Bauers Depeschen


Samstag, 15. Dezember 2012, 1026. Depesche



FLANEURSALON IM SCHLESINGER:

AB HEUTE GIBT ES KARTEN

Der erste Flaneursalon im neuen Jahr geht am Dienstag, 19. Februar, im SCHLESINGER über die Bühne. 20 Uhr. Erstmals mit UTA KÖBERNICK und ihrer Band Kritische Begleitung - und mit Dacia Bridges, Zam Helga und Roland Baisch. Karten gibt es ab heute, Montag, in der Kneipe.

 

SIGNIERTE BÜCHER BEI RATZER

Im Plattencafé Ratzer Records im Leonhardsviertel (neben dem Brunnenwirt, Di - Sa) gibt es signierte Exemplare meines Buchs "Im Kessel brummt der Bürger King - Spazieren und über Zäune gehen in Stuttgart". Was soll man sagen: Das Buch zur Musik.



SOUNDTRACK DES TAGES



Die StN-Kolumne:



CHOTJEWITZ, STAMMHEIM

Zuletzt war er gern mit Borsalino, cremefarbenem Anzug und Gehstock mit Silberknauf unterwegs. An diesem Samstag jährt sich zum zweiten Mal der Todestag von Peter O. Chotjewitz. Der Schriftsteller und Rechtsanwalt starb am 15. Dezember 2010 mit 76 Jahren in seiner Stuttgarter Wohnung an Krebs. Aus kurz vor dem Tod geführten Gesprächen hat der Frankfurter ­Autor ­Jürgen Roth eine Autobiografie redigiert, ein großartiges Dokument der Lite­ratur­geschichte und der politischen Entwicklung der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg. Titel:„Mit Jünger ein’ Joint aufm Sofa, auf dem schon Goebbels saß“.

Es ist ein Genuss, dieses Buch zu lesen, und eigentlich Pflicht, will man Stuttgarts Geschichte und Gegenwart verstehen. Chotjewitz, der „Pit“, hatte von 1975 an ein anwalt­liches Mandat für die Mitglieder der Roten Armee Fraktion (RAF) in Stammheim, er war befreundet mit Andreas Baader. Wie Baader und die Terroristen Jan-Carl Raspe und Gudrun Ensslin liegt er auf dem Dornhaldenfriedhof begraben.

An diesem Samstag findet im Waldheim Gaisburg, ein Lieblingsort des Schriftstellers, eine Gedenkveranstaltung für Peter O. Chotjewitz statt. Jürgen Roth liest aus seinem Buch, die Malerin Cordula Güdemann zeigt Bilder, der Künstler Wolfgang Kiwus stellt Film- und Hörspielmaterial vor, der Pianist Georg Dietl begleitet den Abend musikalisch. Beginn 19 Uhr.

Als wäre es inszeniert, ist im Kunst­museum am Schlossplatz zurzeit die Ausstellung „Stuttgart Stammheim“ zu sehen. Der Fotograf Andreas Magdanz hat dreißig großformatige Arbeiten arrangiert, fast alle in Schwarz-Weiß, aufgenommen im Gefängnis. Fünf Monate hat er neben der Justizvollzugsanstalt gelebt, in einer Kaserne, wo JVA-Mitarbeiter wohnen. Magdanz sagt, es gehe ihm darum, eine „Erinnerungslücke“ zu schließen, bevor es zu spät sei.

2015 soll das Gefängnishochhaus von Stammheim abgerissen werden. In dem Trakt starben in der Nacht vom 17. auf 18. Oktober 1977 die RAF-Terroristen Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe. Die Ausstellung, von der Baden-Württemberg Stiftung gefördert, lässt im Prospekt keinen Zweifel daran, dass die RAF-Mitglieder „im siebten Stock des Hochsicherheitsgefängnisses Selbstmord begingen“. Im Namen Stammheim, heißt es weiter, verdichte sich bis heute der „Mythos um die Rote Armee Fraktion“, in dem Bau, wo „der sogenannte Deutsche Herbst ein dramatisches Ende fand“. Auch Ulrike Meinhof hat in Stammheim ihr Leben gelassen, 1976.

Schon sind Stimmen zu hören, man möge dem Spuk von Stammheim mit dem Abriss des RAF-Trakts ein Ende bereiten. Kommentare, die für Erinnerungskultur nichts übrig haben. Befürchtet wird, die Beschäftigung mit dem Thema befördere die „Glorifizierung von Verbrechern“. Am besten, man vergesse die Historie – wie beim Abriss des Berliner Palasts der Republik in der DDR (die im bundesdeutschen Terrorismus eine wichtige Rolle spielte).

Wie mancher konservative Heimatkundler zu glauben, man könne die Stammheim-Geschichte aus­löschen wie ein asbestverseuchtes Gebäude, ist Unsinn, gesteuert vom provinzlerischen Wunsch nach „Ruhe und Ordnung“. Allein die bildende Kunst hat das Stuttgarter Gefängnis unsterblich gemacht, etwa mit dem „Stammheim-Zyklus“ von Gerhard Richter. Der weltweit gefeierte Künstler hat Fotoszenen nach­gemalt, von der Festnahme bis zum Tod, sie nebelhaft verschleiert. Seine Intention, so scheint es, ist so neutral wie die fotografischen, oft verwischten Pressebilder des Künstlers Hans-Peter Feldmann, die zurzeit unter dem Titel „Die Toten“ im Hamburger Bahnhof Berlin zu sehen sind. Feldmann zeigt die Opfer des deutschen Terrorismus seit 1967: Polizisten, Täter, Geiseln, Zivilisten. Man sieht Gudrun Ensslin bei einer Demo neben ihrem Lebenspartner Bernward Vesper den Kinderwagen schieben, die toten Polizisten Reinhold Brändle, ­Helmut Ulmer, die Begleiter des ermordeten Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer.

Nicht nur die künstlerische Auseinandersetzung mit Stammheim erscheint einem verständlicher nach der Lektüre von Roths Chotjewitz-Nachlass. Der linke Schriftsteller, mit dem Stuttgarter Literaturpreis ausgezeichnet, hat prägende Stuttgarter Zeitstimmungen verarbeitet, nicht erst, seit er hier von 1995 an mit seiner Frau Cordula Güdemann lebte (die Malerin ist Professorin an der Kunstakademie auf dem Weißenhof, wo auch Gudrun Ensslins Sohn Felix Ensslin - das Baby aus dem Kinderwagen - heute lehrt).

Als Peter O. Chotjewitz wusste, er würde bald sterben, hat er sich in der Weinstube Fröhlich in der Leonhardstraße von Freunden und Bekannten verabschiedet. Die Straße in der Altstadt kannte er seit den sechziger Jahren, noch aus der Zeit vor der Studentenrevolte : „Genau dort befand sich der Club Voltaire, im Parterre und im Keller . . . der Club war nicht nur von Linken gegründet worden, sondern das waren auch links­liberale Bürger, linke Sozialdemo­kraten wie unser noch lebender, ehemaliger linker Bundestagsabgeordneter mit der Fliege oder wie der Buchhändler Niedlich, Bürger, die vielleicht nicht mal SPD ­gewählt haben, sondern auch FDPler, ­Gewerkschafter.“

Nach diesen Zeilen begreift man womöglich besser, was sich auf den Straßen von Stuttgart in der jüngeren Vergangenheit zugetragen hat und noch immer zuträgt. Peter O. Chotjewitz, am 14. Juni 1934 in Berlin geboren, hatte einen guten Draht zu unserer Stadt: „Ich habe mich in Stuttgart nie schlecht gefühlt“, heißt es in seinem letzten Buch, „und ich weiß genau, dass ich mich in Berlin nicht besser fühlen würde. Das könnte man für eine Alterserscheinung halten. Aber es ist keine. Ich kenne Stuttgart seit Jahrzehnten.“

Noch weiß keiner, ob die Stadt auch diesmal ihre Geschichte in einem Akt der Ignoranz wegblendet. Oder den Abriss des Stammheimer RAF-Trakts als Aufforderung zur urbanen Auseinander­setzung mit der Kultur der Erinnerung begreift - und einen Ort dafür schafft.



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