus, als in der Kasse war. Dieser Stil hat sich später bei vielen Politikern durchgesetzt.

Die Dorfgeschichte mit dem Millionenloch im Gemeindesäckel habe ich nie vergessen. Ein leibhaftiger „Spiegel“-Reporter kam eigens in unser Nest, um zu recherchieren. Ich war gerade Zeitungsvolontär, erzählte dem Mann, was sowieso jeder wusste, und kassierte dafür ein Informationshonorar in Höhe meines halben Monatslohns. Der Artikel (mit zwei Fotos) entlarvte auf einer kompletten „Spiegel“-Seite die Zukunftsverheißungen unseres Dorfschultes als Luftblase und machte damit mein Heimatdorf über Nacht berühmt. Der Reporter hieß Eberhard Hungerbühler, wenig später gelang ihm unter dem Pseudonym Felix Huby eine beachtliche Karriere als Krimi- und Fernsehautor.

Für das Finanzchaos, das der Rathauschef angerichtet hatte, büßte der Bürger damals exakt wie heute: Die Steuern und Gebühren stiegen.

Mein Plan, mich viele Jahre später den Dorfgeschichten zu Fuß zu nähern, brauchte ein paar Regeln. Ein richtiges Dorf darf nach meiner Vorstellung an keiner S-Bahn-Station liegen; sonst würde es sich von der nächsten Großstadt nicht mal durch die Mietpreise unterscheiden. Am besten, es gibt überhaupt keinen Bahnanschluss und auch keine Bundesstraße. Ferner muss es eine selbstständige Kommune sein, mit Gemeinderat und Grundschule.

Nach diesen Vorgaben ließ ich mich über besagten Highway to Hell kutschieren. An einem zugefrorenen kleinen Fluss stieg ich aus, ging eine Weile herum und war enttäuscht. Nicht nur das Wasser, das ganze Dorf war vereist. Als wäre die Zeit stehengeblieben, erzählte man mir die jüngste Geschichte von einem Schultes mit Hang zum Glamour. Es heißt, der Typ habe sämtliche Damen im Flecken vom Bauern- bis zum Schulhof beglückt. Was Wahres dran ist, lässt sich nur schwer ermitteln. Denn nicht anders als in der Großstadt prägt die Menschen auf dem Dorf der Neid. Schade ist, dass man die guten Anekdoten fast nur hinter vorgehaltener Hand austauschen kann. In vielen Dörfern gibt es kaum noch eine ordentliche Wirtschaft, die täglich geöffnet hat und heimische Märchenerzähler anzieht. Das Dorfwirtshaus stirbt aus wie die Eckkneipe in den Großstädten. Manche Gaststätten, einst blühende Orte ausschweifender Geselligkeit, stehen verlassen da wie in einer Geisterstadt. Oft gibt es nur noch eine Pizzeria. Und ein Bistro, wo die cool gekleidete Dorfjugend an Spielautomaten den zeitgenössischen Kapitalismus erlernt.

Wie alles im Leben lassen sich auch meine Beobachtungen nicht verallgemeinern. Doch nach alten und neuen Erfahrungen herrscht im ländlichen Leben eine traumatische Tristesse, meist „Idylle“ genannt. Womöglich gäbe es für manchen Einheimischen nie die Chance, aus den Tiefen seiner Psycho-Schluchten zu flüchten, wären da nicht die Vereine. Sie sind wärmende Stätten kreativen Schaffens und damit, wir kennen das aus der großen Kunst, Schauplätze virtuos inszenierter Intrigen und Gemeinheiten. Haben der Bürgermeister und der Bauunternehmer erst einmal ihre Blutsbrüderschaft aus Kindergartenzeiten im Sport- oder Schützenverein erneuert, steht dem Um- und Ausbau ihres Heimatdorfs nichts mehr im Weg. Die Nachwelt wird die Handschrift ihrer vormaligen Zukunftsplaner bis in alle Ewigkeit an der unsterblich hässlichen Architektur der „modernen“ Leichenhalle erkennen.

Als ich jüngst die Dorflandschaften genießen durfte, war Fasching. In jedem Flecken hingen die Fähnchen und Fetzen des Narrenbaums, Signale zum Sturm aufs Rathaus. In einem Rathaus-Schaukasten las ich den Aufruf an die Bevölkerung, ihre Anträge zur Ausstellung von Jagdscheinen einzureichen. Jagen und Schießen scheinen bei vielen Dörflern genetisch verankert zu sein; eine Leidenschaft, die bekanntlich auch die Vorderlader-Erotik des grünen Ministerpräsidenten in der Landeshauptstadt prägt.

Damit sind wir bei der Liebe auf dem Dorf. Da scheint die früher oft bösartig unterstellte Inzucht liberalem Sex gewichen zu sein.

Jedenfalls tun sich in kleinen Ortschaften und Weilern respektable Abgründe auf, und daran hat nicht immer der Gärtner Schuld, zumal der Pfarrer heute weit mehr herumkommt als früher, wo er nicht so viele Gemeindeglieder gleichzeitig betreuen und beglücken musste.

Als Herzstück des Dorfs gilt trotz angestrebter Industrieansiedlung nach wie vor die Landwirtschaft: modern und politisch korrekt geführt, seit der junge Öko-Bauer nicht mehr den Konflikt mit der Atomlobby scheut. Zu Ohren kam mir, wie sich Gemeinderäte öffentlich dem Protest der Atomlobby gegen die Bio-Mafia im Nachwuchsbereich herumschlagen mussten. Die Erzieherinnen hatten ohne Volksabstimmung gezuckerte Nahrung im Kindergarten verboten. Das war das Ende von Sugar Baby.

Angesichts dieser ökologischen Entwicklung und der Globalisierung dauerte es lange, ehe ich an einer öffentlichen Straße vor einem Bauernhof den letzten echten, nicht für Touristen aufgestellten Misthaufen entdeckte. Der Misthaufen ist für mich bis heute das romantisch-aromatische Wahrzeichen des Dorfs an sich. Auch wenn der dazugehörige Gockel heute schwer gedopt im Käfig der ausgesiedelten „Chicken Farm“ kräht.



KOMMENTARE SCHREIBEN IM LESERSALON



FRIENDLY FIRE:

NACHDENKSEITEN

BLICK NACH RECHTS

FlUEGEL TV

RAILOMOTIVE

EDITION TIAMAT BERLIN

Bittermanns Fußball-Kolumne Blutgrätsche

VINCENT KLINK

KESSEL.TV

GLANZ & ELEND





 

 

Auswahl

27.08.2022

24.08.2022

22.08.2022
17.08.2022

14.08.2022

10.08.2022
07.08.2022

06.08.2022


Depeschen 2281 - 2310

Depeschen 2251 - 2280

Depeschen 2221 - 2250

Depeschen 2191 - 2220

Depeschen 2161 - 2190

Depeschen 2131 - 2160

Depeschen 2101 - 2130

Depeschen 2071 - 2100

Depeschen 2041 - 2070

Depeschen 2011 - 2040

Depeschen 1981 - 2010

Depeschen 1951 - 1980

Depeschen 1921 - 1950

Depeschen 1891 - 1920

Depeschen 1861 - 1890

Depeschen 1831 - 1860

Depeschen 1801 - 1830

Depeschen 1771 - 1800

Depeschen 1741 - 1770

Depeschen 1711 - 1740

Depeschen 1681 - 1710

Depeschen 1651 - 1680

Depeschen 1621 - 1650

Depeschen 1591 - 1620

Depeschen 1561 - 1590

Depeschen 1531 - 1560

Depeschen 1501 - 1530

Depeschen 1471 - 1500

Depeschen 1441 - 1470

Depeschen 1411 - 1440

Depeschen 1381 - 1410

Depeschen 1351 - 1380

Depeschen 1321 - 1350

Depeschen 1291 - 1320

Depeschen 1261 - 1290

Depeschen 1231 - 1260

Depeschen 1201 - 1230

Depeschen 1171 - 1200

Depeschen 1141 - 1170

Depeschen 1111 - 1140

Depeschen 1081 - 1110

Depeschen 1051 - 1080

Depeschen 1021 - 1050

Depeschen 991 - 1020

Depeschen 961 - 990

Depeschen 931 - 960

Depeschen 901 - 930

Depeschen 871 - 900

Depeschen 841 - 870

Depeschen 811 - 840

Depeschen 781 - 810

Depeschen 751 - 780

Depeschen 721 - 750

Depeschen 691 - 720

Depeschen 661 - 690

Depeschen 631 - 660

Depeschen 601 - 630

Depeschen 571 - 600

Depeschen 541 - 570

Depeschen 511 - 540

Depeschen 481 - 510

Depeschen 451 - 480

Depeschen 421 - 450

Depeschen 391 - 420

Depeschen 361 - 390

Depeschen 331 - 360

Depeschen 301 - 330

Depeschen 271 - 300

Depeschen 241 - 270

Depeschen 211 - 240

Depeschen 181 - 210

Depeschen 151 - 180

Depeschen 121 - 150

Depeschen 91 - 120

Depeschen 61 - 90

Depeschen 31 - 60

Depeschen 1 - 30




© 2007-2024 AD1 media ·